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# taz.de -- Wenn Kunst mit der Justiz kollidiert: Ich sehe was, was du nicht si…
> Die Malerin Julia Wegat hat ein Bild gemalt, das sie nicht mehr
> ausstellen darf. Sie kämpft bis zur höchsten Instanz gegen das
> Bilderverbot.
Bild: Julia Wegat darf man zeigen. Ihr Bild „Rapunzel 4“ nicht
Frankleben taz | Es gibt viele Dinge, die Julia Wegat ausmachen. Sie malt
und hat Pferde. Sie lebt allein in einem Schloss. Sie hat eine große
Tochter, gute Freunde und schlimme Feinde. Sie ist aus dem wohlsituierten
München in den Osten gezogen. Sie hat zwei Prozesse verloren und darf eines
ihrer Bilder nicht mehr ausstellen. Seither malt sie nicht mehr. Beim
Bundesverfassungsgericht hat sie Klage eingereicht. Um der Freiheit der
Kunst willen.
Das Bild gehört zu einem Zyklus, in dem sie frei nach den Brüdern Grimm von
Rotkäppchen, Dornröschen oder Rapunzel erzählt, von erschrockenen Kindern
und den Schrecken der Kindheit, Einsamkeit, Versehrtheit. Julia Wegat liebt
Märchen und alte Malerei. Sie kann „richtige Räuberpistolen“ erzählen, w…
man sie in Deutschland vielleicht nur noch hier erleben kann. Wo nach der
Wende Schlösser leer standen, Industriequartiere aufgegeben wurden. Wo ihr
etwas passiert ist, was für eine professionelle Malerin mit das Schlimmste
ist: dass sie ein Bild nicht mehr zeigen darf, sich damit verstecken muss.
Das Dorf Frankleben liegt zwischen Halle und Merseburg in Sachsen-Anhalt.
Früher mal gab es einen Braunkohletagebau, der viele Löcher in der
Landschaft hinterließ und zahlreiche Seen entstehen ließ. Auch Schloss
Unterhof Frankleben, noch in der Renaissancezeit erbaut, ist von Wasser
umgeben; Julia Wegat hat sich dort eingemietet, weil ihre Pferde und der
von ihr initiierte Reitverein Poni e. V. hier eine angemessene Umgebung
gefunden haben.
## Der Stein des Anstoßes: Das Bild eines Mädchens
Es ist stürmisch und kalt bei diesem ersten Besuch an einem Spätwintertag,
die moderne Heizung kämpft gegen Klammheit und die festungsartigen Gemäuer.
Dort, wo früher das Gesinde lebte, über der herrschaftlichen Beletage, hat
sich Julia Wegat häuslich eingerichtet: große Wohnküche, Schlafzimmer, das
Zimmer der Tochter, das Atelier. Wegat, Jahrgang 1969, braune Augen,
breiter Mund, schmale Statur, trägt Jeans, Stiefel mit Sporen und eine
teddyartige Fleecejacke. Ihre dicken langen Haare haben sich wie von selbst
zu zwei angedeuteten Zöpfen eingedreht.
„Hier ist der Stein des Anstoßes“, sagt sie, steht auf und zieht ein an die
Wand gelehntes Bild hervor. Kurzentschlossen hängt sie es an die Wand. Es
zeigt ein junges Mädchen mit schulterlangen blonden Haaren, das den
Betrachter skeptisch anschaut, der rechte Arm stützt den linken Unterarm,
den ein rosafarbener Gips ziert. Der Hintergrund ist blau, das Mädchen
trägt ein rotes Tanktop und ein Tattoo. „Rapunzel 4“, entstanden 2010.
Damals lebte Wegat noch mit ihrer Tochter im nahen Gimritz. Für den
Rapunzel-Zyklus porträtierte sie ihre Tochter sowie zwei Nachbarmädchen,
darunter auch Julia L. Das Einverständnis der Eltern holte sie ein, zeigte
den Familien die Bilder. Die Eltern von Julia L. hätten sogar erwogen, das
Bild zu kaufen, erinnert sich Wegat.
2013 ergibt sich die Möglichkeit einer Ausstellung der „Märchenbilder“ in
der Halleschen Villa Rabe, einem ehemaligen Kinderkrankenhaus, heute von
der Christlichen Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe betrieben. „Ich
habe lange nach einem Kontext gesucht, wo ich den Zyklus zeigen kann“,
erzählt Wegat. Die Grimm-Märchen sind brutal, grausam, Wegats
Interpretationen führten sie auf ihren Kern zurück, auf den ihnen
innewohnenden Schrecken. „Das ist nicht Disney World, das sind keine
Mädchen mit niedlichen Glubschaugen. Meine Bilder haben alle einen sehr
emotionalen Effekt.“ Wegat ist Schülerin des Hyperrealisten Gottfried
Helnwein, sie malt ausschließlich figurativ, ihr Stil ist eindringlich,
fast plakativ, sie liebt Übermalungen, drastische Zuspitzungen. Der
Ausstellungskatalog dankt der Künstlerin und wünscht sich eine „sensible
Auseinandersetzung“ mit ihren „Märchenbildern“ und den „darin
aufgegriffenen Themen von Missbrauch, Gewalt, Verlassenheit und Sehnsucht“.
## Wie das Bild verboten wird
Ausgerechnet in der katholischen Wochenzeitung Tag des Herrn erscheint
damals eine kurze Ausstellungsbesprechung unter der Überschrift
„Öffentlichkeit für ein Tabuthema“, daneben eine Abbildung von Wegats
„Rapunzel 4“. Dass dieses Bild mit ihrer Tochter, deren Name in keiner
Weise auftaucht, in den Zusammenhang von Missbrauch gerückt wird, gefällt
Familie L. nicht. Sie verlangt – die Ausstellung ist längst vorbei –, dass
die Künstlerin das Bild nicht mehr öffentlich zeigen darf und von ihrer
Website nimmt. Dazu ist Julia Wegat nicht bereit, Familie L. klagt beim
Amtsgericht Halle – und gewinnt. Für das Gericht zählt die Verletzung des
Persönlichkeitsrechts mehr als die Freiheit der Kunst. Das Bild angeschaut
haben sich die Richter nicht.
In der Urteilsbegründung vom 19. 11. 2015 (AZ 104 C 1142/15) heißt es: „Die
Klägerin, wie auch ihre Eltern, halten den Kontext, in welchem das Bild
gezeigt wurde, für unzulässig. Nach ihrer Auffassung wird dadurch in der
Öffentlichkeit der falsche Eindruck vermittelt, die Klägerin sei das Opfer
von häuslicher Gewalt und Missbrauch in der Familie geworden.“ Das
Revisionsverfahren im Juni 2016 beim Landgericht Halle verliert Julia Wegat
ebenfalls, hier argumentiert das Gericht mit dem Vertragsrecht, das in
besonderen Fällen kündbar sei.
Familie L. will sich heute nicht mehr mit der Angelegenheit befassen, ihre
Sicht der Dinge schildern. „Es gibt unsererseits keine ‚Version‘ “,
schreiben sie in einer E-Mail, „sondern nur Tatsachen – und die stehen im
Gerichtsurteil.“ Und Tochter Julia, mittlerweile volljährig, antwortet:
„Diese Sache ist für mich durch, wir haben recht bekommen und das Bild
wurde verboten. Weiter möchte ich mich dazu nicht äußern.“
Frieder Badstübner hat als Leiter der Villa Rabe 2013 die Ausstellung der
„Märchenbilder“ organisiert, das Vorwort im Katalog geschrieben. „Bei dem
Bild kommt man gar nicht auf die Missbrauchsidee“, sagt er am Telefon. „Für
mich strahlen die Rapunzel-Mädchen erst mal Selbstbewusstsein aus.“
Verletzlichkeit, Trotz und Aufbegehren – für Julia Wegat sind das Mädchen
am Rande der Pubertät, wie ihre eigene Tochter Susanna, die zweimal als
Rapunzel gemalt wurde. Auch sie mit Gipshand.
## Julia Wegat will für ihr Bild kämpfen
Susanna Laves, 22, studiert heute in Halle, wo sie zu einem Treffen ins
Bahnhofscafé kommt. Die juristischen Auseinandersetzungen haben stark in
ihr Leben hineingewirkt. „Was bringen uns diese Begriffe wie Kunstfreiheit
eigentlich?“, fragte sie sich. Sie begann Jura zu studieren, mittlerweile
hat sie das Fach aufgegeben. Sie ist häufig in Frankleben, wo sie Kinder
und Jugendliche beim Reiten trainiert. Modellstehen war als Kind ganz
normal für sie, erzählt sie. Und sie erinnert sich an die komische
Situation, dass damals sowohl sie als auch Julia L. sowie eine weitere
Freundin tatsächlich einen Gipsarm hatten. Zufällig. Das habe ihre Mutter
inspiriert. „Es ist doch klar, dass ich kein misshandeltes Kind bin“, sagt
Susanna Laves. „Und dass nicht ich die auf dem Bild bin.“ Alle Kunst habe
grundsätzlich eine Fiktionalitätsbehauptung, sei ausgedacht, sagt auch ihre
Mutter. „Das ist nicht Julia L., sondern Julia L., wie ich sie sehe, als
Rapunzel. Es ist eine Fiktion. Wieso bekommen die recht?“
Julia Wegat will sich mit dem Verbot nicht abfinden. „Hätte ich damals das
Bild aus dem Internet genommen und eine Unterlassungserklärung
unterzeichnet, wäre alles vom Tisch gewesen“, sagt sie. „Aber das geht doch
nicht!“ Sie deutet auf die Bilder, die an der Wand ihrer großen Wohnküche
im Schloss hängen. Sie zeigt die Kammer, wo aufrecht aneinandergelehnt ihre
Bilder stehen. „Ich bin Porträtistin. In Zukunft kann man mit dieser
Begründung jedes Bild verbieten. Man macht sich erpressbar.“
Julia Wegat ist eine disziplinierte Arbeiterin. Tagsüber kümmert sie sich
um die Pferde, reitet, gibt Unterricht, abends geht sie ihrer Kunst nach.
Sie lebt davon – hin und wieder verkauft sie eins ihrer älteren Bilder. Sie
hat in München bei Ben Willikens und Gottfried Helnwein studiert, war
angekommen im Kunstbetrieb, konzipierte Projekte und Performances, bevor
sie sich zum Umzug entschloss. „Der ist zu hundert Prozent gelungen.“ Sie
lacht. Ihrer Tochter wegen ging sie nicht etwa nach Afrika, sondern zog in
den Saalekreis bei Halle.
Hat sie keine Angst, hier allein zu leben? „Ich habe einen großen bösen
Hund.“ Wegat lächelt. Vom Hund ist auch im September, beim zweiten Besuch,
nichts zu sehen oder zu hören, aber Wegats Katzen haben Nachwuchs bekommen
und es ist schon wieder klamm in den Gemäuern. Ins Atelier geht sie nachts.
„Naturlicht verändert sich ständig“, sagt sie, „selbst meine Filme sehen
aus wie aus der Barockzeit. Ich habe da was ganz Altes. In der modernen
Kunst bin ich nicht zu Hause.“ Nach dem Urteil malte Wegat eine Zeit lang
Menschen ohne Kopf – aus Protest, dann hat sie auch damit aufgehört.
Seither fotografiert und schreibt sie ausschließlich, verarbeitet das Ganze
in einem Blog namens „Libertas Haus“. Eine Art Fotoroman und Livekommentar
auf ihre Situation als Künstlerin und Außenseiterin im Dorf, die viele
Anfeindungen einstecken muss. „Bis hin zum Vorwurf der Kinderpornografie.“
## Vor der Klage beim Bundesverfassungsgericht
Auf dem Gelände hinter dem Schloss gibt es Wiesen, Koppeln, das
Vereinshaus. Ein Mädchen, vielleicht 16 Jahre alt, probiert sich auf einem
Hengst aus. Nero verweigert die schnellere Gangart, Julia Wegat gibt Tipps.
Dranbleiben, stur bleiben. Das kann sie gut. Ist Julia Wegat eine, die
schnell aneckt? „Ich finde mich nicht so renitent“, sagt sie. „Ich bin
eigentlich viel zu angepasst. Immer alles so schön, so ästhetisch. Mir ist
das jetzt einfach passiert.“ Gerade schaut sie sich nach neuen
Räumlichkeiten für den Verein und die Pferde um, ihren Mietvertrag hat sie
zum 1. Januar gekündigt.
Klage beim Bundesverfassungsgericht hat Wegat bereits im Juli 2016
eingereicht, ob diese zugelassen wird, ist ungewiss. Artikel 5, Absatz 3
des Grundgesetzes schützt insbesondere die Freiheit von Wissenschaft und
Kunst; Artikel 12, Absatz 1 gilt der Berufsfreiheit. Wegats früherer
Anwalt, Kunstrechtsexperte Jan Weber, ist hinsichtlich der
Erfolgsaussichten skeptisch. „Das Urteil des Landgerichts Halle ist stark
auf den Einzelfall abgestellt und so formuliert, dass es die Grundrechte
zwar behandelt, aber nicht abwägt“, meint er am Telefon. Sollte aber
Karlsruhe die Klage zulassen und das Urteil in Bezug auf Kunst- und
Meinungsfreiheit einer kritischen Prüfung unterziehen, dann, da ist er
sicher, werde es „positiv entscheiden“.
Für Julia Wegat ist das Verbot ihres Bildes ein Präzedenzfall. Sie hat eine
Petition im Internet gestartet, Verbände und Abgeordnete angeschrieben. Der
Münchner Kunstverein hat sich mit ihr solidarisiert, der Bundesverband
Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) hat dies abgelehnt. Für deren
Sprecher Werner Schaub handelt es sich um einen Einzel- und keinen
Präzedenzfall. „Es ist eine Abwägung zwischen Grundrechten, die das Gericht
vorgenommen hat“, erklärt er. Urheberrecht versus Persönlichkeitsrecht.
„Das muss man akzeptieren. Und eine Erlaubnis zur Abbildung kann jederzeit
widerrufen werden, so die rein rechtliche Lage. Das ist zwar bedauerlich,
aber es war in diesem Fall leider das Risiko der Künstlerin.“
Schaub gehen auch Formulierungen wie „Bilderverbot“ zu weit, sie werden als
pauschalisierend empfunden. Julia Wegat will keinen Vergleich mit dem
Verbot so genannter entarteter Kunst im Nationalsozialismus ziehen.
Trotzdem sagt sie: „Früher hätte ich nie gedacht, dass ein Bild verboten
werden kann.“ Und setzt hinzu: „Wir sind doch nicht bei den Nazis.“
## Das Bild ist teurer geworden
25.000 Euro Strafe drohen, wenn sie in Zukunft das Bild ausstellt. „Die
Geschichte konnte mir nur hier so passieren“, ist Wegat überzeugt. „In
München hätten die Leute das Bild einfach gekauft.“ Sie bekommt viele
Anfragen von potenziellen Käufern. Der Preis des Bildes ist gestiegen. Aber
verkaufen will sie es derzeit nicht. Am 5. November will sie noch einmal
einen Versuch machen, um auf ihr Problem aufmerksam zu machen. Für die Hal
Art, eine kleine Kunstmesse in Halle, hat sie einen Stand gemietet. Dort
wird sie, aus Protest, „Rapunzel 4“ mit dem Rücken zu den Betrachtern
aufhängen. Die Künstlerin wird anwesend sein.
23 Oct 2017
## AUTOREN
Sabine Seifert
## TAGS
Moderne Kunst
Justiz
Leben mit Behinderung
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