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# taz.de -- AS-Monaco-Coach Leonardo Jardim: Fußball und Flussbetten
> Der Trainer des Champions-League-Halbfinalisten AS Monaco war nie Profi.
> Und Leonardo Jardim lässt sich von französischen Philosophen inspirieren.
Bild: Leonardo Jardim, Freund der Bildsprache
Stille Wasser können sehr tief sein, das ist ja bekannt. Ungewöhnlicher ist
es schon, dass ein Fußballtrainer so leise, zurückhaltend und auf den
ersten Blick gar eigenschaftslos daherkommt wie Leonardo Jardim. Wer
heutige Starcoaches nicht zuletzt als Verführer und Verkäufer schätzt, als
Kommunikatoren und Manipulatoren, der muss vom Übungsleiter der AS Monaco
zwangsläufig enttäuscht sein.
Es liegt also wirklich allein an seinr Arbeit, wenn Jardim, 42, nun in
aller Munde ist. Mit Monaco steht der Portugiese kurz vor dem Gewinn der
französischen Meisterschaft und heute im Champions-League-Halbfinale gegen
Juventus Turin. Seine Mannschaft hat allein in der Liga schon 95 Tore
geschossen, das dynamische, überschwängliche Spiel von Youngstern wie
Tiemoué Bakayoko, Bernardo Silva, Thomas Lemar oder dem 18-jährigen
Wunderkind Kylian Mbappé begeistert den Kontinent.
„Angriffsfußball ist unsere DNA“, sagt Jardim, und auch wenn diese
rhetorische Anleihe in der Genetik inzwischen zu den Standardphrasen der
Branche gehören mag, passt sie zu ihm doch ziemlich gut: Jardim versteht
sich durchaus auf den wissenschaftlichen Zugang zum Fußball.
Profi war er jedenfalls nie, seine erste Mannschaft trainierte er im
Handball, und bevor er sein erstes nennenswertes Team übernahm, hatte er
bereits eine Fußballakademie auf Madeira gegründet. Dort wuchs er auf, wie
Cristiano Ronaldo, nachdem er während eines Auslandsaufenthaltes der Eltern
in Venezuela geboren wurde, und dort besuchte er die Universität, wie
anderswo seine Landsleute Fernando Santos, der Europameistercoach, José
Mourinho oder André Villas-Boas, die in jungen Jahren ebenfalls keine
Spitzenfußballer, sondern Studenten waren. Die portugiesische Trainerschule
unterscheidet sich schon lange durch ihren theoretischen Touch und ihren
ganzheitlichen Ansatz. Nun hat sie ihren konsequentesten Vertreter
gefunden.
## Nachdenken in den Hügeln
Jardim fährt zum Nachdenken gern in die Hügel über Monte Carlo, zieht als
Lektüre wissenschaftliche Fachzeitschriften der Sportpresse vor und nennt
Intellektuelle wie den französischen Philosophen Edgar Morin und dessen
Komplexitätslehre als Inspiration. Wenn er begründen will, warum er selbst
Konditionstraining mit Ball durchführen lässt, dann sagt Jardim: „Das
Spielfeld ist das natürliche Habitat des Fußballers und der Ball gehört
immer in den Mittelpunkt seiner Aktivität.“
Verheiratet mit einer Psychologin, bezeichnet er sich als „Anhänger des
Konzepts der ökologischen Methodologie“. Einen technisch veranlagten
Spieler mit übermäßig viel Muskelaufbau zu traktieren, sei so riskant wie
die Begradigung eines Flussbettes: „Du kannst das ganze Ökosystem
zerstören, die Fische können verschwinden, die Algen können sterben.“
In Frankreichs Fußball, besessen von der physischen Ausbildung der Spieler,
kam er damit nicht auf Anhieb gut an, als er 2014 von Sporting Lissabon zu
Monaco wechselte. Wegen des defensiven Fußballs seiner Elf verließen die
Monaco-Fans mal bei Anpfiff aus Protest das eigene Stadion.
Angesichts der 95 Tore – 44 mehr als in seiner Debütsaison – erscheinen
solche Anekdoten wie aus grauer Vorzeit. Jardim würde jedoch bestreiten,
seine Philosophie geändert zu haben. Als „Realist“ bezeichnet er sich: „…
passe mich dem Kontext an und arbeite mit dem, was ich habe.“
## Pragmatismus als Markenzeichen
Dieser Pragmatismus sei ein Markenzeichen der Trainer aus der
Auswanderernation Portugal, und er erlaubte ihm vor drei Jahren nur
Ergebnisfußball, nachdem Monacos Oligarch Dimtri Rybolowlew unter dem Druck
des Financial Fairplay seine Privatschatulle geschlossen hatte. Jardim
widmete sich der Aufbauarbeit und hat das Feld nun so gut bestellt, dass er
attackieren lassen kann.
Die Spieler loben seine gute Beobachtungsgabe. Sein Einfluss bei der
Entwicklung von Monacos Talenten ist überdeutlich. Nichts macht Jardim
stolzer, von inzwischen verkauften Spielern wie Yannick Carrasco (Atlético
Madrid) oder Geoffrey Kondogbia (Inter Mailand) ließ er sich sogar die
neuen Trikots besorgen. „Meine kleinen Trophäen“ nennt er sie, Leonardo
Jardim, der Biobauer, dessen Arbeit sich nicht verbraucht, weil sie nicht
auf Verführung basiert, sondern auf tiefen Wurzeln.
3 May 2017
## AUTOREN
Florian Haupt
## TAGS
Champions League
Juventus Turin
Fußball
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