| # taz.de -- Nachruf auf Heiner Geißler: Kohls linke Hand | |
| > Er war ein früher Wegbereiter von Schwarz-Grün und brachte seiner Partei | |
| > die sogenannte Frauenfrage näher. Heiner Geißler machte die CDU moderner. | |
| Bild: Applaus von den Linken: Geißler engagierte sich für die globalisierungs… | |
| Bei seinem Ausscheiden aus dem Bundestag vor 15 Jahren war er in seiner | |
| Partei schon ein Fossil. Keiner, auf den es ernsthaft noch ankam – nicht | |
| für die Tektonik der Macht, für die Vibrationen um parlamentarische oder | |
| parteiinterne Konstellationen. Heiner Geißler hatte das alles hinter sich, | |
| er war allein als Name wichtig – aber was für ein großer. | |
| Linken und Grünen wurde er mit zunehmendem Alter lieb. Er engagierte sich | |
| ab 2007 für die globalisierungskritische Organisation Attac und bekam | |
| Applaus von der linken Opposition; etwa dafür, dass es eine Lüge sei zu | |
| behaupten, es gebe nicht genug Mittel zur Armutsbekämpfung. Im Gegenteil: | |
| „Es gibt auf der Erde Geld wie Dreck. Es haben nur die falschen Leute.“ Für | |
| ihn stand fest: „Das ist der Skandal: dass die Politik sich nicht gegen das | |
| Diktat der Finanzmärkte durchsetzen kann.“ | |
| Ähnlich konnte man ihn auch 2005 vernehmen, als Geißler im | |
| Panter-Preis-Kuratorium der taz mitwirkte und sich besonders für die | |
| Auszeichnung zweier junger muslimischer Männer verwandte, die im Berliner | |
| Brennpunktbezirk Neukölln eine Aktion für das Selbstbestimmungsrecht | |
| muslimischer Frauen lanciert hatten. Ein ausgesprochen freundlicher, fast | |
| einschüchternd kraftgeladener Mann. | |
| Das machte seine Beliebtheit bei Jüngeren aus: wie er sich empören konnte. | |
| Das Publikum durfte den Eindruck gewinnen: Das ist ein Politiker, der mit | |
| den Jahren gewiss an Milde gewinnt, aber das Zornige, das Energische, das | |
| Intervenierende nicht lässt. Heiner Geißler, der wichtigste Mann beim | |
| Prozess der Modernisierung der CDU seit Mitte der sechziger bis Ende der | |
| achtziger Jahre, war ein körperlich extrem fitter Mann, dessen Bewegungen | |
| selbst beim Immer-älter-Werden irgendwie noch juveniler wirkten als so | |
| viele der Nachwuchskräfte, die sich aktuell in Stellung bringen. | |
| ## Über Kriegsdienstverweigerung promoviert | |
| Heinrichjosef Georg Geißler wurde 1930 im schwäbischen Oberndorf am Neckar | |
| geboren. Schon als Kind lernte er zu klettern und bergzusteigen. Nach dem | |
| Krieg besuchte er ein Jesuitenkolleg im Schwarzwald. Er trat dem Orden bei, | |
| verließ ihn jedoch vier Jahre später wieder. Er studierte stattdessen | |
| Philosophie und später Jura, promovierte über Kriegsdienstverweigerung. | |
| Geißler, das war auch die körperliche Lust am Politischen. Davon abgesehen, | |
| dass ihm diese Position, im Licht der TV-Kameras zu stehen, auch eitel | |
| gefallen haben dürfte: Dieser frühere Generalsekretär der CDU, Vater dreier | |
| Kinder, war einer der meistgebuchten TV-Gäste bei TV-Talkshows, gerade wenn | |
| sie um Allerweltsthemen sich drehten. | |
| Heiner Geißler war freilich für alle, die links der CDU standen, meist ein | |
| Ärgernis, ein, wie es seitens der SPD und der Grünen hieß, „Hetzer“ und | |
| „Demagoge“. So sagte er, Nationalsozialisten seien ja auch Sozialisten | |
| gewesen, was die Sozialdemokraten zutiefst beleidigte. Aber er hatte ja | |
| recht, der Provokateur: NS-Deutschland hatte erfolgreich die Wünsche der | |
| arbeitenden Klassen absorbiert. | |
| Schon im Sommer 1983 antwortete er im Bundestag auf ein Spiegel-Interview | |
| der Grünen Joschka Fischer und Otto Schily auf giftig-raffinierte Art: | |
| „Herr Fischer, ich mache Sie als Antwort auf das, was Sie dort gesagt | |
| haben, auf Folgendes aufmerksam: Der Pazifismus der dreißiger Jahre, der | |
| sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem heutigen | |
| unterscheidet [. . .] hat Auschwitz erst möglich gemacht.“ | |
| Und das rotgrüne Milieu im Bunde mit Liberalen wie Hildegard Hamm-Brücher | |
| reagierte wütend: Wie konnte er den Kritisierten auch nur spurenweise | |
| attestieren, im Pazifismus eines Carl von Ossietzky etwa das | |
| Gesinnungsfutter für den Holocaust zu entdecken? Später, Wohlmeinende | |
| sagten, zu spät, präzisierte Geißler, er habe mit seiner Sottise | |
| Großbritannien und Frankreich gemeint, die viel zu friedlich auf die | |
| Aufrüstungs- und Okkupationspolitik vom NS-Deutschland reagiert hätten. | |
| ## Indirekte Liebesbekundung an die Grünen | |
| Aber Geißler hatte – heute ließe sich sagen: natürlich – seinen | |
| Generalsekretärsdaumen auf eine empfindliche Stelle der guten, | |
| friedensbewegten grünalternativen Kreise gelegt. Denn eine Demokratie müsse | |
| natürlich auch mit Einsatz von militärischen Mitteln in der Lage sein, sich | |
| gegen totalitäre Regime zu verteidigen. Der CDU-Streithansel, der er war, | |
| bekam ja in den späten neunziger Jahren von vielen Grünen recht, als die | |
| Nato – ohne Mandat – den Kosovo mit Bomben, auch auf die restjugoslawische | |
| Hauptstadt Belgrad, verteidigten. | |
| Geißler hat insofern spätere schwarz-grüne Bündnisfantasien ermöglicht, als | |
| dies in grünen Thinktanks und auf Parteitagen noch als ganz unschicklich | |
| galt: Sein christliches Weltbild brachte ihn den Parteiökos früh nah – die | |
| kleine Gehässigkeit gegen Fischer war eigentlich eine indirekte | |
| Liebesbekundung an die Adresse dieser damals noch sehr jungen Partei. | |
| Er sah, was Sache wird in der Republik. In den sechziger Jahren, als sein | |
| Aufstieg in der CDU – zunächst in Rheinland-Pfalz, dann als Vordenker der | |
| Ära Helmut Kohls – begann, wusste er, dass eine CDU, die keine Volks- und | |
| Massenpartei sein will, die auf Honoratioren und Altbürgerlichkeit hält, no | |
| future hat. | |
| Er baute als Generalsekretär von 1977 bis 1989 diese Partei, auch | |
| intellektuell, um – scheute keine Debatte mit Linken, weder mit Jürgen | |
| Habermas noch mit anderen Granden der Achtundsechzigerära. Er wollte | |
| demokratischen Zank, zu seinem Vergnügen und zum Wohl seiner Partei. | |
| Womöglich war die Art, mit der Angela Merkel in ihrer Zeit die allermeisten | |
| Deutschnationalen in ihrer Partei kaltstellte (Martin Hohmann und andere) | |
| nur möglich, weil Heiner Geißler das Grundmuster einer konservativen, aber | |
| auch libertären Partei legte. | |
| Sein Hass auf Völkische, seine kalte Wut über diese braunen Gesellen war | |
| legendär. In seiner Zeit als Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz setzte | |
| er sich mit der NPD auseinander – und wusste sie zu schreddern. Auch die | |
| AfD verabscheute er mit der kalten Eisigkeit eines Warans. | |
| ## Die sogenannte Frauenfrage | |
| Im ersten Kabinett Helmut Kohls, bis Mitte der achtziger Jahre, war Geißler | |
| Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Er war damals auch jener | |
| christdemokratische Spitzenpolitiker gewesen, der seiner Partei die | |
| sogenannte Frauenfrage nahegebracht hat: dass eine wie die Göttinger | |
| Professorin Rita Süßmuth in der CDU Karriere machen konnte, lag nicht | |
| allein am Erfolg ihrer Gesundheitspolitik beim Thema Aids, sondern an der | |
| Setzung des Themas selbst. Geißler hat, für eine konservative Partei | |
| zutiefst modern, das Dasein der Frau als in der Tat gleichwertig verstanden | |
| – das Prinzip Hausfrau war ihm suspekt. | |
| Am Ende des Jahrzehnts stürzte Geißler schließlich ab – auf dem Bremer | |
| CDU-Parteitag 1989 wähnte er sich stärker als Kanzler Kohl, den er für | |
| nicht mehr wahlsiegfähig hielt. Der Versuch scheiterte und fortan waren | |
| Süßmuth, Geißler und auch deren Alternativkanzlerkandidat Lothar Späth für | |
| Helmut Kohl verbrannt, politisch im Abseits. Wahrscheinlich lag Geißler mit | |
| seiner Einschätzung Kohls richtig, nur kam diesem der Fall der Mauer | |
| entgegen – als Jungbrunnen seiner siechenden Kanzlerschaft. | |
| Das Altenteil war niemals seine Sache, er ließ sich gern verpflichten, etwa | |
| für Schlichtungskommissionen bei Tarifstreitigkeiten, aber auch im Kampf um | |
| Stuttgart 21. Geißler war der oberste Schlichter im Oktober und November | |
| 2010 – tagelang wurden die Anhörungen auf Phoenix übertragen: Geißler als | |
| Moderator in seinem Element – der gute Friedensstifter, der weiß, dass ein | |
| Auskommen miteinander nicht ohne Zank und Hader gedeihen wird. | |
| Dienstagvormittag wurde bekannt, dass Heiner Geißler nach schwerer | |
| Krankheit in Gleisweiler im Alter von 87 Jahren gestorben ist. | |
| 12 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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