# taz.de -- Fussball: Südkurve rehabilitiert | |
> Vor dem Champions-League-Spiel trafen sich Fans von Bayern München und | |
> Beşiktaş Istanbul in München. Es galt, eine alte Geschichte | |
> aufzuarbeiten. | |
Bild: Fanfreundschaft trotz Klassenunterschied: Bayern München und Beşiktaş … | |
Bevor im Champions-League-Achtelfinale am Dienstag Bayern München auf | |
Beşiktaş Istanbul traf, tauchten sie wieder auf, die Bilder des Gastspiels | |
von Beşiktaş in München im September 1997: Hunderte Bayern-Fans in der | |
Südkurve halten orangefarbene Aldi-Tüten hoch, sie haben ein Transparent | |
aufgehängt, auf dem steht: „Aldi grüßt Kunden“. Der sogenannte | |
Aldi-Tüten-Skandal schlug international Wellen, die Hürriyet titelte | |
„Rassismus auf der Tribüne“, Cem Özdemir sagte: „Hier wurden zwei Milli… | |
Türken vor der Weltöffentlichkeit beleidigt. Diese Provokation zielte auf | |
alle in Deutschland lebenden Türken.“ Beim Rückspiel in Istanbul griffen | |
Beşiktaş-Fans die Auswärtsfans an. Mit einer offiziellen Entschuldigung des | |
FC Bayern München schien das Thema dann erledigt. | |
Doch die Vorfälle von damals werfen bis heute ihren Schatten auf das | |
Verhältnis zwischen Bayern- und Beşiktaş-Fans. Mehr als 20 Jahre später | |
wollen die Fans von der Bayern-Südkurve die Geschichte aus der Welt | |
schaffen. Deshalb treffen sich am Abend vor dem Champions-League-Spiel mehr | |
als 80 Fans des FC Bayern München und von Beşiktaş im Münchner | |
Kulturzentrum Backstage. Es soll ein Abend der Versöhnung werden. | |
Die Fans begrüßen sich mit Handschlag, einige Münchner haben ein paar | |
Brocken Türkisch gelernt: „Merhaba, hoşgeldiniz“. Die Istanbuler hängen … | |
Transparent auf, mit dem sie sich für die Solidarität der Bayern während | |
der Gezi-Proteste bedanken. Sie sitzen an einer langen Tafel mit rot-weißen | |
Kerzenleuchtern, an der Wand hängen Solidaritätsbanner. Wer zum FC Bayern | |
gehört und wer zu Beşiktaş, erkennt man daran, ob sie schwarz-weiß oder | |
rot-weiß gekleidet sind. | |
## Verhängnisvolle Idee | |
Otto Brunner, Mitglied der unabhängigen Vereinigung aktiver Bayern-Fans | |
Club Nr. 12, gehört zu den Organisatoren, die die Fans der Ultragruppe | |
Çarşı eingeladen haben, um sich zu entschuldigen. Er ist einer derjenigen, | |
die damals auf die Idee mit den Aldi-Tüten gekommen sind. Weil er nicht | |
will, dass sein Chef erfährt, dass er einer der Mitinitiatoren der | |
Aldi-Tüten-Aktion war, steht hier nicht sein echter Name. | |
Brunner erinnert sich: Ende der Neunzigerjahre, die Ultrakultur kommt | |
gerade in Deutschland an, man will Stimmung ins Stadion bringen. Otto | |
Brunner, damals 19, möchte mit einer Handvoll anderer Fans eine optische | |
Aktion organisieren, die die Fans auf der anderen Seite des Stadions | |
wahrnehmen. Sie verstehen sich als unpolitisch. Die Fans stehen ein paar | |
Tage vor dem Spiel zusammen, das Klischee „Türken = Alditüte“ kommt im | |
Gespräch auf. | |
„Man hat natürlich versucht, die Gegner zu provozieren“, sagt Brunner | |
heute. Darüber, was das für Reaktionen auslösen wird, machen sie sich keine | |
Gedanken. Nach der Aktion sind sie erschrocken darüber, was sie für einen | |
Skandal ausgelöst haben. „Für uns als 19-Jährige war das die gleiche | |
Kategorie, wie zu singen: ‚Was ist grün und stinkt nach Fisch? Werder | |
Bremen!‘“, erklärt er. | |
## Rechter Mainstream | |
Doch für die Öffentlichkeit war es nicht das Gleiche. „In vielen deutschen | |
Stadien gab es Mitte der Neunziger einen eher rechten Mainstream, so auch | |
bei Bayern. Rassistische Gesänge gegen türkische Mannschaften waren | |
vielerorts zu hören“, sagt Martin Endemann, Mitarbeiter des unabhängigen | |
Netzwerks von Fußballfans in Europa FSE, das die Kontakte zwischen Bayern- | |
und Beşiktaş-Fans vermittelt hat. „Sich über die gegnerische Mannschaft | |
lustig zu machen ist zwar wichtiger Bestandteil der Fankultur. | |
Problematisch wird es, wenn die Provokationen diskriminierend sind und | |
schon vorhandene Ressentiments weiter befeuern. Und das hätten die | |
Bayern-Fans damals wissen müssen.“ | |
Mete Gür erinnert sich noch gut an den Tag im September 1997, er war damals | |
13 Jahre alt. Gür ist in München aufgewachsen und seit seiner Kindheit | |
Beşiktaş-Fan. Nach den Gezi-Protesten hat er mit anderen Fans in München | |
eine Çarşı-Gruppe gegründet. Es ist kalt am 17. September 1997, Mete Gür | |
ist seit Tagen aufgeregt. Sein Verein spielt das erste Mal gegen den FC | |
Bayern München, in seiner Heimatstadt. Im Stadion steht Gür so, dass er die | |
Südkurve nicht direkt sehen kann. Erst als das ganze Stadion pfeift, | |
bekommt er mit, was passiert. Rassismus gegen Türkeistämmige hat er im | |
Münchner Stadion noch nie erlebt; umso größer ist nun die Enttäuschung. | |
„Die ganze Aktion war gegen in Deutschland lebende Türken gerichtet. Man | |
kann sich über den Gegner lustig machen, aber das war diskriminierend“, | |
sagt er heute. Statt des Vereins hätten sich die Bayern-Fans entschuldigen | |
müssen, findet er. „Das hätte mehr Charakter gehabt.“ Die Entschuldigung | |
kommt spät, doch an diesem Abend ist Gür beeindruckt davon, was sich die | |
Bayern-Fans ausgedacht haben, um den Fehltritt von 1997 wiedergutzumachen. | |
## Beşiktaş-Chöre bei Bayern | |
Es gibt ein Buffet mit Humus, Obazda, Ente und Baklava, zum großen Teil | |
bezahlt von den damaligen Initiatoren der Aldi-Tüten-Aktion. Auf die | |
offizielle Entschuldigung der Bayern-Fans antwortet Ayhan Güner, einer der | |
Anführer von Çarşı: „Das haben wir alles vergessen, als ihr während der | |
Gezi-Proteste ein Transparent aufgehängt habt, in dem ihr euch mit uns | |
solidarisiert habt.“ Denn: Von St. Pauli oder Borussia Dortmund hätten sie | |
Solidarität erwartet – aber nicht vom in ihren Augen „snobistischen“ Bay… | |
München. | |
In einem sind sich die Fans beider Vereine einig: Fußball hat die Kraft, | |
Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft zusammenzubringen. Die Tribüne ist | |
einer der ganz wenigen Orte, wo die Unterschiede zwischen dem | |
Lufthansa-Piloten und dem Fabrikarbeiter, die beide an diesem Abend | |
gekommen sind, um ihre Mannschaften anzufeuern, für wenigstens ein paar | |
Stunden aufgehoben werden. | |
Nach dem Essen stimmen die Çarşı-Fans ihre Sprechchöre an. Es ist wohl das | |
erste Mal, dass in den Fanräumen der Bayern-Fans die Sprechchöre eines | |
anderen Vereins gesungen werden. Es bleibt an diesem Abend nicht nur bei | |
einer Entschuldigung: Die Münchner Ultragruppen unterstützen die Fans aus | |
Beşiktaş auch, ihre Mannschaft im Stadion sehen zu können. | |
## Keine Tickets für Beşiktaş-Fans | |
Das ist durch die Bewährungsstrafe der Uefa gegen Beşiktaş infolge der | |
Übergriffe von Beşiktaş-Fans in Lyon gar nicht so einfach. Denn die | |
Vereinsführung von Beşiktaş, für die bei weiteren Zwischenfällen eine | |
Sperre auf dem Spiel steht, kaufte keine Karten für die | |
Champions-League-Spiele und forderte ihre Fans auf, zu Hause zu bleiben. | |
Die Vereinsführung des FC Bayern München drohte ihren eigenen Fans schwere | |
Konsequenzen an, wenn sie Tickets an Beşiktaş-Fans weitergeben. | |
Die Beşiktaş-Fans finden trotzdem einen Weg, ihre Mannschaft im Stadion | |
gegen den FC Bayern spielen zu sehen. Man sieht sie zwar nicht, aber man | |
hört sie. Vor allem in der ersten Halbzeit geben sich die lautesten Fans | |
der Welt in verschiedenen Ecken der Allianz Arena inmitten der Bayern-Fans | |
mit Sprechchören zu erkennen. | |
Auch in der Südkurve feuern einige Beşiktaş-Fans lautstark ihre Mannschaft | |
an. Sie ernten dafür ein paar irritierte Blicke, werden aber in Ruhe | |
gelassen. | |
Die freundschaftliche Atmosphäre hält auch nach dem 5:0 Sieg von Bayern | |
München an. Denn wichtiger, als zu gewinnen oder zu verlieren, war bei | |
diesem Spiel die Solidarität zwischen den Fans der beiden Vereine. | |
21 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Kimmerle | |
Erk Acarer | |
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