Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Antifaschistische Jugendarbeit in Grimma: „Wenn alle gehen, ände…
> Ein Gespräch mit einem, der lieber in Grimma geblieben ist.
> taz-Panter-Preis-Gewinner Tobias Burdukat erklärt: Wie geht nazifrei?
Bild: Land unter in Grimma, 2013. Auch die alte Spitzenfabrik hat es damals erw…
taz: Tobias Burdukat, wir sitzen hier im Dorf der Jugend. Wie lange gibt es
das schon? Wie ist deine Initiative entstanden?
Tobias Burdukat: In der offenen Jugendarbeit in Grimma bin ich seit 2012.
In dem Jahr ist auch die Idee zu dem Projekt entstanden, die davon ausgeht,
dass es verschiedene Plätze gibt, wo Jugendliche aktiv sind. Das Areal der
Alten Spitzenfabrik ist Anfang 2014 dazugekommen.
Wie kam das mit der Fabrik zustande?
Das ist eine skurrile Geschichte.
Klingt gut. Erzähl.
Also. Wir haben hier früher an Weihnachten Parties gefeiert. Mit meinem
Freundeskreis – ich bin ja auch nicht im luftleeren Raum aufgewachsen. Wir
brauchten einen Raum, wo wir Parties machen konnten. Irgendwann haben wir
uns hier eingemietet.
Das gehörte damals einer Familie von Zauberkünstlern, die hatten hier sogar
Waschbären und Pumas. Die sind aber irgendwann abgehauen. Und wir wollten
wieder eine Party machen und so sind wir an den neuen Besitzer geraten. Der
war ganz dankbar und dann haben wir uns hier eingepachtet.
Der Besitzer ist euch aber freundlich gewogen?
Ja. Das wurde hier auch vom letzten Hochwasser 2013 ganz gut erwischt, ein
Meter fünfzig, zumindest im Wohnhaus. Die Hallen gehen, die sind ein
bisschen höher gebaut.
Was waren das dann für Parties, die ihr hier gefeiert habt? Mit Tannenbaum?
Nee, ohne.
Das passt auch nicht zum Alternativsein, oder?
Ich weiß nicht, ob wir mal aus Spaß einen hatten. Es ging halt darum, dass
nach dem klassischen Weihnachtsessen mit Mutti und Vati, Oma, Opa noch was
los war. Zum Schluss waren wir so 300 Leute, die keinen Bock auf Dorfdisko
hatten.
Sondern?
Quer gemischt. HipHop, Funk, auch mal Punk. Tanzbare Musik halt.
Du wurdest hier sogar mal in den Rat gewählt. Hier in Grimma bist du eine
richtig populäre Figur, oder?
(leises, etwas verlegenes Lachen)
Ist dir das peinlich?
Ich weiß nicht.
Du bist ein etablierter, anerkannter Bürger, der auch von politischen
Kontrahenten respektiert wird.
Das kann man schon so … ja. Gegebenenfalls kann man das so sagen.
Stellen wir uns mal vor, du wärst sächsischer Ministerpräsident.
Das würde ich nicht sein wollen.
Nöl' jetzt nicht rum.
(Alle lachen)
Was wäre, gerade in kultureller Hinsicht, dein 100-Tage-Plan?
Das kann man so nicht runterbrechen. Da müsste man erst mal strukturelle,
grundsätzliche Probleme aufbrechen. Das ist ja über Jahrzehnte so
gewachsen. Und das ist das Problematische.
Manchmal hilft ja die Vision, Dinge von unten aufzukehren.
Schwierig. Aber was wichtig wäre, dass man vielleicht mit der
Hochschullandschaft anfängt. Sachsen gilt ja als Wirtschaftsstandort, als
Hochburg für Ingenieurwesen. Aber die Industrialisierung ist jetzt auch
langsam vorbei und dann muss man das aufbrechen, sich anderen Dingen
öffnen.
Ich sehe den Schlüssel für einen Wandel in einer gut ausfinanzierten
Jugendarbeit. Dann entsteht auch Kultur, von den jungen Menschen selbst
heraus! Aber das sind Strukturen, die man als Ministerpräsident nicht
einfach aufbrechen kann.
Jedenfalls nicht ohne Konflikte.
Die Frage ist, kriegt man die Konflikte gelöst? Weil der Verwaltungsapparat
hier, der ist so krass …
… staubig?
So staubig und starr.
Erstaunlich ist, dass du nicht als erstes sagst, als Ministerpräsident
würdest du die blinden Augen Neonazi-Elementen gegenüber abschaffen.
Ich denke nicht, dass man das so einfach abschaffen kann. Da braucht man
eine nachhaltige Bildungsarbeit. Es ist nun mal ein veraltetes Denken. Aber
Erkennen muss das jeder selbst.
Euer Projekt, Das Dorf der Jugend – ihr seid hier anerkannt und bestens in
die Stadt integriert. Gibt es in Sachsen überhaupt ein Polizeiproblem mit
Linken? Du hattest erzählt, bei Rechten hören sie eher weg …
Ja. Das ist mein Eindruck. 2016 sind 200 Nazis durch Connewitz (Leipzig)
gezogen und haben einen kompletten Stadtteil zerlegt. Die wurden alle
gefasst, da ist noch keiner verurteilt worden! Und bei mir zum Beispiel –
man versucht sein Hausrecht gegenüber der Polizei zu wahren, und im Affekt
passiert dann halt eine Beleidigung – da wird man sofort verurteilt und
zahlt seine 2.000 € wegen Beamtenbeleidigung.
Wann hattet ihr hier den letzten Konflikt mit Rechten?
Also hier selber noch nicht. Am Jugendhaus, wo ich vorher gearbeitet habe,
da schon. Aber das hat sich dann auch … (zögert) irgendwie gebessert.
Ist das nicht auch dir zu verdanken? Du bist mal ziemlich verdroschen
worden von denen, oder?
(mit leiser Stimme) Ja, als ich noch jung war. Aber wir haben nicht
nachgegeben. Wir haben uns nicht ergeben.
Wie hat das dann aufgehört?
(seufzt) Na ja, man hat sich gewehrt. Wenn die zu zwanzigst waren, dann
waren wir halt auch zu zwanzigst. Irgendwann gab es eben auch Anzeigen. Und
einige von denen sind in den Knast gewandert. Manche richtig lang, fünf
Jahre, da ist das Leben dann auch vorbei.
Also ist Grimma jetzt nazifrei?
Jein. Es leben schon noch einige hier. Aber die sind hier nicht mehr aktiv,
die engagieren sich eher in Leipzig, in den umliegenden Orten. Da haben die
dann bis hoch zum Bürgermeister ein Standing.
Was ist, wenn dir einer dieser Straftäter, die schon im Knast waren, auf
der Straße begegnet? Wechseln die dann die Seite?
Ich fahre da die Taktik, zu den Leuten auch „Guten Tag“ zu sagen, ich kenne
die ja. Die senken dann den Kopf und gehen weiter.
Haben die jetzt Angst vor euch?
Glaube ich nicht. Die haben sich halt ihr ganzes Leben versaut. Da kommt
jetzt meine soziale Komponente durch und die tun mir leid. Die hängen jetzt
am Alkohol und können sich ja nur an solche Bürgerbewegungen dranhängen, um
überhaupt noch irgendein Gemeinschaftsgefühl zu haben.
Gibt es auch welche, die zugeben, dass sie sich durch die Nazigeschichten
ihr ganzes Leben versaut haben?
Also jetzt keinen, der das so offen kommuniziert.
Aber eine spürbare Einsicht?
Eine spürbare Einsicht schon. Man merkt bei manchen, dass sie Kontakt
suchen und sich vielleicht sogar einbringen wollen.
Dann bist du versöhnungsbereit?
Ja … Die könnten auch mitmachen, wenn sie wollten. Die meisten sind aber
weggegangen. Die anderen haben oft ein krasses Alkohol- oder Drogenproblem.
Und dann kommen die auch nicht her.
Haben die sächsischen Ordnungsbehörden aus ihren Verstrickungen in Sachen
NSU für den Umgang mit euch gelernt?
Null.
Du kannst nicht friedlich über Sachsen reden, oder?
Nee. Also wenn man sich anschaut, wie die Polizei hier mit Straftaten gegen
Flüchtlinge umgegangen ist, dann haben die doch nichts gelernt. Jetzt gibt
es gerade diesen Skandal in der Bundeswehr, da braucht keiner zu glauben,
dass wäre bei der Polizei hier anders. Da sind Hardcore-Nazis drin!
Natürlich gibt es auch andere, aber viele haben einfach solche
Freundeskreise, gehen mit denen ins Fußballstadion oder grillen am
Wochenende.
Du hattest vorhin erwähnt, viele wären wegen dieser Halb-Nazi-Atmosphäre
einfach weggegangen. Du bleibst?
Ich bin der Überzeugung, wenn alle weggehen, ändert sich im ländlichen Raum
auch nichts. Ich war früher viel auf Demos, aber irgendwann hat man sich
gesagt: Ich habe meinen Protest kundgetan, von der Polizei auf die Fresse
gekriegt, an den Verhältnissen hat sich aber nichts geändert. Und dann war
der Entschluss für mich logisch, wenigstens im kleinen Rahmen meinen
Beitrag zu leisten.
Bist du ein Weltverbesserer?
Ich wäre es gerne. Aber ich kann die Welt in ihrer Gesamtheit nicht
verbessern. Ich kann versuchen, meine Welt etwas besser zu machen und so
vielleicht auch andere Menschen dazu anregen, in ihrem Umfeld etwas zu
ändern. Und, dass sich so auf lange Sicht vielleicht was Größeres ergibt.
Aber ein Weltverbesserer zu sein, das kann ich mir nicht anmaßen.
16 Jun 2017
## AUTOREN
Jann-Luca Zinser
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt Ostdeutschland
Schwerpunkt taz.meinland
Schwerpunkt taz.meinland
Schwerpunkt taz.meinland
Schwerpunkt taz.meinland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommunalwahl in Sachsen: Alternative für Grimma
Der Sozialarbeiter Tobias Burdukat tritt zur Wahl des Bürgermeisters an:
ein junger, linker Kandidat, der provoziert und Hoffnungen weckt.
taz-Sommerfest in Grimma: Ein magischer Ort zum Feiern
500 Besucher*innen feiern auf dem taz-Sommerfest in der Alten Spitzenfabrik
in Grimma – eine Gelegenheit für kontroverse Diskussionen.
Ein Rundgang durch Grimma: DDR-Flair und neue Deutsche
Die Schönheit der Stadt Grimma liegt im Engagement ihrer Bewohner*innen.
taz.lab 2017 in Berlin: Die Halbzeit der Halbzeit
Seit Stunden ist das taz.lab 2017 im Gange. Weil man nicht überall
gleichzeitig sein kann, gibt es hier einen Überblick über die
Veranstaltungen.
taz.meinland – ein Elitenprojekt?: Phantomrepublik Deutschland
Die taz ist bis zur Bundestagswahl mit einem besonderen Anliegen unterwegs:
„taz on Tour für die offene Gesellschaft“.
Hier sind Helden: taz Panter Preis verliehen
Jahr für Jahr zieht die Verleihung des taz Panter Preises ein größeres
Publikum an. Die Jury ehrte gleich zwei "Helden des Alltags". Leserfavorit
wurde Anti-Gentech-Aktivist Michael Grolm
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.