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# taz.de -- Hate Speech in der Türkei: „Eine andere Welt ist möglich“
> Oppositionellen Medienschaffenden bleibt oft nur das Internet. Doch auch
> hier wird gezielt Hass und Rassismus gegen sie eingesetzt.
Bild: „Viele Nachwuchsjournalist*innen versuchen ihr Glück in der Werbung.“
Laut des jährlich veröffentlichten Press Freedom Index von Reporter ohne
Grenzen ist die Türkei im Ranking um Pressefreiheit seit dem vergangenen
Jahr von Platz 151 auf 155 gerutscht. Mehr als 160 Journalist*innen
befinden sich derzeit in Haft, die Zahl steigt kontinuierlich. Aus
Regierungskreisen heißt es, die inhaftierten Journalist*innen seien in
Wirklichkeit keine Journalisten, sondern „Staatsverräter“ und würden sich
nur deshalb in Haft befinden. Während Rassismus und Hassreden sich in den
türkischen Mainstream-Medien ausbreiten, erscheint der juristische Kampf
dagegen, angesichts der aktuellen Diskussion um die Unabhängigkeit der
Gerichte, aussichtslos.
Yasemin Giritli İnceoğlu ist emeritierte Professorin für Publizistik und
gehört zu den hervorstechenden Stimmen, die sich gegen Hass in den Medien
einsetzen. Ein Gespräch über Verbindungen zwischen Regierung und
Medienkonzerne, journalistischen Nachwuchs und die alternative
Medienlandschaft in der Türkei.
## taz: Sie haben bereits 2011 ein Buch über Hasstaten und Hassrede
geschrieben. Hat der Hass und Rassismus in den türkischen Medien seither
zugenommen?
Yasemin Giritli İnceoğlu: In der Türkei sind hochrangige
Regierungsmitglieder und Personen des öffentlichen Lebens besonders dafür
bekannt, den Hass in der Gesellschaft zu schüren. Zumindest steht das im
[1][Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des
Europarats.] Weiterhin steht in dem Bericht, dass ein Großteil der
Straftaten, die aufgrund von Hassrede und Rassismus begangen werden, nicht
angezeigt werden. Die zur Anzeige gebrachten Straftaten wiederum werden
nicht verurteilt.
Journalist*innen, die für alternative Medien arbeiten, sowie Autor*innen
und Karikaturist*innen werden im Netz oft angegriffen und von staatlichen
Stellen, als Staatsverräter und Terrorist verunglimpft. Dabei wurde in den
meisten Fällen der aktuellen Inhaftierungen noch nicht einmal eine
Anklageanschrift formuliert. Aus demokratischer Sicht ist das ein
gravierendes Problem.
## Welche Rolle spielen dabei die Medien?
Transparenz kann in einer demokratischen Gesellschaft nur dann
gewährleistet werden, wenn das Recht auf Information, die
Informationsfreiheit und der Auskunftsanspruch funktionieren und ineinander
greifen. Politiker*innen sind verpflichtet sich der Kritik der Presse, der
Bevölkerung und von politischen Gegner zu stellen. Die Presse hat die
Funktion, die Regierenden zu beobachten, sie zu hinterfragen und zu
kritisieren. In der Türkei ist es allerdings so, dass eine Vielzahl der
Medien und die Regierung im Gleichschritt marschieren. Als Stimme und
Gewissen der Öffentlichkeit ist sie kaum vernehmbar. Im Grunde genommen
kann die Presse ihrer Funktion nicht nachkommen.
## Sie unterrichten auch nach ihrer Emeritierung Studierende der
Kommunikationswissenschaften. Wie wirkt sich die Diskussion um
Pressefreiheit auf Nachwuchsjournalist*innen und ihre berufliche Zukunft
aus?
Sie sind leider sehr pessimistisch. Die meisten versuchen ihr Glück in den
Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und PR oder streben eine
akademische Laufbahn in den Kommunikationswissenschaften an. Journalist*in
zu werden, ist für idealistische Studierende über kurz oder lang ein
hoffnungsloser Weg. Sie wissen, dass sie aufgrund von Zensur oder
Selbstzensur nicht angemessen und frei berichten werden können. Zudem ist
das derzeitige soziale Klima nicht gerade förderlich für die Motivation der
Journalismus-Anwärter*innen. Journalist*innen werden zur direkten
Zielscheibe anderer Journalist*innen und Politiker, sie werden bedroht,
verteufelt, aus ihrem Job vertrieben, unter Polizeiaufsicht gestellt und
inhaftiert.
## Als eine von wenigen türkischen Akademiker*innen forschen Sie zum Thema
Hass in den sozialen Netzwerken. Wer ist in der Türkei von Hassrede und
Gewaltdrohungen betroffen?
In der Türkei werden wir oft Zeugen davon, dass allein die Zugehörigkeit zu
einer bestimmten Gruppierung ausreicht, um jemanden zu diskriminieren. Auf
diese Weise kann die Gruppe, die den Hass produziert, Macht und Größe
demonstrieren.
Soziale Medien bieten jenen, die von den traditionellen und
Mainstream-Medien kaum beachtet werden einen Raum für kollektive
Zugehörigkeit, Solidarität und Identitätssuche. Allerdings führen die
Möglichkeiten der schnellen Verbreitung von Informationen und der
Interaktion dazu, dass Vorurteile und negative Denkschablonen die Hassrede
und den Hass normalisieren, bagatellisieren und verfestigen, und darüber
hinaus sich die „digitale Gewalt“ multipliziert.
Nationalistische und rassistische Motive finden in den sozialen Medien
einen leicht zugänglichen Resonanzraum, der nicht von der Individualität,
sondern von der Kollektivität der Tat lebt. Die Intoleranz gegenüber
„Anderen“ wird bestimmt durch eine Schar von „Hooligans“, deren Hass si…
nicht unbedingt systematisch, geplant und vorprogrammiert entlädt, sich
aber oftmals in eine Lynchkampagne wandeln kann.
## Gewaltverherrlichende Darstellungen finden sich vor allem in den
türkischen Mainstream-Medien. Können die alternativen Medien,
Nachrichten-Plattformen und Radiostationen, tatsächlich eine „Alternative“
bieten?
Sie versuchen zumindest der einseitigen Berichterstattung defizitär
entgegenzutreten und marginalisierten Gruppen eine Stimme zu geben. Das
sind zuweilen radikale, anarchistische, antiautoritäre,
antihirarchisierende Nachrichten mit Non-Profit-Gedanken, die in den
alternativen Medien eine Verbreitungsform finden.
Der Leitsatz der alternativen Medien, „Eine andere Welt ist möglich“, ist
essenziell. In diesem Slogan steckt Widerstand und die Message, dass es
eine Unzufriedenheit mit der bestehenden Medienlandschaft und ihrer
Berichterstattung gibt. Dieser Slogan birgt die Hoffnung, dass die
alternative Berichterstattung andere Möglichkeiten bietet, um den
gewaltverherrlichenden Darstellungen in den Medien etwas entgegenzusetzen.
## Wie kann der Hassrede in den türkischsprachigen sozialen Medien begegnet
werden?
Um die Medienkompetenz zu stärken, wären vielerorts Schulungen für
Nutzer*innen aller Milieus und Altersgruppen von neuen Medien gegen
Hassrede und Diskriminierungen nötig. Ein schnell funktionierendes
Meldeverfahren, welches im Falle einer gemeldeten Hassbotschaft reagieren
kann, müsste noch entwickelt werden.
1 Jun 2017
## LINKS
[1] http://www.coe.int/t/dghl/monitoring/ecri/Country-by-country/Turkey/TUR-CbC…
## AUTOREN
Ebru Taşdemir
Ebru Tasdemir
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