# taz.de -- Basketballcoach über Saisonvorbereitung: „Sommer ist die Zeit de… | |
> Wie man Transfers einfädelt und wie es ist, mit Menschen zu handeln: | |
> Alba-Sportdirektor Himar Ojeda erklärt, wie ein Klub in die neue Saison | |
> geht. | |
Bild: Für Ojeda beginnt zum Saisonende die Arbeit erst so richtig | |
taz: Herr Ojeda, im Basketball nennt man die entscheidende Phase eines | |
Spiels „Crunch Time“. Für Sie als Sportdirektor ist der Sommer die Crunch | |
Time, oder? | |
Himar Ojeda: Ja, genau. Nach Saisonende fragen viele: Fahren Sie jetzt in | |
Urlaub? Natürlich nicht! | |
Warum nicht? | |
In diesen Wochen stelle ich das neue Team zusammen. Das ganze Jahr über | |
beobachte ich Spieler, die für uns interessant sein könnten. In Europa, in | |
den USA, überall. Der Sommer ist dann die Zeit des Handelns. | |
Wie funktioniert das, rufen Sie die Spielervermittler an oder melden die | |
sich bei Ihnen? | |
Beides. Gerade rufen mich ständig Agenten an. Sehr viele übrigens, für | |
Spieler ist Alba attraktiv, wir haben ein gutes Image. Und die Agenten | |
wollen ihre Klienten gern auf einer Bühne in der Mitte Europas platzieren. | |
Aber natürlich rufe auch ich Vermittler an. Meist, weil sie jemanden | |
vertreten, der uns interessiert. | |
Wie geht es weiter, wenn Sie ein Angebot interessant finden? | |
Ich überprüfe den Spieler. Am nächsten Tag meldet sich dann der Agent und | |
fragt: Was denken Sie? Bitte geben Sie mir Feedback! Die tun halt auch ihre | |
Arbeit. | |
Und wie überprüfen Sie einen Spieler? | |
Ich schaue mir sein Profil an, seine Stationen, seine Statistiken. Dann | |
sehe ich mir Videos von ihm an. Die Agenten schicken immer nur | |
Highlight-Videos, aber ich will komplette Szenen sehen. Wie verhält er sich | |
im Angriff, wie in bestimmten Spielzügen? Es gibt ein Onlinetool, in dem | |
man nach Szenen einzelner Spieler suchen kann. Aber das ist nur ein erster | |
Eindruck, bei dem ich es nicht belassen kann. | |
Was kommt dann? | |
Wenn ich den Spieler gar nicht kenne, lade ich mir ein komplettes Spiel von | |
ihm herunter. Wenn ich ihn kenne, schaue ich nach, ob ich mir irgendwann | |
mal Aufzeichnungen über ihn gemacht habe. Manchmal finde ich Notizen von | |
vor drei, vier Jahren. Dann nutzen wir unser Netzwerk, um | |
Background-Informationen zur Persönlichkeit, Herkunft und anderen Fragen zu | |
erhalten. Als Letztes spreche ich mit den Trainern: Es gibt hier einen | |
interessanten Spieler, bitte sagt mir eure Meinung. Wenn wir zu dem Schluss | |
kommen, dass wir ihn wollen, machen wir ein Angebot. | |
Über den Agenten? | |
Ja, mit ihm halte ich ständig Kontakt. Ich versuche herauszufinden, ob die | |
Gehaltsvorstellung des Spielers für uns realistisch ist oder ob er | |
verrückte Zahlen im Kopf hat. | |
Wie bildet sich ein Spielergehalt? | |
Das ist ein Marktprozess, und am Ende steht fast immer ein Preis, der dem | |
Wert des Spielers entspricht. Im Frühsommer allerdings haben die noch die | |
ganz großen Zahlen im Kopf. Sie sagen ihren Agenten: Letztes Jahr habe ich | |
200.000 Euro verdient, nächstes will ich 250.000. Ich bin schließlich gut. | |
Nie sagt übrigens einer: Letztes Jahr war ich nicht so gut, im nächsten | |
will ich nur noch 150.000. Über den Sommer ändert sich dann der Preis. | |
Anfangs glauben alle, dass sie in den größten Teams für viel Geld | |
unterkommen können. Gegen Ende des Sommers gehen sie dann häufig von ihren | |
ursprünglichen Vorstellungen runter. | |
Und wie laufen die Verhandlungen mit den Agenten? | |
Klassische Verhandlung eben. Die Agenten fragen: Wie viel könnt ihr zahlen? | |
Darauf antworte ich nie, denn wenn ich eine Zahl nenne, werden sich die | |
Verhandlungen um sie drehen. Irgendwann nennen die Agenten selbst eine | |
Zahl. Manchmal ist die in Ordnung, meistens zu hoch, dann müssen wir sehen, | |
ob wir zusammenkommen. | |
Es heißt ja, je größer Spieler sind, desto teurer werden sie. Mehr | |
Zentimeter, mehr Euros also. Stimmt das? | |
Ganz so ist es nicht. Aber es gibt einfach wenige sehr gute, große Spieler. | |
Deshalb können die, die es gibt, ihre starke Verhandlungsposition nutzen. | |
In der Bundesliga gibt es eine Deutschenquote. Macht ein deutscher Pass | |
einen Bundesligaspieler deshalb teurer? | |
Ja, auf jeden Fall. Es gibt noch nicht genug Deutsche auf Top-Niveau. Um | |
die wenigen kämpfen die Klubs mit hohen Gehältern. | |
Was verdient denn ein deutscher Spieler im Schnitt? | |
Es gibt zwei deutsche Klubs, die sehr hohe Gehälter zahlen: Bamberg und | |
München. Wenn die für Top-Ausländer bieten, geht es schnell um 800.000 Euro | |
Nettogehalt. Deshalb sind da 200.000 für einen starken Deutschen ein | |
Klacks. | |
Und in welcher Größenordnung liegen die Gehälter bei Alba? | |
Kommt drauf an. In jedem Fall deutlich unter den Summen, die in Bamberg und | |
München gezahlt werden können. | |
Mehr Geld pro Zentimeter, Passbonus für Deutsche – finden Sie es nicht | |
seltsam, dass auf dem Transfermarkt der Mensch als Ware gehandelt wird? | |
Ich sehe das anders. Die Spieler können ihrer Lieblingsbeschäftigung | |
nachgehen und erhalten dafür – nach normalen Maßstäben – sehr viel Geld. | |
Sie sind bei uns beschäftigt, so wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Sie | |
führen ein tolles Leben. Ich glaube nicht, dass man Basketballspieler | |
bedauern muss. Die Bundesliga ist ja nicht die NBA. Dort kann es passieren, | |
dass Spieler morgens zur Arbeit gehen und gesagt bekommen: Tut mir leid, | |
aber wir haben die Rechte an dir nach Oklahoma verkauft. Pack deine | |
Sachen! Das gibt es bei uns nicht. | |
Es kommt vor, dass Sie viel Zeit und Engagement in die Entwicklung eines | |
Spielers investieren – und wenn er dann herausragend gut wird, wechselt er | |
zu einem anderen Klub. Sind Sie dann enttäuscht? | |
Früher war ich das. Als ich in Spanien als Sportdirektor angefangen habe, | |
habe ich viele Spieler entdeckt, und wir haben sie entwickelt. Dann sind | |
sie für großes Geld weg. Irgendwann habe ich verstanden: Es war ganz | |
normal, dass Top-Spieler gingen. Wir müssen die Realität akzeptieren. Heute | |
freuen wir uns für die, die die nächste Stufe erreichen. Und wir suchen | |
dann eben wieder. Das geht übrigens im Sport fast allen Klubs so, bis auf | |
eine kleine Gruppe. | |
Das ist so eine Art unausgesprochener Abmachung zwischen Klub und Spieler? | |
Ja, genau das. Wenn ein Basketballer wirklich das Potenzial für die NBA | |
hat, wird er es möglicherweise tatsächlich dorthin schaffen. Klub und | |
Spieler müssen also zu einem Zeitpunkt zusammenkommen, zu dem sie gut | |
zueinanderpassen. | |
Umgekehrt kommt es vor, dass Sie Spieler feuern. So etwas ist auch schon | |
mitten in der Saison passiert. Wie läuft so etwas ab? | |
Wir halten uns an abgeschlossene Verträge. Anders verhält sich das, wenn es | |
überhaupt nicht passt oder Vertragsverlängerungen anstehen. Alle | |
Beteiligten wissen, wie unser Geschäft funktioniert. Deswegen ist das eher | |
keine große Sache. Normalerweise haben Spieler ein feines Gespür dafür, ob | |
sie erfüllen, was Klub und Team von ihnen erwarten. | |
Da fließen keine Tränen? | |
Nein, wirklich nicht. Früher sind Spieler auch mal zehn Jahre bei einem | |
Klub geblieben, aber unser Sport hat sich globalisiert, wie die Arbeitswelt | |
insgesamt auch. Es ist heute eher selten, dass ein Spieler drei Jahre oder | |
länger bleibt. Trotzdem versuchen wir das. | |
Für mache Spieler, besonders aus den USA, ist Sport ein Mittel, um der | |
Armut zu entfliehen. Ist es nicht schlimm, so jemanden zu entlassen? | |
Die Realität sieht anders aus. Auf dem Niveau, auf dem Alba sich bewegt, | |
gibt es solche Fälle nicht. Da muss niemand die Armut fürchten, das kann | |
ich Ihnen versichern. Wenn jemand gern Profi werden möchte, aber irgendwann | |
merkt, dass er damit nicht ausreichend Geld verdient, wird er mit | |
Basketball aufhören und eine Alternative suchen – zumindest in Europa. | |
Gibt es das in Deutschland: arm und Basketball? | |
In der Dritten Liga findet man US-Spieler, die unbedingt in diesem Beruf | |
arbeiten möchten und bei ihren Klubs vielleicht 700 Euro im Monat | |
verdienen. Vielleicht bekommen sie noch eine Wohnung gestellt. Vor denen | |
habe ich höchsten Respekt. Sie entscheiden sich für dieses Leben – statt | |
einfach zu Hause einen anderen Job zu suchen. | |
Im Mannschaftssport kommt es besonders auf den Charakter eines Menschen an. | |
Wie prüfen Sie den? | |
Das ist extrem wichtig, die Spieler werden mindestens zehn Monate lang sehr | |
eng zusammenleben. Wenn sie nicht miteinander auskommen, können das ganze | |
Team und der Erfolg darunter leiden. Charakter sieht man nicht auf Video, | |
aber ein paar Sachen lassen sich erkennen: Reaktionen zum Beispiel, wenn | |
ein Spieler nicht am Ball ist. Aber besser ist es, jemanden live zu | |
beobachten. Ich habe mal in den USA ein Spiel besucht, um einen großen, | |
sehr talentierten Spieler zu sehen. Viele Scouts waren seinetwegen | |
gekommen. Im Spiel hat er dann aber einen Fehler gemacht, sein Gegenspieler | |
nahm ihm den Ball ab – und unser Talent hat nach ihm geschlagen. Die | |
Kameras blieben natürlich auf dem Ball. In einem Video hätte ich seinen | |
Ausraster nicht gesehen. | |
Würden Sie so jemanden verpflichten? | |
Ich versuche immer, nahe an der Bank zu sitzen, schaue, ob sie dem Trainer | |
Widerworte geben oder über ihn lästern, ob sie für das Team denken oder | |
eher unbeteiligt sind. | |
Schauen Sie sich auch abseits des Spielfelds um? | |
Ja, da habe ich ein gutes Beispiel. Vor einigen Jahren habe ich Jaycee | |
Carroll, einen Amerikaner, nach Spanien geholt. Er spielt heute bei Real | |
Madrid und verdient sehr viel Geld. Ich habe ihn bei einer US-Sommerliga | |
beobachtet und traf ihn zufällig auf dem Kabinengang. Es stellte sich | |
heraus, dass er spanisch sprach, weil er als Mormone in Chile auf Mission | |
gewesen war. Da wusste ich, dass er gut nach Spanien passen würde. Hinzu | |
kam: Das Turnier war in Las Vegas, wo es bekanntlich viele Versuchungen | |
gibt. Carroll aber war mit seiner Freundin, deren Eltern und seinen Eltern | |
angereist, und er blieb die ganze Zeit mit ihnen zusammen. Da wusste ich: | |
Der feiert nicht die Nächte durch. | |
Wie finden Sie solche Details sonst heraus? | |
Wir haben bei Alba ein sehr großes, über die Jahre entwickeltes Netzwerk, | |
dazu sehr erfahrene Leute. Und natürlich habe auch ich viele Kontakte durch | |
meine früheren Tätigkeiten als Trainer, Sportdirektor, Manager, NBA-Scout | |
zur Verfügung, die es zu pflegen und auszubauen gilt. Nur so erfährt man | |
das Kleingedruckte. | |
Die vergangene Saison war für Alba nicht gerade sehr erfolgreich. Im Kader | |
gab es viel Unruhe, dann haben Sie kurz vor den Bundesliga-Playoffs den | |
damaligen Cheftrainer, Ahmet Caki, entlassen, am Ende stand das Aus in der | |
ersten Playoff-Runde. Wie fühlt sich Scheitern für Sie an? | |
Niemand scheitert gern. Im letzten Jahr lief es nicht so, wie wir es uns | |
gewünscht haben. Deswegen war es gerade diesen Sommer stressig. Unsere | |
Arbeit im Sommer entscheidet wesentlich darüber, was wir während der Saison | |
bekommen. Ich denke wir sind auf einem guten Weg, denn wir konnten unser | |
Profil personell umsetzen. | |
2 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Siepmann | |
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