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# taz.de -- Türkische AkademikerInnen: Freiheit der Wissenschaft in Gefahr
> Akademiker*innen aus der Türkei bekommen auch in Deutschland Repressionen
> zu spüren. Türkische Nationalisten haben versucht, ein Workshop in Berlin
> zu den Massakern an Armeniern zu sabotieren.
Bild: Totengedenken für die Opfer der Massaker im Osmanischen Reich. Hier im J…
Gegner der Genozid-Forschung, allen voran die nationalistische und
kemalistische Vatan-Partei, haben WissenschaftlerInnen in der Türkei in den
letzten Wochen gezielt daran gehindert, am vergangenen Wochenende an einer
Tagung der Workshop-Reihe „Workshops über armenische und türkische
Forschung“ (WATS) in Berlin teilzunehmen.
Die Tagungen zur Forschungslage rund um das Massaker an den Armeniern
finden regelmäßig – und unabhängig von aktuellen politischen Ereignissen �…
seit 2000 in unterschiedlichen Ländern statt. Zuletzt 2015 in Istanbul. Die
Tagung richtete in diesem Jahr das Lepsiushaus in Potsdam gemeinsam mit den
Universitäten Michigan und Südkalifornien in der Europäischen Akademie in
Berlin aus.
Das Lepsiushaus ist eine Begegnungs- und Forschungsstätte zur Aufarbeitung
insbesondere des Genozids an Armeniern. Rolf Hosfeld vom Lepsiushaus sieht
in der Kampagne von Ultrationalisten gegen die Tagung den Versuch,
innenpolitisch Stimmung zu machen. „Wir wollen die Türkei nicht anklagen.
Wir wollen nur über wissenschaftliche Fragen diskutieren.“
Eine der prominentesten Stimmen auf der gegnerischen Seite ist der
Genozidleugner Doğu Perinçek, Vorsitzender der Partei Vatan, zu deutsch
Vaterland. In der Tageszeitung Aydınlık (Aufklärung) verbreitet er als
Autor seine kemalistischen und ultranationalistischen Thesen. In der
Aydinlik ist von „Türkeifeindlichkeit“ und einem „Irrglauben an einen
Genozid“ die Rede, wenn über die Tagung berichtet wird.
## Vorwurf: „Beleidigung des Türkentums“
Andere lokale Medien haben die Kampagne der Partei aufgegriffen. Perinçek
selbst betrachtet den Zweck der Berliner Tagung als „Kriegspropaganda der
USA.“ Diese trachteten danach, die Türkei zu teilen um im Südosten des
Landes ein „Großkurdistan“ zu errichten und damit ein „zweites Israel.“
Perinçek forderte den türkischen Hochschulrat (YÖK) auf, „die Universität…
und ihre Lehrbeauftragten an diesen türkeifeindlichen Aktivitäten zu
hindern.“
Die Medienkampagne trägt Früchte: Eine andere kemalistisch-nationalistische
Partei, Halkın Kurtuluş Partisi (HKP), auf deutsch etwa: Partei zur Rettung
des Volkes, erstattete bei der Oberstaatsanwaltschaft in Istanbul Anzeige
gegen die Präsidenten der Universitäten Koç und Sabancı, und gegen die
Akademikerinnen Hülya Adak und Zeynep Türkyilmaz – wegen Beleidigung der
Türkentums nach Paragraph 301.
Exil-WissenschaftlerInnen sehen hier einen massiven Übergriff – ausgehend
nicht nur von der Vatan-Partei. „Der türkische Staat attackiert die
Freiheit der Wissenschaft nicht mehr nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen.
Er interveniert auch in Ländern, in denen derzeit AkademikerInnen aus der
Türkei gezwungen sind, vor politischer Verfolgung ins Exil zu gehen,“ sagen
die „Akademiker*innen für den Frieden“ in Deutschland. Diese Haltung der
Türkei sei mittlerweile zu einem internationalen Problem geworden.
## Genozidleugner zu Gast in der Bundespressekonferenz
Die Sabancı-Universität erklärt in einer Pressemitteilung, dass sie nicht
als Institution an der Tagung beteiligt sei. Es stehe angestellten
WissenschaftlerInnen frei, die Ergebnisse ihrer Forschung in der
Öffentlichkeit zu teilen – unabhängig von der Forschungsstätte, an der sie
tätig sind. Sehr zum Ärger der Universität halten die Kritiker das Logo der
Hochschule auf der Webseite der Workshop-Veranstalter für einen eindeutigen
Beweis für deren Unterstützung.
Zwischenzeitlich wurde das Logo gelöscht. Aufgrund der Medienkampagne
konnte Hülya Adak von der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität
an der Tagung nicht teilnehmen, auch andere Lehrbeauftragte von türkischen
Universitäten waren betroffen.
Am vergangenen Donnerstag ist Doğu Perinçek auf Einladung einer türkischen
Nachrichtenagentur zu Gast im Haus der Bundespressekonferenz. Seine dort
verbreitete These lautet, dass Universitäten keine Gerichte und
Wissenschaftler keine Richter seien, die darüber entscheiden können, ob die
Ereignisse von 1915 tatsächlich als Genozid einzustufen sind. Dies könnten
nur Internationale Gerichtshöfe oder Gerichte des betreffenden Landes
entscheiden, so Perinçek weiter.
## „Erst recht über den armenischen Genozid sprechen“
Bei der Gelegenheit weist er auf ein Gerichtsurteil des Europäischen
Gerichtshofes hin. 2015 erkannte der Gerichtshof Perinçek im Rahmen der
Meinungsfreiheit das Recht zu, den Genozid zu leugnen. Zugleich verwies das
Gericht damals auf das Völkerrecht. Es könne nicht darüber entscheiden, ob
es sich bei den Ereignissen von 1915 tatsächlich um einen Genozid handele.
Perinçek wollte an der Tagung teilnehmen wie einige andere Gegner der
Genozid-These aus kemalistisch-nationalistischen Parteien und Vereinen in
Deutschland auch – aber keiner der Gegner bekam eine Zusage.
„In diesem Klima müssen wir erst recht über den armenischen Genozid
sprechen“, glaubt Yektan Türkyilmaz, einer der Teilnehmer der Tagung. „Die
Türkei hat heute ähnliche Probleme. Heute sind andere Gruppen und
Gesellschaften in Gefahr.“ Zu den Bedrohten gehören die
Wissenschaftler*innen, die sich in der Türkei für den Frieden einsetzen.
Die „Akademiker*innen für den Frieden“ sammelten im Jahr 2016
Unterschriften für ein Ende des Millitäreinsatzes der türkischen Armee in
den südöstlichen Gebieten der Türkei. Viele wurden daraufhin suspendiert.
Laut den Akademiker*innen für den Frieden befinden sich mehr als Hundert
Wissenschaftler*innen aus der Türkei nun in Deutschland.
Türkische Behörden haben gestern erneut versucht, Einfluss auf eine, in
Berlin geplante Veranstaltung zu nehmen. Bei der von der Stiftung,
„Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) geförderten Veranstaltung
handelt es sich um einen Workshop mit dem Titel „Genozid im Schulunterricht
am Beispiel des Osmanischen Genozids“. Das türkische Außenministerium hat
gestern deshalb den deutschen Botschafter Martin Erdmann einbestellt.
19 Sep 2017
## AUTOREN
Hülya Gürler
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