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# taz.de -- AfD-Politiker mit Migrationsgeschichte: Gegen einen „Hippie-Staat…
> Yakub Seven ist Aramäer und syrisch-orthodoxer Christ. Er stammt aus der
> Türkei. Seit eineinhalb Jahren sitzt er in Delmenhorst für die AfD im
> Stadtrat.
Bild: In Delmenhorst leben über 3.000 Aramäer. Er ist einer von ihnen: Yakub …
Delmenhorst taz | Eigentlich freut sich Yakup Seven auf Weihnachten. Der
25. Dezember ist ihm heilig, wortwörtlich. Da feiert er schließlich die
Geburt von Gottes Sohn. Morgens drei Stunden Messe, dann große Feier mit
Familie, Freunden und Festtagsbraten. Wenn er aber jetzt in der
Vorweihnachtszeit durch die Fußgängerzone seiner Heimatstadt Delmenhorst
läuft, verkrampft sich etwas in ihm. Überall Kommerz! Weihnachtskitsch!
Und, vielleicht am schlimmsten: Da, wo noch vor wenigen Jahren Sterne die
Passagen schmückten, Symbole für den Stern von Bethlehem, funzeln jetzt
globusartige Kugeln über den Straßen, ganz ohne Botschaft. „Wir verwässern
die besinnliche Zeit aus Rücksicht auf Muslime“, sagt Yakup Seven. Der
59-jährige Aramäer ist syrisch-orthodoxer Christ. Seit eineinhalb Jahren
sitzt er im Stadtrat von Delmenhorst. Für die AfD.
Mit der Partei der Höckes und Gaulands eint ihn, der vor 44 Jahren als
Gastarbeiter aus der Türkei kam, der fehler-, aber nicht akzentfrei Deutsch
spricht, eine diffuse Mischung aus Wut, Angst und Misstrauen – gegenüber
dem demokratischen System, gegenüber der Presse und vor allem gegenüber
Muslimen. „Wenn wir die Gefahren dieser Welt kategorisieren müssten“, sagt
Seven, „wäre für uns der Islamismus die Nummer eins.“
Mit „uns“ meint er seine Glaubensgemeinschaft. In Delmenhorst leben über
3.000 Aramäer, die St.-Johannes-Gemeinde ist eine der größten
syrisch-orthodoxen in Deutschland. Neunzig Prozent dieser Menschen dächten
wie er, behauptet Seven, „auch wenn sie sich aus Angst vor Diffamierung
damit nicht aus dem Fenster lehnen“. Seven sieht seine Meinungsfreiheit
bedroht. Wie er die Welt sieht, erzählt er „den Medien“ deshalb nur vor
seiner eigenen kleinen Drohkulisse.
Im August beim ersten Treffen vor dem Delmenhorster Rathaus zieht er einen
Vertrag aus der Tasche; Kugelschreiber auf Karopapier, eng beschrieben in
akkurater Handschrift. 3.000 Euro hätte er gern, steht da unter Paragraf 6
„Vertragsstrafe“, wenn er falsch oder gegen seinen Willen zitiert werde.
## Angst vor Verdrängung
Jahrzehntelang hat Seven als Fernfahrer gearbeitet. Markante Augenbrauen,
viele Falten um die Augen, er kann herzlich lachen. Oft zumute ist ihm
danach derzeit aber nicht. Er ging in Frührente, um seine kranke Schwester
und die Eltern zu pflegen, hat vier Kinder, vier Enkel – und den Glauben an
die Demokratie verloren. „Irgendwo sitzen ein paar Mächtige und drücken
ihre Agenda durch“, sagt Seven. Früher war er in der CDU, ausgetreten sei
er Mitte der Neunziger, „als das C bei den Unionsparteien Bedeutung
verloren hat“.
Religiöse und kulturelle Identität sind ihm wichtig. Was ihn so sehr um-
und schließlich 2013 in die AfD treibt, ist die Angst vor Verdrängung. In
Pakistan, Indien und Bangladesch sei schon zu beobachten, wie der Islam,
„eine Dominanz- und Herrschaftskultur“, den Hinduismus zurückdränge.
Dasselbe sieht er in Europa auf das Christentum zukommen.
Mit Verdrängung kennen sich die Aramäer aus. Fast alle, die heute in
Delmenhorst leben, stammen aus demselben Dorf, Mizizah, im Gebirgszug Tur
Abdin im Südosten der Türkei. Die Ersten kamen wie Seven als Gastarbeiter
für die große Kammgarnspinnerei Nordwolle, andere als Flüchtlinge. In den
1970er Jahren begannen sich PKK-Kämpfer in den Bergen ihrer Heimat zu
verschanzen. Immer wieder geriet das kleine Volk zwischen die Fronten von
kurdischen Rebellen und türkischem Militär.
In der Türkei sind die Aramäer keine anerkannte Minderheit und entsprechend
in ihrer Religionsausübung beschränkt. Im Tur Abdin darf bis heute ihre
Sprache nicht offiziell gelehrt werden. In Delmenhorst haben sie eine
Heimat gefunden, die wenigsten leben noch in Sozialwohnungen, die Familien
sind groß, die Gemeinde wächst. Seit 2001 steht mitten im Industriegebiet
an der Elsflether Straße eine eigene Backsteinkirche. Ihr Schmuckkästchen
pflegen die Delmenhorster Aramäer mit Hingabe. Rund um das Gotteshaus liegt
selbst bei norddeutschem Nieselregen immer ein Hauch Mizizah in der Luft.
## Die Deutschen liegen ihm emotional fern
An einem Donnerstagvormittag prasselt es auf den Parkplatz vor St.
Johannes. Iskender Sen, 62, sitzt mit einem Dutzend rauchender Männer unter
den Arkaden des dazugehörigen Gemeindezentrums. Das Aramäische, die
Sprache, in der sie sich unterhalten, soll schon Jesus gesprochen haben.
Drinnen, ein großer düsterer Raum mit Theke, sitzen etwa dreißig weitere
Männer – Frauen sind keine zu sehen –, trinken Tee aus kleinen türkischen
Gläsern, spielen Karten: Vereinsheimatmosphäre.
So sei das hier jeden Morgen unter der Woche, sagt Iskender Sen, viele
verbrächten den Vormittag hier, bevor sie gegen Abend ihre Imbisse und
Restaurants öffnen. Er zieht Tisch und Stühle hinter eine flexible
Trennwand in einen hochzeitlich geschmückten Gemeindesaal, viel Weiß,
Tuchbahnen, Doppelthron, Discokugel.
Sen sitzt im Kirchenrat, hat den aramäischen Fußballverein SV Tur Abdin
gegründet. Wie Yakup Seven ist er Ratsherr in Delmenhorst. Allerdings für
die FDP. Für die aramäische Gemeinde ist der Rentner eine Art inoffizieller
Bürgermeister. Täglich ist er von 10 Uhr bis weit in die Nacht im
Gemeindezentrum, ein Ansprechpartner für alle Generationen. Die Jüngeren
rufen ihn „Trainer“. „Wir wollen nur in Frieden leben“, sagt Sen, „wir
haben kein Problem mit den Muslimen vor Ort.“ Austausch gebe es dennoch
kaum. „Uns fällt die Integration in Deutschland leichter“, glaubt er,
„schon allein, weil wir Schweinefleisch essen, wie die Deutschen.“
Die Deutschen – dass er längst selbst einer ist, liegt ihm auch nach vier
Jahrzehnten in Delmenhorst emotional immer noch fern. Nicht nur in
Generation und Migrationsgeschichte, auch in seiner gefühlten
Heimatlosigkeit gleicht er Yakup Seven. Auch der fühlt sich nicht als
Deutscher, obwohl das in seinem Pass steht. Wegen seiner Herkunft, vor
allem aber, weil er Zugehörigkeitsgefühl zum Staat in Deutschland allgemein
vermisst. „Stattdessen werden überall antideutsche Parolen beklatscht und
gestärkt“, schimpft Seven. Eine Nation ohne Stolz? Dann lieber staatenlos.
Ob er mit seinen Sorgen exemplarisch für viele Aramäer in Deutschland
steht, lässt sich schwer überprüfen. Zu ihren politischen Präferenzen gibt
es keine Statistiken. Bei den Kommunalwahlen 2016 fuhr die AfD in
Delmenhorst allerdings ihr niedersachsenweit bestes Ergebnis ein. Auch,
aber nicht ausschließlich wegen der vielen Aramäer, heißt es aus dem
örtlichen Integrationsbeirat und in der Lokalpresse. Jüngst bei den
Niedersachsen- und Bundestagswahlen waren die Delmenhorster Zahlen dann
wieder unauffällig. „Die sind extrem“, sagt Iskender Sen über die AfD, �…
erkennen die allermeisten von uns.“
## Zufrieden mit der Polizei
Wenn er, FDP-Mann, über Flüchtlinge spricht, klingt er dann aber gar nicht
so unähnlich wie die Rechtspopulisten. „In den nächsten Jahren werden viele
muslimische Fanatiker nach Deutschland kommen“, sagt er, „Leute, die mit
Gewalt groß geworden sind.“ Was aus vielen Mündern nach Ressentiment
klingen würde, ist bei Sen untrennbar mit persönlichen ethnischen
Verfolgungserlebnissen verknüpft.
Während des Völkermords an den Armeniern im Ersten Weltkrieg wurden auch
100.000 bis 250.000 Aramäer getötet, gesicherte Zahlen gibt es nicht. Sen
erzählt: „Während der Bürgerkriege in den letzten Jahren haben wir erlebt,
wie in Syrien und im Irak unsere Kinder geschlachtet, unsere Frauen
genommen wurden. Von Muslimen. Natürlich machen wir uns Gedanken.“
Bei besonderen Anlässen, Gemeindefesten, Hochzeiten, postiert Sen deshalb
seit dem Herbst 2015 vier junge Männer vor der Kirche. Bei der Polizei hat
er um besondere Wachsamkeit während der Gottesdienstzeiten am Samstag und
Sonntag gebeten. Die fährt jetzt öfter Streife in der Elsflether Straße.
„Ich bin zufrieden mit der Polizei und dem Staat“, sagt Sen.
Yakup Seven ist das nicht. Wenn er vom Zustand Deutschlands spricht,
benutzt er Formulierungen, die herausstechen aus seinem sonstigen Duktus.
„Hippie-Staat“, „modegewordene Toleranzbesoffenheit“, „gefühlsbesude…
Willkommenskultur“. Seven liest viel, das aber selektiv: Kopp-Verlag und
Junge Freiheit, Weltverschwörungsliteratur, Rechtsesoterik, dazwischen
Houellebecqs Islam-Dystopie „Unterwerfung“.
„Der Islam ist eine politische Religion“, meint Seven, „er will über die
ganze Welt herrschen.“ Was ist mit der moderaten Mehrheit? Müsste man nicht
gemeinsam gegen die Extremisten vorgehen? Seven findet nicht, dass es an
ihm sei, auf andere zuzugehen. „Wenn die friedliebenden Muslime halb so
viel gegen den Islamismus tun würden wie der Westen gegen den Faschismus,
wären unsere Sorgen geringer“, sagt er.
Er hadert mit dem deutschen Umgang mit Migranten, will nicht hinnehmen,
„dass wir einfach so niederknien vor einer fremden Kultur“. Man müsste doch
bloß konsequent von allen Neuankömmlingen fordern: „Ihr habt euch
anzupassen!“ Anpassung – das sei ihnen, den Aramäern, schließlich auch
gelungen.
Seine Erregung ist echt. Wenn Seven spricht, dann ohne Berechnung.
Politikersein, das ist eigentlich nicht sein Ding. Zur Kandidatur für den
Rat mussten ihn Parteikollegen drängen. Sie wollten beweisen, dass man bei
der AfD prinzipiell nichts gegen Migranten habe. Yakup Seven als
Quotenausländer der AfD Delmenhorst? Nein, sagt er. Zwischen seinen
Fraktionskollegen fühlt er sich wohl, im Rat selbst nicht: „Alle unsere
Vorschläge werden erst mal grundsätzlich blockiert.“ Seit dem Beginn seiner
Amtszeit fühle er „psychische Zermürbung“, weil selbst „Wohlfahrtsverb�…
und Gewerkschaften nahelegen, dass man mit AfD-Parteibuch gesellschaftlich
nicht tragbar sei“. Er fühlt sich verfolgt.
So beginnt fast jedes Telefonat mit Yakup Seven mit Misstrauen: Gilt der
Vertrag noch? Kann er sicher sein, dass die Zeitung ihm nicht die Worte
verdreht? Einmal allerdings ist er es, der anruft. Ihm ist ein Bild für
sein Gefühl eingefallen. Dafür, wie seine Sorgen und die seiner
Parteikollegen übergangen würden – „das muss unbedingt noch rein“: Wenn
nachts draußen Hunde bellen, wisse ein Aramäer, da macht sich jemand an das
Haus heran. Man wappne sich. „In Deutschland dagegen steht man auf,
erschießt den Hund und geht wieder ins Bett.“ Yakup Seven ist sich sicher:
Er muss Deutschland, das Haus in dem er doch eigentlich so gerne lebt, um
jeden Preis weiter warnen.
12 Dec 2017
## AUTOREN
Thilo Adam
## TAGS
orthodox
Schwerpunkt AfD
Christen
Delmenhorst
Parteien
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