# taz.de -- Wurde eine Vergewaltigung vertuscht?: Reinwaschung einer Sportikone | |
> Polnische Polizeiakten legen nahe, dass Österreichs Skiheld Toni Sailer | |
> eine Frau vergewaltigt hat. Funktionäre und Politiker deckten ihn. | |
Bild: Toni Sailer im Jahr 2004 | |
WIEN taz | Eine mutmaßliche Vergewaltigung in Polen und die systematische | |
Vertuschung des Verbrechens durch Justiz und Politik verdüstern das Bild | |
des vor neun Jahren gestorbenen Tiroler Sporthelden Toni Sailer erheblich. | |
Ein Recherchercheteam von Radio Ö1, der Tageszeitung Der Standard und der | |
Rechercheplattform Dossier hat am Mittwoch die Ergebnisse ihrer | |
achtwöchigen Nachforschungen veröffentlicht und damit eine Bombe platzen | |
lassen. | |
Toni Sailer (1935–2009), der dreifache Olympiasieger von 1956, mehrfache | |
Weltmeister, Filmstar und Frauenschwarm, war mehr als ein begabter | |
Skifahrer. Er hat nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich zur | |
Identitätsfindung einer gebeutelten Nation beigetragen und Österreich | |
weltweit als Wintertourismusdestination etabliert. Diese Bedeutung erklärt | |
auch, warum die Politik alle Hebel in Bewegung setzte, um den schwer | |
belasteten Sportfunktionäre reinzuwaschen. | |
Was sind die Fakten? Im März 1974 fand im polnischen Zakopane ein | |
Herren-Weltcup-Slalom statt. Toni Sailer als Sportdirektor des | |
Österreichischen Skiverbandes (ÖSV) und die meisten Athleten residierten im | |
Hotel Sport. Bestätigt ist, dass der schon alkoholisierte Sailer am Abend | |
des 4. März von zwei für eine italienische Skischuhmarke arbeitenden | |
Jugoslawen aufs Zimmer eingeladen wurde. Dort stellten sie ihm die damals | |
28-jährige Janina S. vor, eine junge Polin, die als | |
„Nebenerwerbsprostituierte“ beschrieben wird, also die Anwesenheit | |
westlicher Ausländer nutzte, um an harte Währung zu kommen. | |
## „Notzucht“ als schlechter Scherz? | |
Was dann passierte, wird in der polnischen Polizeiakte als „Notzucht“ | |
vermerkt. Dem Österreicher wurde sein Dienstpass entzogen. Toni Sailer hat | |
den Vorfall später als „Falle“ dargestellt. Auch die beiden Jugoslawen, | |
die vom Rechercheteam in Slowenien aufgestöbert wurden, bestreiten den | |
Vorwurf der Vergewaltigung. „Ganz Österreich weiß, dass er getrunken hat. | |
Zum Sexuellen werde ich nichts sagen“, sagte der eine. „Es war ein | |
schlechter Scherz, eine Falle“, der andere. | |
Das Protokoll des Polizeiarztes spricht eine völlig andere Sprache. Darin | |
ist festgehalten: „Prellungen in der Steißbeingegend, Blutgeschwulst der | |
rechten Augenhöhle, Bisswunden am rechten Oberarm, Blutgeschwulst am | |
Knochenrand der rechten Achsel und am Oberschenkel. In Folge dieser | |
Körperschädigungen sind die Körperfunktionen für den Zeitraum bis zu 7 | |
Tagen gestört worden.“ Die beiden Jugoslawen sollen die Frau am Bett | |
fixiert haben, während Sailer sich an ihr verging. | |
Toni Sailer wurde am folgenden Tag festgenommen und rief bei der | |
österreichischen Botschaft in Warschau an. Außenminister Rudolf | |
Kirchschläger intervenierte darauf bei den polnischen Behörden. Schon nach | |
zwei Tagen bekam Sailer gegen eine vom Außenministerium hinterlegte Kaution | |
von 5.000 US-Dollar seinen Pass zurück und durfte das Land verlassen. Die | |
Strafsache ging zunächst als Gruppenvergewaltigung ans Wojwodschaftsgericht | |
in Krakau. | |
## Aus der Gruppenvergewaltigung wurde Körperverletzung | |
Auch die österreichische Justiz musste tätig werden. Denn es galt noch das | |
Strafgesetz aus 1852, dessen Paragraf 36 zur Verfolgung von „Verbrechen der | |
Unterthanen im Auslande“ verpflichtete. Dem entzog man sich dadurch, dass | |
die polnische Justiz kooperierte. Aus der Gruppenvergewaltigung wurde flugs | |
eine „Körperverletzung“, die nach der damaligen Gesetzeslage nur auf Antrag | |
des Opfers verfolgt werden musste. Man kann davon ausgehen, dass Janina S. | |
entschädigt wurde und deswegen darauf verzichtete. Die Frau konnte nicht | |
befragt werden, vermutlich lebt sie nicht mehr. | |
Das Interesse Polens, die heikle Sache aus der Welt zu schaffen, war | |
offensichtlich: Österreich hatte als einer der ersten westlichen Staaten | |
mit Polen einen Außenhandelsvertrag geschlossen und Devisenkredite in | |
Aussicht gestellt. Für Oktober 1974 war ein Besuch des polnischen | |
Ministerpräsident Piotr Jaroszewicz in Wien geplant. Die polnischen | |
Behörden regten also an, Sailer möge „noch vor der Reise des polnischen | |
Ministerpräsidenten Jaroszewicz nach Österreich die seinerzeit erlegte | |
Kaution persönlich in Krakau entgegennehmen.“ | |
Im Dezember meldete die Botschaft dann, die polnische Staatsanwaltschaft | |
habe das Verfahren „aus Rücksicht auf Mangel an gesellschaftlichem | |
Interesse“ eingestellt. Der Österreichische Skiverband, so schreibt Der | |
Standard, soll „mehrfach und herzlich für die Intervention des Herrn | |
Bundesministers gedankt“ haben. | |
18 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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