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# taz.de -- Stadtpolitik in Potsdam: Weiter vorwärts in die Vergangenheit
> Potsdam setzt seinen Barock-Kurs bei der Rekonstruktion der alten Mitte
> fort. Als Zeichen des Widerstands wurde die Fachhochschule besetzt.
Bild: Menschen auf dem Steubenplatz während des Protestes gegen den geplanten …
Potsdam taz | Eigentlich läuft es ganz gut für Potsdam: die Stadt wächst,
die Arbeitslosigkeit erreicht immer neue Tiefstände, die Steuereinnahmen
sprudeln und ein milliardenschwerer Gönner – der SAP-Gründer Hasso Plattner
– spendierte der Stadt in diesem Jahr mit dem Museum Barberini ein
Kunstmuseum, das auch international Anerkennung findet.
Doch statt sich zurückzulehnen, scheint man sich in der Stadt eine
Auseinandersetzung um Oberflächlichkeiten zu liefern. Die nächste Runde im
Konflikt zwischen DDR-Nostalgikern und Fans eines barocken preußischen
Disneylands läuft. Tatsächlich ist der Konflikt natürlich etwas
komplizierter: Es geht auch um die Frage, was eine Stadtmitte bieten soll:
Latte Macchiato in tourismuskompatibler Kulisse oder vielfältige
öffentliche Nutzungen.
Aktueller Stein des Anstoßes ist die Frage, ob das bisherige Gebäude der
Fachhochschule am Alten Markt in der Mitte der Stadt abgerissen werden soll
oder nicht. Nach dem Willen von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und
laut den Beschlüssen der Stadtverordneten soll der Hochschulbau aus den
1970er Jahren ab November geschleift werden. Die Grundstücke soll der
stadteigene Sanierungsträger verkaufen. Die Investoren sollen anschließend
auf dem Stadtgrundriss aus der Vorkriegszeit Wohn- und Geschäftshäuser
hochziehen, die teilweise historisierende Fassaden bekommen.
Doch in der Stadt regt sich Widerspruch. Die Abrissgegner des Bündnisses
„Stadtmitte für alle“ wollen das Gebäude nun selbst kaufen, um es zu
erhalten und zu einem Haus der Stadtgesellschaft umzubauen. Vergangene
Woche drückten sie ihr Angebot Jakobs persönlich in dessen Vorzimmer in die
Hand. „Das kommt reichlich spät“, sagte der Oberbürgermeister angesichts
der Tatsache, dass die Bewerbungsfrist für die Grundstücke schon Mitte Mai
endete.
Bündnis-Sprecher André Tomczak will die sechs Millionen Euro Offerte auch
nicht als Teil des Vergabeverfahrens verstanden wissen. „Wir haben uns
nicht um alle Grundstücke beworben“, sagt er. „Sondern nur um die, auf
denen das Gebäude steht.“ So erkläre sich auch die Differenz zu den von der
Stadt eingeplanten 10,4 Millionen Euro aus Grundstücksverkäufen.
## Abrissgegnern fehlt Geld
Allerdings haben die Abrissgegner ein Problem: Ihnen fehlt schlicht das
Geld. Bisher haben sie weder eine Finanzierungszusage von einer Stiftung
noch von der GLS-Bank. Mit der gab es zwar Gespräche – aber noch lange
keine Vereinbarung. Und das ist nur der Anfang: Für eine Sanierung wären 15
Millionen Euro fällig, rechnet das Bündnis. Der Sanierungsträger geht von
mindestens 24 Millionen aus.
Als künftige Mieter sieht das Nutzungskonzept unter anderem die
Volkshochschule und die Stadtbibliothek vor. Doch die gehören der Stadt und
die will dort gar nicht mieten. Mit Bandprobenräumen und Wohnprojekten
dürfte es schwierig werden, die Summe aufzutreiben.
Eine politische Debatte wird es um das Kaufangebot des Bündnisses in der
Sommerpause wohl vorerst nicht geben. Jakobs schickte am Freitag zunächst
Sanierungsträgerchef Bert Nicke vor. Der zerpflückte die Zahlen des
Angebots, das sich gar nicht an ihn richtete, in einer eigens einberufenen
Pressekonferenz – um damit zu schließen, dass es weitergeht wie geplant,
solange wie die Stadtpolitik nichts anderes beschließt. Anfang der Woche
betonte Oberbürgermeister Jakobs nochmals, dass es keine Veranlassung gebe,
von den bisherigen Plänen zur Gestaltung der Potsdamer Mitte abzurücken.
Die Stadt will also Fakten schaffen.
Mitte Juli wollten das mehrere Dutzend Aktivisten mit einer Besetzung des
Gebäudes verhindern. Fassadenkletterer begannen schon mal symbolisch mit
einer Sanierung und trugen frische Farbe auf die seit Jahren bröckelnde
Betonfassade auf. Nach rund zehn Stunden räumte ein Großaufgebot der
Polizei die Besetzer. Bei den Verantwortlichen in der Verwaltung schien
sich der Puls nicht sonderlich zu erhöhen. Seit Wochen hatte man sich dort
gefragt, wann die Abrissgegner zum Mittel der Besetzung greifen.
## Sicherheitsdienst auf Streife
Die Besetzung krankte ohnehin an der Tatsache, dass das Hochschulgebäude
noch dem Land gehört und erst zum Semesterende an den Sanierungsträger
übergeht. Die politische Forderung der Besetzer richtete sich also an eine
Institution, die noch gar nicht Hausherr war. Und der aktuelle Hausherr –
die Fachhochschule Potsdam – konnte schlechterdings die Rücknahme von
Beschlüssen gewählter Stadtverordneter verfügen. Es gab also nichts zu
verhandeln.
Allerdings lieferte die Aktion den Vorwand, das Gebäude umgehend zu
verrammeln. Seitdem ist der gesamte Komplex mit einem Bauzaun abgesperrt.
Ein Sicherheitsdienst patrouilliert. Nun kann der Abriss des mit
Schadstoffen belasteten Gebäudes ganz in Ruhe vorbereitet werden. Eine
womöglich längere Besetzung im Anschluss an eine geplante Auszugsparty der
FH im September hätte unangenehmer sein können.
Ohnehin wirkte die Besetzung wie ein Zeichen von Hilflosigkeit. Denn
politisch sind die Abrissgegner aus dem linksalternativen Spektrum
weitgehend isoliert. Schon vor Monaten ist ihnen ihr wichtigster
Mitstreiter verloren gegangen: Die Linke schloss mit dem Rathaus einen
Kompromiss. Demnach werden die Grundstücke nur einzeln und nicht zum
Höchstpreis vergeben und es sollen auch Sozialwohnungen gebaut werden. SPD,
CDU und die Grünen stützen ohnehin den Barock-Kurs der Rathausspitze.
Zuvor war ein Bürgerbegehren gegen den Abriss der letzten DDR-Gebäude in
der Potsdamer Mitte und gegen die Privatisierung öffentlicher Flächen
gescheitert. Es hatte zwar mit rund 15.000 Unterschriften das notwendige
Quorum erreicht, allerdings lehnten die Stadtverordneten eine Abstimmung ab
und erklärten die Forderungen für rechtlich nicht zulässig. Das
Verwaltungsgericht bestätigte die Sichtweise der Stadt anschließend.
Um einen Bürgerentscheid über das heikle Mitte-Thema in Potsdam kam die
Rathausspitze so herum. Die Abrissgegner hatten versäumt, den Wortlaut des
Begehrens vorab prüfen zu lassen.
Unterdessen geht das Vergabeverfahren weiter. Neben erfahrenen
Projektentwicklern und Bauträgern haben es auch Selbstnutzer und
Genossenschaften in die zweite Stufe des Vergabeverfahrens geschafft. Auch
eine Bietergemeinschaft des Berliner Unternehmers Abris Lelbach, der sich
in Berlin erfolglos um den Holzmarkt beworben hatte, soll sich beteiligt
haben. Im März 2018 soll eine Jury entscheiden.
10 Aug 2017
## AUTOREN
Marco Zschieck
## TAGS
Potsdam
Besetzung
Stadtpolitik
Kirche
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