Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Linken-Kandidat Robert Jarowoy: „Ich sieze sie alle“
> In den 1970er-Jahren saß Robert Jarowoy als anarchistischer Gewalttäter
> im Gefängnis – jetzt will er für Hamburg-Altona in den Bundestag.
Bild: Hat keine Angst vor der Demokratie: Robert Jarowoy
taz: Herr Jarowoy, was soll aus Altona werden, wenn Sie im September in den
Bundestag gewählt werden?
Robert Jarowoy: Das ist ja eigentlich völlig ausgeschlossen. In
Westdeutschland ist noch nie jemand von der Linken irgendwo direkt gewählt
worden. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit nicht besonders groß.
Warum haben Sie sich denn überhaupt aufstellen lassen?
Ich hoffe, dass ich als ein nicht ganz unbekanntes Gesicht neben den
Stimmen für mich auch ein paar zusätzliche Zweitstimmen für unsere Partei
mobilisieren kann. Als Internationalist und als Kommunalpolitiker denke
ich, dass, wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, ich auch in
Berlin einiges bewegen könnte. Sehr zu meinem Leidwesen ist die kommunale
Ebene in Hamburg in die Landesebene eingegliedert. Die Bezirke haben hier
nur ein Empfehlungsrecht. Das zu ändern und das von unten kommende
Kommunale zu stärken, wäre mein größtes Anliegen.
Warum stecken Sie so viel Energie in die Bezirkspolitik, wenn man dort so
wenig ausrichten kann?
In der Tat stößt man leider immer an seine Grenzen. Es ist unabhängig von
den Mehrheitsverhältnissen nicht möglich, auf Bezirksebene etwas zu
beschließen, was gegen die Entscheidungen des Senats Bestand hat.
Ein Beispiel?
Einen aktuellen Fall haben wir zwischen der Stresemannstraße und der
Leverkusenstraße, da gibt es eine Blockrandbebauung aus der Zeit vor dem
Ersten Weltkrieg. Dort will einer der Eigentümer im Innenhof drei
fünfgeschossige Wohnblöcke hochziehen. Dagegen haben die Anwohner ein
Bürgerbegehren gestartet, welches nur einen Tag später vom Senat evoziert –
und damit in die Tonne getreten wurde. Wir als Linke unterstützen solche
Bürgerbegehren.
Aber Bürgerbegehren stellen sich meist gegen Veränderungen. Hätten
fortschrittliche Ideen so überhaupt eine Chance?
Nehmen wir mal den Wohnungsbau, für den wir ja auch sind, wenn er machbar
und sinnvoll ist. Das Problem ist nur, dass ein Wohnungsbau, wie er im
Baugesetzbuch Anfang der 60er-Jahre eingeführt worden ist, mit einer
Beteiligung der Öffentlichkeit und Berücksichtigung vielfältiger Belange
aus dem Umweltschutz, Verkehr usw. von Olaf Scholz aufgegeben wurde. Ich
frage mich, warum stockt man keine Häuser in den Elbvororten auf, aber im
Schanzenviertel und in Ottensen baut man acht Geschosse, wo nur vier
vorgesehen sind. Solche Bauvorhaben werden in geheimen Sitzungen des
Bauausschusses einfach durchgewunken.
In diesen Sitzungen sind Sie in Altona seit zehn Jahren dabei. Wenn die
geheim sind, dürfen Sie mit mir überhaupt darüber reden?
Nicht über konkrete Vorhaben.
Und warum nicht? Jetzt werde ich neugierig …
Das wird mit Datenschutz und dem Schutz der Investoren begründet. Dass
alles von vornherein grundsätzlich vertraulich ist, das gibt es in dieser
Form auch nur in Hamburg. Und dass über alles erst geredet werden kann,
wenn es zu spät ist.
Wenn Sie schon so lange dabei sind, haben Sie sich an diese Praxis gewöhnt?
Nein, überhaupt nicht. Ich rege mich jedes Mal auf. Im Moment zum Beispiel
über zwei Pappeln in Ottensen. Die sollten abgesägt werden, damit dort ein
paar Fahrradbügel installiert werden können.
Das sind ja krachlokale Angelegenheiten. Ist es nicht schwierig, für solche
Themen Leute, zumal jüngere, zu erwärmen?
Es gibt ja auch noch andere Dinge. Ich habe mich etwa dafür engagiert, das
Camp im Volkspark zum G20-Gipfel zu ermöglichen.
Sie haben das Camp angemeldet.
Ich war einer der Anmelder. Da waren sehr viele junge Leute engagiert. Aber
an sich ist Kommunalpolitik eher was für ältere Leute. Die wollen sich ihr
Nest erhalten. Angesichts der ganzen Mobilität wissen junge Leute ja noch
gar nicht, wo sie landen werden, sie sind eher interessiert an globalen
Themen. Mir liegt beides am Herzen.
Wie würden Sie Ihre Rolle als Politiker beschreiben?
Ich bin eine Art Mittler. Weil ich die Informationen früher kriege, kann
ich mit den Betroffenen vor Ort ins Gespräch kommen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den anderen Parteien?
Ich sieze sie alle. Auch wenn sich alle anderen untereinander duzen. Aber
selbst nach zehn Jahren geht mir das nicht über die Lippen.
Die Rote Flora liegt in Altona. Wie stehen die Bezirksparteien zur Frage,
ob die Flora geräumt werden soll?
Wir haben jetzt parlamentarische Sommerferien. Aber im Vorfeld war die
Stimmung mit Ausnahme der Linken und der FDP einhellig gegen Camps, sie
sahen in ihnen eine Brutstätte gewaltbereiter Leute, was erst recht für die
Flora gelten dürfte.
Waren Sie als Anmelder des Camps selbst in der Schusslinie?
Selbstverständlich. Herr Hielscher von der CDU wollte mich schon für alle
Schäden, die aufkämen, persönlich haftbar machen. Es gab bisher ein Treffen
direkt nach G20 mit den Fraktionsvorsitzenden, der Bezirksamtsleiterin und
der Polizei. Da blieben aber alle Fragen offen. Zum Beispiel, warum die
Polizei 55 Minuten brauchte, um hinter den Leuten, die in Altona eine Spur
der Verwüstung hinterließen, herzukommen. Stellen Sie sich das mal vor: Da
sind 13.000 Polizisten im Einsatz und man lässt diese Leute 55 Minuten lang
in Altona Autos anzünden.
Wie werten Sie dieses Nichthinterherkommen?
Ich glaube nicht, dass die Polizei überfordert war, sondern dass das
gewollt war und dass die Polizei ihr unsägliches Verhalten bei der „Welcome
to hell“-Demo, wo sogar Medien wie der NDR sehr negativ über das Vorgehen
der Einsatzkräfte berichteten, nachträglich legitimieren wollte und die
Bilder produziert hat, die man dafür brauchte.
Sie haben ja eine bewegte politische Vergangenheit. Vor 40 Jahren, im
Deutschen Herbst, wurden Sie als Aktivist der Bewegung 2. Juni verhaftet.
Wie landet jemand wie Sie in einer Bezirksversammlung, ist das als ein
Bruch zu verstehen?
Nein, das ist überhaupt kein Bruch. Vieles, was ich als junger Mensch
gemacht habe, würde ich heute nicht wiederholen. Aber ich stehe zu meiner
Geschichte. Ich saß von 1973 bis 1979 als anarchistischer Gewalttäter im
Gefängnis. Seit 1980 bin ich in der Kurdistan-Solidarität aktiv. In
Kurdistan wird versucht, ein basisdemokratisches rätekommunistisches
Gesellschaftsmodell aufzubauen. Die Geschlechter, ethnische und religiöse
Minderheiten sind gleichberechtigt. Das ist ein Gesellschaftsmodell, wie
ich es mir wünsche, seit ich 16 bin.
Das heißt, Sie haben angesichts von Pegida und Co keine Angst vor der
Demokratie?
Die Gefahr besteht immer. Auch bei Bürgerbegehren kann es immer anders
laufen als man das möchte. Das ist auch für uns als Linke eine große
Herausforderung. Aber wir können ja nicht schon vorher sagen, dass alles
schief geht. Es hängt von uns ab, auf die Leute zuzugehen und sie zu
gewinnen.
19 Aug 2017
## AUTOREN
Lena Kaiser
## TAGS
Die Linke
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
APO
## ARTIKEL ZUM THEMA
Linken-Politiker Robert Jarowoy ist tot: Revolution als Tagesthema
Als „Terrorist“ in Haft, engagiert in Kommunalpolitik und
Kurdistan-Solidarität: Mit Robert Jarowoy ist am Montag ein politisches
Unikum gestorben.
Das Montagsinterview: "Ich konnte in eine Fantasiewelt flüchten"
Robert Jarowoy wurde vom Revolutionär und linken Verleger zum
Kommunalpolitiker der Linken. Was er in der Hamburger Bezirkspolitik
erlebt, verarbeitet er in Krimis.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.