| # taz.de -- Endlich 18 – Der erste Vollrausch: Auf die harte Tour | |
| > Ein Vollrausch ist, nüchtern betrachtet, weder schön noch heroisch. | |
| > Gehört zum Erwachsenwerden aber irgendwie dazu. Fünf unvergessliche | |
| > Geschichten vom Vergessen. | |
| Bild: Zeit für die Partyzeit? | |
| ## Ich lag quer auf dem Rücksitz des Bürgermeisters | |
| Im Prinzip war der Auftrag einfach. Ich war ungefähr 16 und sollte für die | |
| Cocktail, eine Jugendausgabe der WAZ, einen Artikel über die „Vofife“ | |
| schreiben. Die Vofife war die Abi-Vorfinanzierungsfeier des Gymnasiums | |
| Gevelsberg, ein Highlight für uns Jugendliche. Irgendwann ging dann wohl | |
| etwas durcheinander. Jedenfalls erinnere ich mich nur noch daran, dass ich, | |
| recht vollgesabbert, direkt am Haupteingang der Aula einen Bordstein als | |
| Kopfkissen nutzte. | |
| Bis heute rechne ich es dem damaligen Bürgermeister Klaus Solmecke hoch an, | |
| dass er mich weckte und dann heimfuhr. Ich lag quer auf dem Rücksitz und | |
| bemühte mich, den Bürgermeistermercedes nicht vollzukotzen. Auch wenn ich | |
| später in anderen Zusammenhängen als Lokalreporter auftauchte, war Herr | |
| Solmecke so freundlich, mich niemals mehr darauf anzusprechen. Was den Text | |
| für die Cocktail anging, hatte ich allerdings ein Problem: Ich wachte erst | |
| nachmittags, eine Stunde vor Redaktionsschluss auf, und konnte mich nur | |
| noch an die Autofahrt erinnern. | |
| Der Text erschien dennoch. Anhand eines Werbeposters konnte ich | |
| rekonstruieren, welche Bands gespielt hatten, der Rest war Improvisation. | |
| Auf gewisse Weise erinnere ich mich gerne an diese Erfahrung, aus der ich – | |
| natürlich – gelernt habe. Martin Kaul | |
| ## Was dann passierte, müsste ich recherchieren | |
| Ich war 14 und wir hatten auf dem Schotterparkplatz neben dem Sportheim | |
| einen Geburtstag gefeiert. Weil wir kein Geld hatten, um Alkohol zu kaufen, | |
| fragten wir den Sohn vom Aussiedlerbauern, ob er uns nicht Selbstgebrannten | |
| mitbringen könnte. | |
| Der hatte allerdings 70 Prozent Alkoholgehalt – und schmeckte schrecklich. | |
| Wir mischten das Zeug mit allen möglichen süßen Getränken und waren | |
| innerhalb kürzester Zeit völlig betrunken. Was dann passierte, müsste ich | |
| recherchieren. Ich weiß nur noch, dass mein Vater mich abholte und ich ihm | |
| ins Auto kotzte. Es war der Auftakt zu einer ziemlich üblen Partyzeit. | |
| Der Höhepunkt war vermutlich mein 18. Geburtstag: Ich hatte Flyer verteilt | |
| und alle ins Haus meiner Eltern eingeladen. Es kamen 200 teilweise | |
| volltrunkene Menschen, die unseren Garten verwüsteten, weil ich irgendwann | |
| das Haus abgeschlossen hatte. | |
| Als wir wieder nüchtern waren, stellten wir fest, dass wir außer unserem | |
| Rausch nicht viel gemeinsam hatten. Meine beste Freundin von damals habe | |
| ich behalten, aus dem Sohn des Aussiedlerbauern wurde leider der Dorfnazi. | |
| Katharina Frey | |
| ## Ich schaufelte die Brühe aus dem Fenster | |
| In Bremen heißt der letzte offizielle Schultag am Gymnasium Nulltagefeier. | |
| Alle verkleiden sich und feiern. Ob sie die Prüfungen bestanden haben, ist | |
| zu diesem Zeitpunkt ja noch offen. | |
| Bei uns wählte jeder Leistungskurs ein eigenes Verkleidungsmotto. Mein | |
| Deutsch-Kurs entschied sich für „Steinzeit“, der Englisch-Kurs meiner | |
| Mitbewohnerin für „Siebziger Jahre“. So kam es, dass an jenem Morgen ein | |
| Säbelzahntiger und ein großer „Atomkraft? Nein danke“-Button nach Walle z… | |
| Schulzentrum Rübekamp fuhren. | |
| Nach allerlei Spielen und Getränken wollte meine Freundin – der Button – | |
| leider nicht weiter in die Diskothek ziehen, sondern lieber nach Hause. Ich | |
| bestellte also ein Taxi und überzeugte den Fahrer mit viel steinzeitlichem | |
| Charme, dass wir nüchtern genug waren und ich ganz bestimmt auf seine | |
| Rücksitzbezüge aufpassen würde. Leider hatte ich die Rechnung ohne die | |
| Flasche Xuxu gemacht (Werbeslogan: „Willkommen im Paradies, wo sich | |
| sonnengereifte Erdbeeren und glasklarer Vodka zu einem süßen Date | |
| verabredet haben“). | |
| Der Button konnte während der Fahrt nicht an sich halten, und erbrach sich | |
| erdbeerrot – in meine Hände. Ich schaufelte die Brühe aus dem Fenster. | |
| Immerhin: Die Sitze blieben sauber. Aline Lüllmann | |
| ## Warum schauen mich alle so seltsam an? | |
| Korn gehört in Niedersachsen zum Leben dazu. In meines trat er mit 15, bei | |
| der Party eines Mädchens aus der Parallelklasse. | |
| Ich war mit zwei Freunden dort. Die beiden hatten ihre neuen Freundinnen | |
| dabei und waren entsprechend bald schon wieder verschwunden. Ich blieb. | |
| Eine Freundin war für mich in weiter Ferne, der Korn nicht, und an den Rest | |
| kann ich mich nicht mehr erinnern. | |
| Am nächsten Tag wachte ich zu Hause auf. Es ging mir schlecht, aber es | |
| ging. Am Montag dann, in der Schule, wurde ich seltsam angeschaut. Ein | |
| Trottel aus der A raunte mir auf dem Flur irgendeinen Spruch mit | |
| „Kurbelmaschine“ zu. Im Musikunterricht setzten sich die Mädchen von mir | |
| weg. Nur eine blieb. Sie erzählte mir in der Pause, sie hätte auch mal | |
| besoffen gestrippt. Ich hatte inzwischen erfahren, was ich getan haben | |
| soll: mir bei der Party auf dem Klo bei offener Tür einen runtergeholt. In | |
| einem Alter, wo man schon bei einem für blöd befundenen T-Shirt-Motiv | |
| glaubt, die Welt würde zusammenbrechen und nie wieder heile, war das … nun | |
| ja. Es wirkte. | |
| Ich habe die nächsten zehn Jahre keinen Tropfen Hartalkohol getrunken. | |
| Einen Filmriss hatte ich nie wieder in meinem Leben. Und ich bin froh, dass | |
| es damals noch keine Smartphones gab. Michael Brake | |
| ## Peinlich genug, dass ich meine Kleider nicht fand | |
| Soll ich mich schämen oder stolz sein? Das weiß ich auch nach knapp dreißig | |
| Jahren noch nicht genau. Wahrscheinlich beides. | |
| Ist es toll und mutig, bei der eigenen Geburtstagsfeier im elternfreien | |
| Elternhaus die Gäste zum illegalen nächtlichen Besuch des nahegelegenen | |
| Naturgartenbads aufzuwiegeln, um dort, natürlich, nackt herumzuschwimmen | |
| und zu schreien, bis die Polizei kommt? Nein, so was gehört, jedenfalls in | |
| meiner bierseligen Heimat Nürnberg, eher zum Standardprogramm für | |
| Pubertierende. In Erinnerung bleibt es nur, wenn man sich dabei extrem blöd | |
| anstellt. | |
| Peinlich genug, dass ich meine Kleider auf der Flucht vor den anrückenden | |
| Sicherheitskräften nicht mehr rechtzeitig finden, geschweige denn anziehen | |
| konnte. Schmerzhaft genug, dass ich mir beim Zurückklettern über den Zaun | |
| des Freibads mehrere Wunden zuzog. | |
| Glück genug, dass ich der Polizei entkam und von meiner Schwester mit dem | |
| Nötigsten, also Pflastern und einer Unterhose versorgt wurde. Aber ich? | |
| Soll gelallt haben, dass ich „meine Freunde befreien“ müsse, die in die | |
| Fänge der Polizei geraten waren. Also taumelte ich noch mal los und den | |
| Ordnungshütern direkt in die Arme. Befreit wurde: niemand, zusätzlich | |
| verhaftet: ich. Die gerechten Konsequenzen: Fünfstündiges gemeinnütziges | |
| Laubkehren und ewiges Nachsinnieren, ob dies die sinnloseste oder die | |
| mutigste Aktion meines Lebens war. Lukas Wallraff | |
| 1 Jan 2018 | |
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