# taz.de -- Paramilitärische Organisationen: Die Bürgerarmee des Präsidenten | |
> Erst die Exekutive, nun der Normalbürger. Die Bevölkerung wird bewaffnet, | |
> damit sie bei Bedarf Erdoğans Straßenschlachten austrägt. | |
Bild: Auch diejenigen, die den Kampf austragen, verlieren | |
Sedat Peker sitzt an einem Schreibtisch und grinst zweideutig in die | |
Kamera. Mit ruhiger Stimme sagt er: „Ich möchte jenen, die gegen das | |
Referendum auf die Straße gehen wollen, nur mitteilen, dass wir dort auf | |
euch warten werden. Allein deshalb schon würde ich an eurer Stelle ja | |
sagen.“ | |
Mit Ansprachen dieser Art wendet sich Peker in den vergangenen Monaten | |
regelmäßig an die türkische Öffentlichkeit. Die Videos werden in den | |
sozialen Medien von mehreren Hundertausend Accounts geteilt. Es sind klare | |
Ansagen gegen jene Wähler, die gedenken, beim anstehenden | |
Verfassungsreferendum mit „Nein“ zu stimmen. Und Peker ist in der Türkei | |
kein Unbekannter. | |
## Von Händlern zu Märtyrern | |
In den 1990er Jahren, als illegale Organisationen und Bürokratie aufs | |
Engste miteinander verwoben waren, galt er als Oberhaupt der organisierten | |
Kriminalität in der Türkei. Bekannt für seine Nähe zur nationalistischen | |
Partei MHP, bezeichnet Peker sich selbst als Panturkist, und ist derzeit, | |
so wie manch anderer MHPler Teil der AKP-Front. Also rührt er die | |
Wahltrommel für Erdoğan, indem er mit Waffengewalt droht. | |
Neu ist die Rhetorik der Bewaffnung im Kontext der AKP nicht. Schon Ende | |
2014 sprach Recep Tayyip Erdogan, damals noch Ministerpräsident, bei der | |
Eröffnung der Wirtschaftsmesse in Ankara folgende Worte: „In unserer | |
Gesellschaft und unserem nationalen Verständnis von Zivilisation können | |
Händler und Künstler, wenn es die Situation erfordert auch zu Soldaten, | |
Kreuzrittern, Märtyrern, Kriegsveteranen und Helden werden, die ihr Land | |
verteidigen. Zu Zeiten sind sie die Polizisten, die den Frieden wahren, | |
Richter, die Gerechtigkeit walten lassen oder aber der gütige Bruder.“ | |
Angesichts der Spannungen, die sich in diesen Tagen innerhalb der | |
Bevölkerung bemerkbar machen, sind diese Worte heute umso bedenklicher. Mit | |
dem näher rückenden Referendum dringen beunruhigende Informationen in die | |
Medien durch, die von Organisationen berichten, die sich bewaffnen, um das | |
Land gegen die Opposition zu verteidigen. | |
## Anstachelung zum Othering | |
Seit dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juni 2016 werden Aufrüstung und | |
Organisation illegaler ziviler Zusammenschlüsse von Poltiker*innen offen | |
dargelegt und forciert. Şeref Malkoç, Oberster Berater des | |
Staatspräsidenten, sagte Tage nach dem Putschversuch: „Für die legitime | |
Verteidigung jener, die sich den Putschisten entgegenstellen, muss der Weg | |
für Waffenlizenzen geebnet werden.“ | |
Es ist nicht zu unterschätzen, wie viele Personen aus der Zivilgesellschaft | |
für diese Art der Anstachelung empfänglich sind. Politiker, die mit ihren | |
Botschaften nicht an die Rationalität, sondern an die Ängste der Menschen | |
appellieren, verschärfen die Gewaltbereitschaft enorm. Vor allem gibt es in | |
der türkischen Gesellschaft, neben der berüchtigten Tendenz zum | |
Machtfetischismus, eine hohe Anfälligkeit zu Othering und Ausgrenzung, die | |
nicht selten zu blutigen Auseinandersetzungen, gar zur Vernichtung führen. | |
So ist in letzter Zeit im Kontext paramilitärischer Organisationen häufiger | |
die Rede von einem verzweigten Netzwerk, das von der verschwägerten | |
Verwandtschaft Erdoğans bis hin zum Bürgermeister von Ankara, Melih Gökçek, | |
und zu neu gegründeten Geheimsicherheitsdiensten reicht. Nicht zuletzt | |
sollen auch ehemalige Soldaten, die zu Beratern Erdoğans berufen wurden, | |
Teil des Netzwerks sein. | |
## Islamistische Konterguerillas? | |
SADAT A.Ş nennt sich etwa ein privates Sicherheits- und Militärunternehmen. | |
Dessen Hauptanliegen wird wie folgt beschrieben: „SADAT A.Ş ist das erste | |
und einzige Unternehmen, das in der Türkei bei Sicherheitsfragen berät und | |
militärische Ausbildungen durchführt.“ | |
Das Unternehmen wurde unter dem Vorsitz des ehemaligen Brigadegenerals | |
Adnan Tanrıverdi und 23 weiteren pensionierten Offizieren und | |
Unteroffizieren im Februar 2012 gegründet. Im August 2016 berichtete die | |
Tageszeitung Cumhuriyet, dass der Vorsitzende Tanrıverdi aus der SADAT | |
zurückgetreten ist, um fortan als Berater des Staatspräsidenten Erdoğan zu | |
arbeiten. | |
Interessant ist in der Selbstdarstellung des Unternehmens, das auch Kurse | |
zu „unkonventioneller Kriegsführung“ anbietet, der Passus, es wolle „die | |
islamische Welt dabei unterstützen eine gemeinsame Verteidigung und | |
Verteidigungsindustrie aufzubauen und ihren verdienten Platz als | |
Militärmacht unter den Supermächten einzunehmen“. | |
Laut einem anderen Bericht der Cumhuriyet vom 20. Februar 2017, wurde im | |
Januar ein Treffen der Organisation „Bleib brüderlich Türkei“ angeordnet, | |
die unter der Führung von Orhan Uzuner, dem Schwiegervater von Erdoğans | |
Sohn Bilal, gegründet wurde. Ziel der Organisation sei es, „bei einem | |
erneuten Putschversuch die Bevölkerung so schnell wie möglich für die | |
Straße zu mobilisieren“. | |
Uzuner sagte auf genau dieser Veranstaltung: „Wir haben uns um unseren | |
Führer, dem Symbol der Freiheit, versammelt und wollen nicht, dass er einen | |
Verlust erleidet. Unser kleinster Gegenstand ist die Trillerpfeiffe, in | |
meinem Auto befindet sich ein Megafon. Es gibt aber auch Waffen, die wir | |
bei Bedarf einsetzen werden. Wir werden solche Vorkehrungen treffen | |
müssen.“ | |
Auch der Bürgermeister von Ankara, Melih Gökçek, forderte bereits auf | |
Social-Media-Kanälen, dass türkische Jugendliche sich bewaffnen und | |
organisieren sollten. In einer CNN-Sendung erklärte Gökçek zudem, einen | |
neuen Putschversuch würde er nicht dulden: „Anschläge wird es immer wieder | |
geben, aber einen Putsch werden sie nicht wagen. Dafür reicht ihre Kraft | |
nicht aus. In dem Moment, wo sie einen Fuß auf die Straße setzen, werden | |
sie die Feuerkraft des Volkes erleben.“ | |
## Gemeinden stellen Waffen | |
Doch es gibt auch konkretere Hinweise auf die Bewaffnung von Zivilisten | |
durch diverse Gemeinden. Der Tageszeitung Birgün zufolge, vekündete der | |
Istanbuler Bezirk Esenyurt im Februar 2017, dass Ordnungskräfte ihres | |
Bezirks bewaffnet werden sollen. In dem Beschluss sei die Rede von | |
insgesamt 20 Schusswaffen, die an die Ordnungsbeamten ausgehändigt werden | |
sollen. | |
Ferner heißt es in der Erklärung, dass „die Waffen nur an ehemalige | |
Sondereinsatzkräfte oder Soldaten ausgehändigt werden, die zuvor im | |
Südosten gedient haben und nun als Ordnungskräfte und Beamte tätig sind.“ | |
Eine gesetzliche Legitimation für eine solche Beschäftigung ehemaliger | |
Sondereinsatzkräfte auf Bezirksebene gibt es nicht. | |
Die Partei, die dem Referendum zum Staatspräsidentensystem die größte | |
Schützenhilfe bot, ist die MHP. In den vergangenen Monaten zeichnete sich | |
in der Partei eine große Führungskrise ab. Einer der möglichen Kandidaten | |
für den Parteivorsitz war Sinan Oğan, der verkündete, eine paramilitärische | |
Struktur namens „Volkseigene Bewegung“ initiiert zu haben. Laut einem | |
Artikel in der Tageszeitung Sözcü, werden seit dem Putschversuch 15. Juli | |
2016 durch diese Bewegung Bäcker, Friseure und Lebensmittelhändler in Camps | |
an der Waffe ausgebildet. | |
## Jugendliche in Ausbildungscamps | |
Eine weitere Behauptung in Bezug auf paramilitärische Entwicklungen kam im | |
April 2016 von Kamuran Yüksek. Er ist Co-Vorsitzender der DBP, einer | |
regionalen Schwesterpartei der prokurdischen HDP. Auf einer Veranstaltung | |
in Diyarbakır behauptete er, ihm lägen Informationen vor, dass 250.000 | |
Jugendliche mit Hilfe der Mafia als paramilitärische Jugendeinheit zur | |
militärischen Ausbildung verpflichtet wurden. Außerdem sei unter dem Schutz | |
einer Vereinigung mit dem Namen Osmanische Bruderschaften eine „nationale | |
Einheit“ gegründet worden. | |
Auf diese Äußerung stellte Yüksek folgende Fragen in die Runde: 'Welche | |
Absicht steckt hinter dieser paramilitärischen Struktur? Wird es für den | |
Präsidentenpalast Wachmannschaften geben, so wie die iranischen | |
Spezialeinheiten? Oder sind das Vorbereitungen auf einen bevorstehenden | |
Putsch?“ | |
In Anbetracht der Gewaltbereitschaft, die die Zivilbevölkerung während des | |
Putschversuchs am 15. Juli auf der Straße zeigte, sind diese Fragen | |
durchaus berechtigt. | |
## Abseits des juristischen Schutzes | |
Längst sind wir an einem Punkt angelangt, wo diejenigen, die sich nicht der | |
Regierungslinie angeschlossen haben, sich außerhalb des juristischen | |
Schutzes befinden. Am Ende dieses Prozesses drängt sich die Errichtung | |
eines totalitären Regimes auf. Mit jedem Anzeichen einer autoritären Türkei | |
kontrolliert der als „ordnende Staatsbürger“ beschriebene Prototyp für | |
Erdoğan die Straßen und designt die Regeln des sozialen Zusammenlebens nach | |
eigenen Vorstellungen. Und erhält dabei volle Rückendeckung durch Polizei | |
und Justiz. | |
Auf der anderen Seite werden Akademiker*innen, die für den Frieden | |
einstehen, sowie Journalist*innen, Mitarbeiter*innen von NGOs und sogar | |
Pianisten per Notstandsdekret entlassen, verfolgt oder in Polizeigewahrsam | |
genommen. | |
Und vielleicht ist ein „Ja“ beim Referendum am 16. April auf lange Sicht | |
gesehen sogar für die Regierung ein Verlust. Es gibt keine Garantie dafür, | |
dass die derzeitige Machtkonzentration zu einem späteren Zeitpunkt nicht zu | |
einem Wettstreit innerhalb der Regierungspartei führen wird, es ist sogar | |
sehr wahrscheinlich. | |
Mit einer Aufhebung der Gewaltenteilung zugunsten der Regierungsvormacht | |
werden schließlich nicht nur Oppositionelle verlieren, sondern auch | |
diejenigen, die den Kampf dafür ausfechten. | |
15 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Sercan Meriç | |
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