# taz.de -- Deutsches Hutmuseum: Wider die Unbehaustheit des Kopfes | |
> Das Ende der Hutära: Die Stadt Lindenberg im Allgäu hat aus ihrer ehemals | |
> größten Hutfabrik das Deutsche Hutmuseum gemacht. | |
Bild: Trödelware Hut | |
Ein Hut behütet uns. Verwandelt er uns auch? Macht er aus Udo Lindenberg | |
ein Markenzeichen, macht er aus einer Königin die unverwechselbare Queen? | |
Oder muss man heutzutage wenigstens Queen sein, um noch einen Hut zu | |
tragen? Der Gästeführer im Lindenburger Hutmuseum spricht von 5.000 Hüten, | |
die die englische Königin schon getragen haben soll. Und, was den Udo | |
angeht, der heiße nur zufällig Lindenberg und nicht etwa deshalb, weil er | |
mit Lindenberg etwas zu tun hätte. Auch wenn sein berühmter Hut aus | |
Lindenberg stammt. Der Hut ist ein Spezialmodell der Traditionsfirma | |
Mayser. | |
Hüte im Museum. Die Stadt Lindenberg im Allgäu (früher das „Klein-Paris“ | |
der Hutmode) hat aus ihrer ehemals größten Hutfabrik das Deutsche Hutmuseum | |
gemacht. Dabei war es erst gestern, dass alle Welt Hut trug. Ohne Hut ging | |
niemand aus dem Haus. Hutkultur war Massenkultur, Hüte waren unverzichtbar, | |
sie gehörten zum Dresscode. Ohne seinen Hut war ein Mann kein Mann. | |
Udos Hut, ein Hut der Queen, ein original Luis-Trenker-Hut, eine Papstkappe | |
und andere Raritäten befinden sich in speziellen Vitrinen. Sie umrahmen die | |
zentrale künstlerische Installation des schicken Lindenberger Hutmuseums, | |
den Hut-Tornado. Auf sechs dunklen Stahlstangen wirbeln hier weiße Hüte in | |
großzügigen Ellipsen vom Boden zur Decke empor. Die unterschiedlichen | |
Nachbildungen markanter Hutformen sollen, so die museumspädagogischen | |
Überlegungen, den Betrachter in die abwechslungsreiche Kulturgeschichte des | |
Huts hineinziehen. Genauso gut kann man jedoch sagen, mit dem Hut-Tornado | |
ein Sinnbild für das Ende der Hut-ära vor sich zu haben: Ein großer Sturm | |
hat sie einfach von den Köpfen der Menschen gefegt. Wusch und weg. | |
## Unglaubliche Kreativität | |
Wenn überhaupt, dann trägt heute alle Welt (Baseball)Caps oder | |
(Fahrrad)Schutzhelme. Aber viele Modelle und Markennamen kennen wir noch. | |
Etwa die Panamas, die Strohhüte, die Stetson- und Borsalino-Hüte, die | |
Fedoras, die Western- und Indiana-Jones-Hüte, die Homburger und Zylinder | |
und Trachten- und Matrosenhüte oder Schlapphüte, Wagenräder, Schiffchen, | |
Glocken. | |
Eine unglaubliche Kreativität ist in die Gestaltung von Hüten eingeflossen. | |
In Lindenberg fühlt sich diese Historie an wie der Normalzustand. Hüte so | |
selbstverständlich wie die Hutmetaphern in der Sprache. Wenn beispielsweise | |
jemand auf der Hut ist. Oder alles unter einen Hut bringen will. Außerdem | |
war der Hut immer ein Eckposten von Konventionen und machte deutlich, wo | |
jemand gesellschaftlich stand oder stehen wollte. | |
Zu römischen Zeiten soll es üblich gewesen sein, einem Sklaven anlässlich | |
seiner Freilassung einen Hut zu schenken. Damit erwarb er das Recht, sich | |
vor der Unbill der Natur zu schützen, vor dem Regen wie vor der Sonne. Was | |
der Hut aus einem Sklaven macht: Er macht ihn zu einem normalen, einem | |
freien Menschen. Ursprünglich ging es im Allgäu um den Schutz, den ein Hut | |
bietet. Wie überall auf der Welt. Der Ernte- oder Feldhut, der vor der | |
Sonne schützt, ist in allen Kulturen bekannt. In Asien wurde (und wird) er | |
aus Reisstroh gefertigt, in Kuba sind es Kokosnussblätter, im Allgäu war es | |
das Weizenstroh. Dass ausgerechnet Lindenberg zum Zentrum der Hutproduktion | |
avancierte, hatte mit seiner guten Lage an einer alten Handelsroute über | |
die Alpen zu tun und im besonderen mit einem florierenden Pferdehandel nach | |
Norditalien. | |
Hutexport und Pferdehandel konnten kombiniert werden. Aus Italien gelangte | |
das Know-how für besonders feine und modische Hüte ins Allgäu – was | |
wiederum die Produktion anregte. Bereits 1755 wurde die erste Hut-Compagnie | |
mit Arbeitsteilung und Lohnarbeit gegründet. Im Jahr 1900 gab es in | |
Lindenberg und der näheren Umgebung 34 Strohhuthersteller, darunter 14 | |
Hutfabriken mit rund 3.000 Beschäftigten. Die Hochkonjunktur hielt bis zum | |
Ersten Weltkrieg. 1913 wurden noch 8 Millionen Strohhüte hergestellt. | |
## Die Biedermeier-Schute | |
Wie dies vor sich ging, welche Techniken und (Näh)Maschinen genutzt wurden, | |
lässt sich vor Ort bestens erkunden. In der dritten Etage der ehemaligen | |
großen Hutfabrik befinden sich heute „Themeninseln“ zur Fabrikation. Hier | |
werden wir auch an die Armutsbedingungen der Landbevölkerung erinnert, die | |
sich vor Jahrhunderten in den langen und dunklen Winterzeiten über | |
Strohreste hermachte. Nicht dass man wie im Märchen das Stroh zu Gold | |
drosch – man flocht es zu Borten, aus denen sich Hüte zusammennähen ließen. | |
Aber zurück zur Etage des Luxus und der Moden, wo sich die beispiellose | |
Karriere des Matelot, des Allgäuer Strohhuts, in großformatigen Fotos und | |
Arrangements spiegelt. Der flache Strohhut mit seiner geraden Krempe und | |
dem Hutband war Kult. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts war er der Inbegriff | |
von Sommerfrische und Freizeit. In den wunderbaren Malereien französischer | |
Impressionisten wie Renoir, Monet oder Manet machen junge Männer in | |
Strohhüten beim Picknick im Grünen oder in Pariser Straßencafés immer eine | |
gute Figur und gute Stimmung. Das fluffige, weibliche Gegenstück jener Zeit | |
war der Florentiner. Ein leichter Hut mit leicht gewölbtem Kopf, mit | |
breiter Krempe und Bändern, der aus Frauen schöne Sommergeschöpfe machte. | |
Und heute noch ein gewisses Ambiente verspricht, ein Toskanagefühl – oder | |
doch zumindest eine moderne Landlust oder Landliebe. | |
Aber daneben sichten wir auch das andere Erfolgsmodell jener Zeit, den | |
Biedermeierhit „Schute“. Und der schockiert uns. Denn Schute hieß im | |
Volksmund auch Scheuklappe. Ein Strohhut, der der klassischen Haube | |
nachempfunden ist, aber durch weit vorgewölbte Sicht- und Seitenblenden | |
exzessiv weiterentwickelt wurde. Eine Kopfbedeckung hart am Rande der | |
Vermummung. Ein Hut, der nicht schön ist, aber klarmacht: Seine Trägerin | |
ist „unter der Haube“, sie ist in der Obhut eines Mannes, sie braucht nicht | |
richtig zu hören, sie braucht auch nicht nach links oder rechts zu gucken | |
und wird selbstverständlich auch von niemandem richtig gesehen. Die Schute | |
macht aus Frauen Unmündige. | |
Der Maler Spitzweg hat kleinbürgerliche Szenen mit Schute festgehalten, | |
etwa beim „Sonntagsspaziergang“. Sein berühmtes Bild ist eine milde | |
Karikatur. Die Schute landete auf dem Müllhaufen der Geschichte. Und wir | |
weinen ihr keine Träne nach. Auch die Zylinder betrauern wir nicht, auch | |
nicht die Dreispitz und die Wagenräder mit ihren getürmten Federn, | |
Früchten, toten Tieren. Aber was passiert ganz ohne Hut? Sind Frauen und | |
Männer nun vollkommen befreit? Oder eher obdachlos? Und schutzlos vor | |
UV-Strahlung, vor Botschaften jedweder Art? | |
## Der Hut ist immer ein Auftritt | |
Das Ende der Hutära ist vielleicht ein Kulturverlust. Die Schriftstellerin | |
Elfriede Jelinek geht in einem Essay einer noch nie beachteten Funktion von | |
Hüten nach: „Sie würden, ließe man sie, oben den Körper gefälligst gefä… | |
abschließen, dass man erkennt, wo der Mensch oben endet . . .“ Und sie | |
traut sich selbst nicht, in der Öffentlichkeit Hüte zu tragen, aus Angst | |
davor, ausgelacht zu werden. Denn heute, wo alle Welt rast, fliegt, rennt, | |
fährt, sind Hüte schlichtweg unpraktisch. Aber „mit Hut ist es immer ein | |
Auftritt“. | |
Also rasen alle barhäuptig um die Welt. Die Gesetzmäßigkeiten der modernen | |
Weltordnungen erfordern Beschleunigung auf allen Ebenen und Flexibilität in | |
jederlei Hinsicht. Und so wirken die mobilen Eliten seltsam unbehaust. Der | |
Wirbel hat nicht bloß die Hüte erwischt, sondern auch immer mehr Menschen. | |
Einen Tag lang im Museum – und wir wünschen allen Rasenden und Eifernden | |
die Hüte zurück. Ein Hut will getragen sein, er benötigt Aufmerksamkeit, | |
Zuwendung. Er entschleunigt. | |
16 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Christel Burghoff | |
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