# taz.de -- Der Lautmaler Als er die Jungs in seinem Freundeskreis das erste Ma… | |
Bild: „Pi-zza-kat-ze-pi-zza-kat-ze-pi-zza-kat-ze – wenn man das Wort Pizzak… | |
Interview Jasmin KalarickalFotos Karsten Thielker | |
taz: Herr Mandolini, Sie sind Beatboxer, das heißt Sie imitieren Beats, | |
Instrumente und Geräusche mit Ihrem Mund. Haben Städte eigentlich auch | |
eigene Sounds? | |
Daniel Mandolini: An Polizeisirenen merkt man oft in welcher Stadt man ist. | |
In New York klingen die anders als in Berlin. Aber grundsätzlich klingt | |
eine Tür in Deutschland nicht anders als in Marokko. | |
Aber eine Stadt am Meer hat doch eine ganz andere Geräuschkulisse. | |
Stimmt, geographische Gegebenheiten spielen eine Rolle, wenn man am Meer | |
steht, hat man eher Windsounds und Wellenrauschen, das gibt’s natürlich | |
nicht am Potsdamer Platz. | |
Gibt’s denn einen Sound, der in Berlin einmalig ist? | |
Ja, der S-Bahnsound, wenn die Tür schließt. Düdüdü. Der ist total | |
einzigartig. | |
Sie haben zweimal die Beatbox-Deutschlandmeisterschaft gewonnen. Kann | |
eigentlich jeder Beatboxen lernen? | |
Ja. Ich unterrichte es ja auch, mit Wörtern wie Pizzakatze etwa. | |
Pizzakatze? Wie meinen Sie das? | |
Wenn man das Wort Pizzakatze laut flüstert, dann entsteht daraus ein | |
Groove: pi-zza-kat-ze-pi-zza-kat-ze-pi-zza-kat-ze. Das kann jeder. Jeder, | |
der sprechen kann, kann auch Beatboxen, man konzentriert sich einfach auf | |
die Konsonanten. | |
Erzeugt man die Töne nur im Mund? | |
Man benutzt eigentlich alles zwischen Nase und Kehlkopf. Nase, Lippen, | |
Zunge, Zähne, Stimme und Gaumen. | |
Haben Sie sich das alles selbst beigebracht? | |
Ich habe 1999 mit dem Beatboxen angefangen, da gab es noch kein YouTube und | |
man konnte sich noch nicht so viele Sachen von anderen Beatboxern angucken. | |
Also musste ich mir das selbst beibringen, es einfach ausprobieren. Das war | |
für mich wie eine Art Selbsttherapie. | |
Was mussten Sie therapieren? | |
In meiner Schulzeit bevor ich angefangen habe zu Beatboxen war ich ziemlich | |
faul. Ich hatte keine Lust auf Hausaufgaben, ich wollte mich nur mit | |
Freunden treffen und abhängen. Was mir gefehlt hat, war eine Art Ziel im | |
Leben. Eine Motivation, Ehrgeiz – das hat sich dann mit dem Beatboxen | |
geändert. | |
Wieso? | |
Plötzlich hatte ich das Gefühl: Da ist etwas, was ich nur dadurch lernen | |
kann, indem ich etwas dafür tue. Ich hab mich total selbst diszipliniert. | |
Ich hab mir nicht vorgenommen, zehn Stunden am Tag zu üben, ich hab’s | |
einfach gemacht. Und es gab niemanden, der mir gesagt hat, das machst du | |
jetzt richtig oder falsch. Ich war Schüler und Lehrer zugleich. Ich konnte | |
meine Geräusche und Beats selber entwickeln und daran feilen. | |
Sie haben ja schon in Ihrer Kindheit angefangen, Gitarre zu spielen. Und | |
Sie haben später an der Hanns Eisler, eine der renommierten | |
Musikhochschulen Europas, klassische Gitarre studiert. Ist das nicht ein | |
Widerspruch, dann Musik mit dem Mund zu machen? | |
(lacht) Nein, das war für mich kein Widerspruch. Schon in meiner Kindheit | |
hatte ich den Wunsch, Schlagzeug zu spielen. Aber meinen Eltern, die beide | |
selber Musiker sind, war das zu laut und zu teuer. Also bekam ich mit sechs | |
Jahren eine Gitarre und Unterricht. Das war alles sehr mühsam für mich, | |
irgendwann hab ich mich mit dem Instrument zwar gut angefreundet, aber | |
dieser Wunsch nach Rhythmus war immer noch in mir drin. | |
War das Beatboxen vielleicht eine späte Rache an Ihren Eltern, die Ihnen | |
kein Schlagzeug kaufen wollten? | |
(lacht) Vielleicht, aber für mich war es vor allem mein zweiter Versuch, | |
meinen Traum zu verwirklichen. | |
Also Ihr Wunsch nach mehr Rhythmus, weil Gitarre ist ja eher… | |
…melodisch, genau. Und Beatboxen ist in vielen Bereichen sehr rhythmisch. | |
Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich schon als Kind sehr viele | |
Geräusche gemacht und versucht habe englische Lieder aus dem Radio in einem | |
Nichtenglisch nachzumachen, das waren vielleicht meine ersten Schritte in | |
Richtung Beatboxen. | |
Da haben Sie als Kind rumprobiert, aber wann haben Sie herausgefunden, dass | |
es Beatbox wirklich als Kunstrichtung gibt? | |
Mit 16 Jahren bin ich mit meinen Eltern aus Bonn nach Berlin gezogen. Und | |
da war mein neuer Freundeskreis sehr HipHoplastig. Ich hab angefangen zu | |
rappen und Texte zu schreiben, auf Deutsch und auf Spanisch. Und wenn wir | |
gefreestylt haben, brauchten wir einen Rhythmus, und da haben ein paar | |
Jungs halt gebeatboxt. Ganz einfache Grooves. Das hab ich natürlich auch | |
ausprobiert. | |
Und das hat Sie nicht mehr losgelassen? | |
Zwei, drei Jahre später habe ich eine CD vom amerikanischen Beatboxer | |
Rahzel gehört. Der hat so abgefahrene Sachen gemacht, der konnte | |
gleichzeitig singen, beatboxen und Scratchgeräusche machen. Ich dachte, das | |
ist ein Fake, eine akustische Verarschung! Das müssen doch zwei oder drei | |
Personen sein. Aber der Freund, der mir die CD geliehen hat, hat mir immer | |
wieder gesagt: Nein, das ist nur einer. Also hab ich angefangen, das | |
auszuprobieren. Irgendwann hab ich herausgefunden, wie man verschiedene | |
Geräusche parallel machen kann. | |
Sind Sie dann durch die Straßen gelaufen und haben Geräusche gesammelt? | |
Ja. Als ich anfing akustisch zu arbeiten, habe ich meine Umwelt plötzlich | |
ganz anders wahrgenommen als vorher. Ich gehe zum Beispiel an einem Haus | |
vorbei, jemand geht durch eine Tür, die quietscht. Dann bleibe ich stehen, | |
mach die Tür nochmal auf und zu, um das Quietschen zu wiederholen und zu | |
begreifen wie das klingt. Vorher wäre ich vermutlich einfach | |
vorbeigelaufen. | |
Haben Sie die Geräusche alle nur in Ihrem Kopf? | |
Ha, jetzt kommen wir zum spaßigen Teil meiner Arbeit! Versuchen Sie mal das | |
aufzuschreiben (er macht ein schwer definierbares Geräusch). Und? | |
Keine Ahnung … | |
Ja, da muss man sich überlegen, was dem ähnlich klingt. Ich notiere dann | |
zum Beispiel in meiner Datenbank: Hüpfsound, nach innen einatmend, die | |
Lippen in leichtem Lächeln. | |
Und wie groß ist diese Datenbank? | |
Ich hab so etwas 200 unabhängige Geräusche, aber die sind natürlich | |
kombinierbar, ich kann Geräusch eins mit Geräusch drei kombinieren und dann | |
wird’s ein neues Geräusch. | |
Haben Sie eigentlich ein Lieblingsgeräusch? | |
Ja! Wenn jemand einen schlechten Witz macht und keiner lacht, dann mache | |
ich gerne das: (er macht das Geräusch einer zirpenden Grille). Dann lachen | |
alle. Das ist einfach ein sehr schönes Geräusch. | |
Wie üben Sie an so einem Geräusch? | |
Wie ein Bildhauer. Man hat einen Klumpen Stein, man hat einen Hammer und | |
einen Meißel und eine Vorstellung. | |
Also der Stein ist das Geräusch? | |
Ja, genau. Und dann fängt man an, sich in diesem Stein etwas vorzustellen. | |
Ein Gesicht, eine Skulptur, einen Fußball – egal. Man versucht, diese | |
Vorstellung mit Hammer und Meißel durch kleine Abtragungen umzusetzen. Beim | |
Beatboxen ist es genauso: Man will eine Bassdrum lernen und dann klingt | |
das erst mal so puppschk. Man will aber woanders hin. Dann probiert man | |
weiter, merkt okay, wenn ich die Lippen etwas lockerer mache, dann klingt | |
das bassiger. So geht das, bei manchen Geräuschen schneller, bei anderen | |
nicht. Manchmal aber weißt du noch gar nicht, wo es hingeht. | |
Sie geben nicht nur Beatbox-Workshops, treten als Solokünstler auf und | |
haben Ihre Beatboxband 4xSample. Sie machen auch Theater, haben auf der | |
Bühne des Deutschen Theaters gebeatboxt. Ist das der Versuch, Hochkultur | |
mit Subkultur zu mischen so wie Hanns Eisler und Beatbox? | |
Zu meiner Unizeit an der Hanns Eisler war ich immer mehr Beatboxer als | |
Gitarrist. Ich hab da gefühlt ein Doppelleben geführt, in meiner Freizeit | |
war ich Mando der Beatboxer, und in der Uni war ich Daniel Mandolini, der | |
Gitarrist. | |
War das anstrengend dieses Doppelleben? | |
Na ja, irgendwie hatte ich mich damit abgefunden, es war klar, dass an | |
dieser Uni kein Platz dafür ist. Das ist eine sehr militante Musikschule, | |
die darauf bedacht ist, ihre Musiksoldaten auszubilden. Und ich hab | |
gemerkt, ich passe da gar nicht rein. Ich bin ein Spaßvogel, ein | |
Freidenker, im Nachhinein würde ich sagen, ich war da einfach fehl am | |
Platz. | |
Wie kamen Sie denn zum Theater? | |
2007 bekam ich einen Anruf vom Theater Strahl. Die haben einen Beatboxer | |
für eine Theaterproduktion gesucht, die wollten ein Maskenstück für | |
Jugendliche machen, Zielgruppe 13 plus. Ich hab dann gleich gesagt: Ja, sie | |
können mich als Beatboxer haben, aber ich spiele auch Gitarre und die würde | |
ich gern auf die Bühne mitnehmen. Ich hatte dann gleich einen Vertrag. Das | |
Stück ist eingeschlagen wie eine Bombe, die Schüler fanden es super. Es gab | |
so viele Kinder, die waren das erste Mal im Theater und sind mit einem | |
Lächeln nach Hause gegangen. Dieses Stück läuft seit über zehn Jahren und | |
mittlerweile gibt es sogar ein Nachfolgestück. Aber ich hab auch an anderen | |
Theatern gespielt und Musik für Stücke komponiert, in Duisburg, in Münster, | |
in Minden. Am Deutschen Theater und am Heimathafen Neukölln. | |
Was bedeutet Ihnen Theater? | |
Einerseits ist das ein wichtiges Standbein, auch finanziell, aber ich | |
konnte mich durch jede Theaterproduktion weiterentwickeln und ausprobieren: | |
Ich konnte einfach sagen, ich lasse diesmal die Gitarre weg, nehme dafür | |
ein Keyboard, eine Oud oder Küchenbesteck, zum rumtrommeln. | |
Konnten Sie sich an der Hanns Eisler nicht ausprobieren? Gerade Musik ist | |
doch eine sehr freie Kunst. | |
Ich hatte ein krasses Erlebnis. Es ging um mein Diplomkonzert, 45 Minuten | |
Repertoire aus verschiedenen Zeitepochen spielen, Barock, Klassik, | |
Romantik. Am Ende habe ich ein selbst komponiertes Stück gespielt, | |
außerhalb der Wertung. Das hatte ich auch so kommuniziert. Die Prüfung war | |
wie ein offenes Konzert, jeder konnte kommen, meine Familie, meine Freunde. | |
Und ich hab ein Stück gespielt mit Gitarre und Klanggabel, eine | |
Klangkomposition, die nur darauf bedacht war, Klänge mit der Gitarre zu | |
erzeugen, die noch keiner je zuvor gemacht hat. | |
Wie kam das an? | |
Ich hab ganz abgefahrene Sachen gemacht, die Stimmgabel in die | |
Gitarrensaiten eingeflochten und hin und her gescratcht, die Stimmgabel aus | |
meinem Mund baumeln lassen sodass sie die Saiten berührt. Das war total | |
innovativ, aber die Prüfer waren entsetzt! | |
Und welche Note haben Sie bekommen? | |
Ich hab eine sechs bekommen. Die Prüfer waren der Meinung, ich nehme das | |
alles nicht so ernst, die haben das auf dieses Stück am Ende bezogen, das | |
aber außerhalb der Wertung war. Ich war so zerstört. Bei meinem Vordiplom, | |
zwei Jahre zuvor, habe ich eine eins minus bekommen. Ich hätte mich noch | |
einklagen können, aber das habe ich nicht mehr gemacht. Ich habe die Schule | |
ohne einen Abschluss verlassen. | |
Was haben Sie dann gemacht? | |
Ich hab meinen selbstständigen Künstlerweg eingeschlagen. Das war eine | |
harte Erfahrung, aber ich glaub trotzdem, das war das Beste, was mir | |
passieren konnte. Ich wusste ab dem Zeitpunkt was ich möchte und was nicht. | |
Zurück zum Theater: Wenn man jetzt als Beatboxer im Deutschen Theater | |
auftritt, da wissen vermutlich viele im Publikum nicht, dass es so etwas | |
gibt … | |
Ich durfte einmal die Shakespeare-Inszenierung von Othello mit Beatbox am | |
Deutschen Theater begleiten. Das war natürlich Wahnsinn an so einem | |
renommierten Theater mitmachen zu dürfen. Ich war total nervös, ging bei | |
der Premiere auf die Bühne und fing an zu beatboxen. Dann stand ein älterer | |
Herr, vielleicht um die hundert Jahre alt, auf und schrie: Buuuuuhhhh! Ich | |
will Othello sehen! Ich dachte echt: Oh nein, die Theaterpolizei, das war | |
schwierig, ich wollte danach gar nicht mehr auf die Bühne. Es war nicht | |
einfach an so einem Haus zu spielen, wo viele Menschen älteren Jahrgangs | |
hingehen und eine gewisse Vorstellung von Musik oder Theater haben. In so | |
einem Milieu ist es viel schwieriger, positive Reaktionen zu erzeugen. | |
Aber eine umgekehrte Reaktion wäre doch auch möglich, dass die Leute | |
denken: diese Sounds mit dem Mund, das ist doch gar nicht möglich! | |
Ja klar, ich habe 2008 mal eine Workshopreihe in Indonesien gemacht. | |
Beatbox war dort damals total unbekannt. Die haben mich echt angeguckt wie | |
einen Außerirdischen und mich dann gefeiert wie einen Popstar. Das war echt | |
krass! | |
Sie sind eine Rampensau, oder? | |
Ich fühle mich auf der Bühne sehr heimisch. Für mich macht es keinen | |
Unterschied, ob ich auf der Bühne, daneben, dahinter oder im Publikum | |
sitze, ich bin überall entspannt. | |
Apropos heimisch. Ihre Eltern sind ja aus einem anderen Land gekommen. | |
Ja, ich hab argentinische Eltern, bin in Deutschland geboren, aber ich hab | |
einen italienischen Pass. Also es gab immer drei Nationen, die irgendwie | |
konkurriert haben. Das hat in meiner Jugend für viel Verwirrung gesorgt. | |
Bin ich Deutscher? Argentinier? Italiener? Ich hab mich in diesem Dreieck | |
so verloren gefühlt. | |
In den Achtzigerjahren waren ja selbst die Italiener noch „exotisch“, | |
Argentinien ist ja noch viel weiter weg, wie war das so? | |
Ich wurde ständig gefragt, wer oder was ich bin. Und ich konnte diese Frage | |
selbst nicht beantworten. Irgendwann habe ich angefangen, das passende für | |
die Situation rauszusuchen. Aber ich habe mich nie irgendwo heimisch | |
gefühlt, nicht in Argentinien, nicht in Deutschland, nicht in Italien. Ich | |
war immer der Ausländer. Heute möchte ich keine einzelne Nation | |
repräsentieren. Ich bin einfach Multikulti. | |
Hat die Musik bei der Identitätssuche geholfen oder ist das ein Klischee? | |
Also ich hatte viele Auseinandersetzungen in meiner Bonner Zeit, aber in | |
Berlin hab ich schnell gemerkt, dass es egal ist. Du kannst dir die | |
Fingernägel pink lackieren und bauchfrei rumlaufen und keinen interessiert | |
es. | |
Also in Berlin konnten Sie sich freier entwickeln? | |
Ja, man kann hier einfach sein wie man möchte. | |
Hat es in Ihrer musikalischen Entwicklung eine Rolle gespielt, dass Ihre | |
Eltern Argentinier sind? | |
Auf jeden Fall. Meine Mutter hat früher Querflöte und Klavier gespielt, es | |
wurde viel zu Hause musiziert und wir haben viel südamerikanische Musik | |
gehört, Tangos, Musik vom Komponisten Astor Piazzolla. Das hat mein | |
musikalisches Verständnis beeinflusst – auch das Beatboxen natürlich. | |
27 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
Karsten Thielker | |
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