# taz.de -- Weltfrauenkampf-Woche: „Der König ist nackt!“ | |
> Repressionen gegen Künstler*innen sind in der Türkei nicht neu. Es | |
> besteht aber Hoffnung, denn nie waren Frauen so gut organisiert. | |
Bild: „Die Revolution wird durch Frauen erfolgen“ | |
„Die Revolution wird durch die Frauen erfolgen“, sagt Schauspielerin Füsun | |
Demirel und ist in Bezug auf den feministischen Widerstand in der Türkei | |
sehr optimistisch. Auf Einladung des MigrantInnenvereins Düsseldorf e.V. | |
war sie anlässlich des Internationalen Frauentags zur Aufführung des | |
Bühnenstücks „Liebeslektionen“ in Deutschland. Demirel ist nicht nur Teil | |
des Ensembles, sie hat das Stück des italienischen Künstlerpaars Dario Fo | |
und Franca Rame übersetzt und inszeniert. Ein Gespräch über sexuelle Tabus | |
und den Zusammenhang zur Gewalt in einer Gesellschaft. | |
## taz: Frau Demirel, vergangenes Jahr sagten Sie in einem Interview, Sie | |
würden mal gerne eine Widerstandskämpferin spielen. Daraufhin brach eine | |
Hetzkampagne gegen Sie los und Sie verloren Ihre Serienrolle. Seither kommt | |
es immer wieder zu Problemen. Erzählen Sie uns davon? | |
Füsun Demirel: Anderthalb Monate nach dem Shitstorm, das auf dieses | |
Interview folgte, kam es bei der Tour zu „Liebeslektionen“ zu diversen | |
Problemen. Offensichtlich hatte meine Person bei der Polizei das Bedürfnis | |
geweckt, das Bühnenstück mit einer Kamera aufzuzeichnen. Eigentlich fühle | |
ich mich ganz geschmeichelt. | |
## Wieso das denn? | |
Nun ja, vielleicht haben ja die Beamten durch das Stück auch eine Lektion | |
gelernt. | |
## Worum geht es in dem Bühnenstück? | |
Das Stück erzählt die Geschichte zwischen Mann und Frau seit Anbeginn der | |
Menschheit. Es thematisiert Leidenschaft und Dinge, wie jemanden lieben und | |
berühren. Themen, von denen wir denken, dass wir besonders viel darüber | |
wissen. Aber eigentlich ist es nicht so. | |
## Es geht also darum mit sexuellen Tabus zu brechen? | |
Vor allem geht es darum, dass Frauen Frieden mit ihren Körpern schließen. | |
Ich will, dass Frauen, sowie Männer sich wieder Gedanken über das Thema | |
Liebe machen. Die Gesellschaft hat sich zu sehr an sexuelle Gewalt gewöhnt. | |
Ich denke die Ursache allen Übels, wie Krieg, Rassismus, Frauenmorde und | |
Vergewaltigung, ist die fehlende Liebe in der Erziehung des Menschen. Es | |
gibt Leute, die sich aufgrund von Tabus nicht einmal umarmen. Eltern ziehen | |
ihre Kinder auf, ohne ihnen ihre Zuneigung zeigen zu können. | |
## Und diese Erziehung hat etwas mit der Tabuisierung von Sexualität zu | |
tun? | |
Traditionen spielen eine Rolle. Ich glaube, dass Menschen, die Gewalt in | |
sich tragen, ohne Liebe aufgewachsen sind. Genau darüber möchte ich mit | |
Menschen ins Gespräch kommen. Ich will sie an Liebe und Leidenschaft | |
erinnern und deshalb habe ich mich für dieses Bühnenstück entschieden. | |
## Welche Absicht verbirgt sich hinter der Schließung oder Zwangsverwaltung | |
von Theaterhäusern, Hetzkampagnen und Entlassungen von oppositionellen | |
Künstler*innen? | |
Wahre Kunst ist immer oppositionell, und niemals systemkonform. Die Kritik | |
der Kunst am Patriarchat nützt eigentlich der Regierung, weil sie dazu | |
beiträgt, dass Politik und Gesellschaft sich weiterentwickeln. Allerdings | |
ist das nicht im Sinne von nationalistischen und konservativen Ideologen, | |
da sie kein Interesse an einer Weiterentwicklung haben. | |
Das Kulturministerium fördert nur der Regierung ideologisch zugewandte | |
Künstler*innen und Projekte. Aber eigentlich ist das keine neue Praxis. In | |
der Geschichte gibt es viele Beispiele für die Unterdrückung der Kunst | |
unter rechten oder konservativen Ideologien. | |
## Und wo soll das alles hinführen? | |
Ein*e Künstler*in wird immer einen Weg finden, den eigenen Gedanken zum | |
Ausdruck zu bringen. Wahre Kunst ist jene, die selbst in der schlimmsten | |
Diktatur ruft: „Der König ist nackt!“ Wenn es eine Hoffnung für die Türk… | |
gibt, und davon bin ich fest überzeugt, kann sich der Kunst nichts in den | |
Weg stellen. | |
## Gibt es auch Hoffnung für Frauen? | |
Natürlich gibt es die. Wir durchleben schwierige Zeiten, was mir aber | |
Hoffnung gibt, ist die Tatsache, dass trotz aller Demütigungen die Frauen | |
so organisiert und präsent in der Öffentlichkeit sind, wie nie zuvor. Es | |
werden die Frauen sein, die die Revolution anstoßen. Denn es sind die | |
Frauen, die Leid und Folter erfahren, die trotz Polizeigewalt am nächsten | |
Tag wieder auf die Straßen gehen. Das macht mich zuversichtlich. | |
## Die Terrorgefahr wird dafür genutzt jegliche Friedensbestrebungen zu | |
zerschlagen. Diese Methode findet in der Bevölkerung Anklang. Wieso | |
funktioniert das so gut? | |
Die Gesellschaft in der Türkei ist nicht besonders politisiert. Seit fast | |
hundert Jahren leben die Menschen nach dem Prinzip, sich stets in ein | |
fertiges Nest zu setzen. Wir reden von Menschen, die sich nichts erkämpfen | |
mussten. Jene, die sich widersetzt haben, wurden durch Putschisten oder | |
andere politische Autoritäten unterdrückt und verfolgt, darunter auch | |
organisierte Gruppen wie Gewerkschaften, Berufsverbände oder | |
zivilgesellschaftliche Vereine. | |
Aus diesem Grund sind linke Bewegungen in der Türkei nicht stärker. Seit | |
ich denken kann, lebe ich unter rechten Regierungen, die Bedingungen waren | |
zuvor nicht anders. Das Volk wird betäubt. Wenn selbst die Mitgliedschaft | |
in einer Gewerkschaft kriminalisiert wird, bleibt nur eine desorientierte | |
Gesellschaft übrig. Was kann man da erwarten. | |
## Wie wird das Stück „Liebeslektionen“ vom Publikum aufgenommen? | |
Wir sind in der Türkei, aber auch im Ausland aufgetreten und haben bisher | |
fast keine negativen Rückmeldungen erhalten. Wir haben Zuschauer*innen aus | |
allen Altersgruppen, und alle können bezüglich ihrer sexuellen Belange | |
etwas aus dem Stück mitnehmen. | |
Nach einer Vorstellung kam ein Mann auf mich zu und sagte: „Ich wünschte, | |
meine Frau hätte das Stück sehen können.“ Er beteuerte, er habe viel | |
gelernt und es ist schon etwas besonderes, dass ein Mann so etwas äußert. | |
Auch Frauen, die ohne ihre Männer das Stück sehen, wünschen sich, ihre | |
Partner wären dabei gewesen. Wichtiger als das Feedback an uns, ist aber | |
die innere Abrechnung der Zuschauer*innen. | |
9 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
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