# taz.de -- Sicherungsverwahrungsfall beim EGMR: Von Straubing nach Straßburg | |
> Ein Verurteilter will freikommen. Er hält seine Verwahrung in Deutschland | |
> für einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. | |
Bild: Eingeschränkter Blick aus dem Fenster: Anstalt für Sicherungsverwahrung… | |
STRAßBURG taz | Der sadistische Mörder Daniel I. war 1999 zu zehn Jahren | |
Jugendstrafe verurteilt worden – und sitzt 2017 immer noch hinter Gittern. | |
Über seinen Fall verhandelte am Mittwoch die Große Kammer des Europäischen | |
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), das Gericht des Europarats. | |
Der Schreinergeselle Daniel I. war 19, als er 1997 in einem Wald bei | |
Kelheim eine Joggerin erdrosselte und über der Leiche onanierte. Zwei | |
Jahre später wurde er wegen Mordes zu zehn Jahren Jugendhaft verurteilt. | |
Sicherungsverwahrung war damals für Täter, die nach Jugendstrafrecht | |
verurteilt wurden, gesetzlich noch nicht vorgesehen. | |
Deshalb hätte Daniel I. 2008 freikommen müssen, obwohl er noch als | |
gefährlich galt. Der Bundestag änderte aber das Jugendstrafrecht. Auch hier | |
kann ein Täter nun in Sicherungsverwahrung gesteckt werden, wenn er nach | |
Verbüßung der Strafe weiter als gefährlich gilt. So geschah es mit Daniel | |
I. | |
Allerdings kassierte das Bundesverfassungsgericht 2011 diese und ähnliche | |
Gesetzesverschärfungen. Daniel I. wurde dennoch nicht entlassen. | |
Stattdessen ordnete das Landgericht Regensburg 2012 erneut | |
Sicherungsverwahrung an. Ein Gutachter hatte ihm krankhaften sexuellen | |
Sadismus mit hoher Rückfallgefahr attestiert. Seit Juni 2013 sitzt Daniel | |
I. in einer neu erbauten Einrichtung in Straubing. | |
Sein Rechtsvertreter Markus Mavany hält das für rechtswidrig: „Das ist eine | |
neue Strafe für den begangenen Mord.“ Strafen dürften aber nicht | |
rückwirkend verhängt oder nachträglich verlängert werden. „Die Einrichtung | |
in Straubing ist auf dem Gelände des Gefängnisses, die Fenster sind | |
vergittert und im Flur gibt es Videoüberwachung“, so der Anwalt. | |
## 550 Sicherungsverwahrte in Deutschland | |
Die Unterbringung sei von einer therapeutischen Einrichtung weit entfernt. | |
Mavany nahm damit auf alte Urteile des EGMR Bezug, die veranlassten, dass | |
rund 40 deutsche Schwerverbrecher aus der Sicherungsverwahrung entlassen | |
wurden, weil diese faktisch eine zweite Strafe sei. | |
Für die Bundesregierung konterte Rechtsprofessor Thomas Giegerich: „In | |
Straubing gibt es eine Unterbringung ähnlich wie in einem psychiatrischen | |
Krankenhaus, das ist keine Strafe mehr.“ Er weiß, dass der EGMR einen | |
rückwirkend angeordneten oder verlängerten Gewahrsam nur bei psychisch | |
Kranken akzeptiert. „Der Mord ist nicht der Grund für die heutige | |
Unterbringung von Daniel I., sondern seine Gefährlichkeit bei einer | |
Entlassung“, argumentierte der Professor. | |
Es gehe um Prävention. Daniel I. komme sofort frei, wenn er nicht mehr | |
gefährlich sei. Es gebe einen detaillierten individuellen Therapieplan für | |
Daniel I. „Er könnte Fortschritte machen – wenn er kooperieren würde“, … | |
der Staatsvertreter. Um die Anforderungen aus Straßburg und Karlsruhe zu | |
erfüllen, habe Deutschland rund 200 Millionen Euro in neue Gebäude | |
investiert und viel zusätzliches Personal angestellt. | |
Derzeit gibt es in Deutschland rund 550 Sicherungsverwahrte. Nach 2011 hat | |
der EGMR schon einige Beschwerden von Straftätern abgelehnt, die als | |
psychisch krank eingestuft wurden, um sie nicht entlassen zu müssen. | |
Diesmal entscheidet erstmals die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer. Es | |
geht also um ein Grundsatzurteil, das aber erst in einigen Monaten | |
verkündet wird. | |
29 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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