# taz.de -- Die Wahrheit: Es ist die Hölle! | |
> Familienväter sitzen zwischen allen Stühlen. Die herbeigeredete | |
> Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf endet spätestens am Tresen. | |
Bild: Blagen, Arbeit und Suff: Viele Väter kommen nicht mehr klar | |
Mittwochabend, halb acht: Heiko Ruppich klappt das Bilderbuch zu, gibt | |
seinen Kindern einen Gutenachtkuss, schleicht sich auf Zehenspitzen aus dem | |
Zimmer. Jetzt muss er sich aber sputen. Hektisch rubbelt der 45-Jährige | |
einen Babybreifleck aus dem Hemd, kratzt sich den Windelschiet von den | |
Fingern, dann sprintet er zur Haustür, wünscht im Vorbeieilen seiner Frau | |
eine gute Nacht und macht sich auf, im Sauseschritt. | |
Entspannt ist er nicht. Dabei hätte er sich so gern einmal ausgeruht, | |
innegehalten, tief Luft geholt, auf dem Weg ins „Blackout“, die | |
Absturzkneipe seines Vertrauens in Fallingbostel, Niedersachsen. | |
Viel wird in diesen Jahren gepredigt von der „Vereinbarkeit“, wahlweise | |
auch der „Neuen Vereinbarkeit“ (Manuela Schwesig): dass es wirklich möglich | |
sei, als Vater alles unter einen Hut zu kriegen, den eigenen Bedürfnissen | |
gerecht zu werden und denen der Familie. Von Stern bis Business Punk haben | |
es die Medien ausposaunt sowie Heiko Ruppichs 76-jähriger Onkel, der | |
jahrzehntelang jeden Abend lattenstramm und von den Kumpels nach Hause | |
getragen und dennoch von seiner Ehefrau immer wieder liebevoll empfangen | |
wurde. Es hieß: Familie und Trinkrunden seien zu vereinbaren. Man müsse nur | |
diszipliniert und organisiert genug sein, dann sei alles möglich. Eine | |
Lüge, eine gesellschaftliche Illusion. | |
Auch Heiko Ruppich hat an diese „Gehirnwichse“ (Heiko Ruppich) geglaubt, | |
bevor er Vater wurde. „Arbeit, Familie, Flüssigbrot, das sind nun mal drei | |
ganz unterschiedliche Lebenssphären“, weiß der Schweißermeister heute. | |
## Verschwitzt im Blackout | |
„Ich fühle mich schon extrem gefordert. Diese Mehrfachbelastung ist | |
brutal“, resümiert er, während er in die Bahnhofsstraße einbiegt, in der | |
bereits die Lichter der Jukebox durch die Butzenscheiben flimmern. | |
Verschwitzt kehrt Ruppich im „Blackout“ ein, grüßt in die Runde. Jetzt gi… | |
es, den ganzen Tagesstress mit einem Humpen herunterzuspülen. | |
„Bis ich hier angekommen bin, bis ich mich so richtig entspannen kann, | |
vergehen schon mal vier, fünf Hopfenkaltschalen“, brummt der Vollbärtige | |
und wischt sich den Bierschaum mit dem Handrücken ab. In seiner Hosentasche | |
vibriert eine WhatsApp-Nachricht: „S.O.S., wo ist der Flaschenwärmer??“ | |
Ruppich antwortet seiner Frau, ohne zu zögern. Wieder ein kleiner Verrat: | |
wieder eine Minute, die er für die Familie geopfert hat, obwohl er | |
eigentlich versprochen hatte, ganz für die Tresenkumpels da zu sein. | |
Tag für Tag droht er an den Erwartungen anderer zu zerbrechen; vor allem an | |
denen seiner Wirtin, die gerade den dritten Humpen auffüllt. So wie Heiko | |
Ruppich geht es heute vielen Vätern. Sorglos den Abend versacken lassen wie | |
Homer Simpson in „Moes Bar“ – das war mal. | |
Auch Guido Meisner, 39 Jahre alt und aus Neu Wulmsdorf, kann ein Lied von | |
alledem singen: „Halleluja, der Alltag ist oft genug ein Kraftakt!“, ächzt | |
der Bauingenieur, der seine spärliche Freizeit zwischen seiner Frau, seinen | |
neugeborenen Drillingen, der im Sterben liegenden Schwiegermutter und den | |
abendlichen Druckbetankung der Freiwilligen Feuerwehr Neu Wulmsdorf-Nord | |
aufteilen muss. Dort bekleidet er ein wichtiges Ehrenamt. Fünfmal pro Woche | |
„Löschübung“ in der Kellertheke des Fahrzeughauses, da kommt er kaum | |
hinterher. | |
## Wo bleibt der Staat? | |
Manchmal gerät Guido Meisner schon ins Grübeln: „Irgendwie schaff ich das | |
alles nicht mehr …“ Aber soll er deshalb sein Leben stärker priorisieren, | |
wie es neudeutsch heißt, soll er seine Familie ganz verlassen und im Keller | |
des Fahrzeughauses pennen wie zwei seiner Kumpel? Noch ist er nicht so | |
weit. Eine Bringschuld sieht Guido Meisner vor allem vonseiten der | |
öffentlichen Hand: „Der Staat müsste viel mehr einspringen, in Sammelbussen | |
die Kinder zur Kita karren, dann könnt ich auspennen. Aber nix da, der | |
Staat zieht sich raus!“ | |
Immer mehr Männer zerbrechen daran, alles hundertprozentig machen zu | |
wollen. Doch ein paar Hoffnungsträger gibt es. Einer von ihnen ist Dennis | |
Heibl, O2-Mitarbeiter und Freizeit-Hooligan bei Borussia Dortmund. Am | |
Wochenende Spiele und Schlägereien, unter der Woche Krafttraining und | |
Schlägereien, und dennoch kriegt er Familie und Freizeit prima unter einen | |
Hut. Die Erfolgsformel des 37-Jährigen: „Ich muss nicht in allem perfekt | |
sein. Und wenn ich mal vergesse, meinem Sohn ein Geburtstagsgeschenk zu | |
kaufen, so what? Das nimmt den Druck raus, macht das Leben leichter.“ | |
Andere können von dieser Leichtigkeit nur träumen. Donnerstag, drei Uhr in | |
der Früh: Heiko Ruppich wankt zurück nach Hause, reiert ins Waschbecken, | |
kriecht ins Bett, fällt in einen tiefen Schlaf. Bis sechs Uhr dreißig. Wenn | |
seine Kinder wieder erwachen und die ganze Tretmühle von vorn losgeht. | |
Brotdose, Kinderkrippe, Arbeit … Seine ganz persönliche Pub-Life-Balance | |
hat Heiko Ruppich noch lange nicht gefunden. | |
1 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Ella Carina Werner | |
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