# taz.de -- ARD-Doku über Russlanddeutsche: Altbekannte Klischees | |
> Die Doku „Deutschland – Heimat – Fremdes Land“ widmet sich dem Verhä… | |
> Russlanddeutscher zur AfD. Impulse für eine neue Debatte gibt sie nicht. | |
Bild: AfD-Politiker Vadim Derksen (rechts) beim Familienbesuch in Sibirien | |
Der Fall Lisa, Pro-Putin-Demos und dann noch Erika Steinbachs Auftritt bei | |
der AfD – in der Berichterstattung über die Russlanddeutschen überwog | |
zuletzt das Bild einer isolierten Bevölkerungsgruppe mit rechtsnationalen | |
Tendenzen. Vor der Bundestagswahl 2017 war die Nähe der Russlanddeutschen | |
zur AfD das große Thema in den Medien. Und das, obwohl Meinungsforscher | |
darauf hinwiesen, dass die Unterstützung der Russlanddeutschen für die AfD | |
dem bundesweiten Trend folgt. | |
Die ARD-Doku „Deutschland – Heimat – Fremdes Land“ widmet sich den | |
viereinhalb Millionen Spätaussiedlern und der Frage, warum immer mehr von | |
ihnen für rechte Parolen empfänglich sind. Mehrere Monate lang begleiteten | |
die Macher, Galina Dick und Rainer Fromm, verschiedene Russlanddeutsche in | |
Nürnberg, Frankfurt, Sachsen-Anhalt – bis nach Sibirien. Klubbesitzer, | |
CDU-Politikerin, aber vor allem: AfD-Mitglieder. | |
Wie sehr hätte man sich einen differenzierten Blick auf die Spätaussiedler | |
und ihr Heimatverständnis gewünscht, der Vorurteile beiseite räumt. Doch | |
das Ergebnis unterscheidet sich kaum von den Beiträgen, die kurz vor der | |
Wahl erschienen. Auch dieser Film zeichnet das düstere Bild einer | |
Parallelgesellschaft, die die deutsche Kultur mit allen Mitteln verteidigen | |
will. | |
„Driftet eine ganze Bevölkerungsgruppe nach rechts außen?“, lautet da sch… | |
die Eingangsfrage, während Bilder von Deutschlandflaggen schwenkenden | |
Demonstranten gezeigt werden. Und das, obwohl die Unterstützungswerte der | |
AfD bei den Russlanddeutschen mit etwa 14 Prozent im bundesweiten | |
Durchschnitt liegen. Trotzdem suggeriert der Film, dass der Großteil rechte | |
Parteien unterstützt. Der Ton: Jahrelang waren sie Vorbildmigranten und | |
jetzt plötzlich offenbaren sie ihr wahres Gesicht – ähnlich wie schon bei | |
der Debatte um die türkischstämmige Community vor dem Referendum in der | |
Türkei. Das führt schnell zu einer klischeehaften Darstellung. | |
## „Bollwerk ihrer Identität“ | |
Los geht’s in einem russischen Klub in Nürnberg, wo es „High Heels für die | |
Damen, glattgebügelte Hemden für die Herren“ gibt, „alles ganz wie in | |
Moskau“. Danach dürfen mehrere russlanddeutsche AfD-Mitglieder erklären, | |
warum die AfD die neue politische Heimat der Spätaussiedler ist. Genauso | |
wie Dimitri Rempel, Vorsitzender der rechtsextremen und Kreml-nahen Partei | |
Die Einheit, die aus Mangel an Unterschriften nicht einmal an der Wahl | |
teilnehmen durfte. Aber: der Mann ist halt Russlanddeutscher. Als Gegenbild | |
dazu folgt der Film Albina Nazarenus-Vetter, CDU-Politikerin aus Frankfurt, | |
die sich gemeinsam mit Russlanddeutschen der zweiten Generation für die | |
Integration von Flüchtlingen einsetzt. | |
Die Wurzeln für die politische Ausrichtung der Russlanddeutschen finden die | |
Filmemacher schließlich in Russland. Dafür begleiten die Regisseure einen | |
russlanddeutschen AfD-Politiker nach Sibirien, sie besuchen einen Ort mit | |
dem deutschen Namen „Halbstadt“ und treffen den Pfarrer einer deutschen | |
Kirche. Und trotzdem bleiben die Erklärungsversuche erstaunlich flach: Die | |
Frömmigkeit der Menschen, ihre Heimatverbundenheit, die sie sich trotz der | |
Repressalien in der Sowjetunion bewahrten, und die Hoffnung, das alles in | |
Deutschland wiederzufinden – das habe die Spätaussiedler geprägt und | |
verleite sie nun dazu, mit der AfD und anderen rechten Parteien zu | |
sympathisieren. „Jetzt fürchten viele um das Bollwerk ihrer Identität.“ | |
Das ist jedoch nur die eine Seite. Was aber unerklärt bleibt, ist die | |
Psyche der Menschen. Kurz kommt der Film auf das Thema sozialer Neid zu | |
sprechen. Doch kein Wort zur Altersarmut unter Russlanddeutschen. Dem | |
sogenannten Fremdrentengesetz, das Spätaussiedlern nur 60 Prozent der | |
bundesdeutschen Rente zugesteht und auf dessen Abschaffung die | |
Russlanddeutschen schon seit Jahren hoffen. Auch das sind Gründe, warum die | |
AfD so ein leichtes Spiel hat, sich als Stimme der Russlanddeutschen zu | |
inszenieren. Die anderen Parteien haben diese Wählergruppe jahrelang | |
ignoriert, genau wie die deutsche Öffentlichkeit, in der die Spätaussiedler | |
oft als „Russen“ gesehen werden. Diese Seite ignorieren die Filmemacher | |
jedoch. | |
Stattdessen überlässt der Film die Deutungshoheit den AfD-Mitgliedern | |
selbst und verheddert sich in einem Hin- und Her aus „Es sind nicht alle | |
so, aber …“ So ähnelt die Doku vielen Beiträgen über die Ostdeutschen und | |
„ihrem Nazi-Problem“: Sie zeigt nur die eine Seite, bedient vorhandene | |
Klischees und setzt keine neuen Impulse für eine Debatte. Das ist schade, | |
denn das Thema bleibt auch in Zukunft wichtig. Die Zahl der Spätaussiedler | |
steigt nämlich weiter. | |
26 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Paul Toetzke | |
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