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# taz.de -- Ägyptens WM-Qualifikaton: Frühling nach dem Absturz
> Mit der WM-Qualifikation gelingt Ägyptens Fußball ein Befreiungsschlag.
> Lange hat sich das Land nach einem Team gesehnt, das es unterstützen
> kann.
Bild: Der ägyptische Torwart Essam el-Hadary sitzt nach dem Spiel jubelnd auf …
Dem TV-Kommentator des ägyptischen Fernsehens versagte umgehend die Stimme,
als Mohamed Salah den Ball in der fünften Minute der Nachspielzeit vom
Elfmeterpunkt ins Tor befördert hatte, aber das war in diesem Augenblick
vollkommen egal. Den Mann wollte ohnehin niemand mehr hören, nachdem das
ganze Land gerade in einen Zustand kollektiver Ekstase gestürzt war. Salah
hatte Ägypten mit seinem verwandelten Strafstoß zur Weltmeisterschaft nach
Russland geschossen, zum ersten Mal seit 1990 ist das Land bei einer WM
dabei. Die Spieler, das Stadion, die ganze Nation gerieten in einen Zustand
wilder Euphorie.
Noch in der Nacht gab der Gouverneur von Salahs Heimatprovinz bekannt, dass
eine Schule nach dem Helden benannt werde, der Superstar aus Liverpool
hatte auch den anderen Treffer zum 2:1-Sieg gegen den Kongo beigesteuert
hatte. „Die Leute hier haben sich sehr lange nach einem Team gesehnt, das
sie unterstützen können“, sagte Trainer Hector Cuper, der sich ohne die
Erlösung in der Nachspielzeit auf einen Sturm der Empörung hätte einstellen
können. Vor der Partie habe er Kreislaufmedikamente nehmen müssen, weil er
trotz der Erfolge heftig für die defensive Spielweise kritisiert wurde.
Kommentatoren sind ja nicht selten geneigt, die gesellschaftspolitische
Dimension des Erfolgs hervorzuheben, wenn kleine Fußballnationen sich für
ein großes Turnier qualifizieren, in diesem Fall geht es aber gar nicht
anders. Denn Fußball und Politik sind in Ägypten so eng miteinander
verflochten wie in kaum einem anderen Land. Fußballfans aus Kairo waren
eine treibende Kraft in den Revolutionstagen des Frühjahrs 2011. Damals
kämpften die zuvor verfeindeten Ultra-Gruppierungen der beiden Kairoer
Großklubs Al Ahly und Zamalek die Nil-Brücken frei, so dass die
Demonstranten auf den Tahrir-Platz ziehen konnten. Die Ultras waren Kämpfe
gegen die Polizei gewohnt.
Doch zugleich waren der Arabische Frühling und seine Folgen der Beginn des
sportlichen Untergangs. 2012 kam es in der Mittelmeerstadt Port Said zu
einem Stadionunglück, 74 Menschen kamen damals unter dubiosen Umständen ums
Leben. Die Anhänger des Kairoer Klubs Al Ahly waren in ihrer Kurve
eingesperrt und die Polizei half ihnen nicht, als sie von bewaffneten
gegnerischen Anhängern angegriffen wurden. Vieles deutet darauf hin, dass
es sich um einen Racheakt von Revolutionsgegnern handelte. Anschließend
wurde der Ligabetrieb für zwei Jahre komplett eingestellt, dann fanden die
Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der nationale Fußball lag
am Boden, das Verbandsgebäude wurde niedergebrannt, und die
Nationalmannschaft scheiterte nicht nur an der Qualifikation für die WM
2014, sondern verpasste auch die drei Afrika-Cups der Jahre 2012, 2013 und
2015.
Dabei war zuvor Ägypten die dominierende Kraft des Kontinents und gewann
die Afrika-Cups der Jahre 2006, 2008, 2010. „Damals spielten fast alle
unsere Spieler in der heimischen Liga“, sagte der Routinier Ahmed
Elmohamady kürzlich, der Wettbewerb funktionierte, die Profis wurden
ordentlich bezahlt, und ein Wechsel nach Europa schadete dem
gesellschaftlichen Status der Familien. Dann hätten der Arabische Frühling
und „jeden Einzelnen und das ganze Team massiv getroffen“, so der
Verteidiger von Aston Villa.
Inzwischen sind viele Leistungsträger wie Salah in größeren europäischen
Ligen unterwegs, und diese Erfahrungen gelten als zentrales Erfolggeheimnis
der Ägypter, die nach den vom deutschen Trainer Gernot Rohr betreuten
Nigerianern als zweiter afrikanischer WM-Teilnehmer feststehen.
9 Oct 2017
## AUTOREN
Daniel Theweleit
## TAGS
WM-Qualifikation
Ägypten
Fußball
Schland
WM-Qualifikation
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