# taz.de -- Fake News in polnischer Zeitung: Flüchtlinge im Deutschen Paradies | |
> Eine Frau zeichnet der polnischen „Gazeta Prawna“ ein Katastrophenbild | |
> von der deutschen Flüchtlingspolitik. Das meiste hat sie sich ausgedacht. | |
Bild: Auch Polen möchte Flüchtlinge in Grenzlager – wie dieses hier in Unga… | |
„Ich kehrte Deutschland den Rücken, weil in meinem Dorf Flüchtlinge alles | |
verdreckten, weil sie stahlen und die Touristen verschreckten. Deutsche | |
hingegen zündeten ihre Asylbewerberheime an“, sagte eine Polin in einem | |
Aufsehen erregenden Interview mit der Warschauer Tageszeitung Gazeta | |
Prawna. Die Journalistin Ewa Wanat ist dem nachgegangen und ins fränkische | |
Rupprechtstegen gefahren. Sie fand heraus: Das einzig Wahre an der | |
Geschichte ist, dass die Frau Deutschland verlassen hat. Der Text erschien | |
unter dem Titel „Uchodźcy z niemieckiego raju“ am 20.11.2016 in der | |
Wochenzeitung Tygodnik Powszechny. Aus dem Polnischen von Gabriele Lesser. | |
„Na, da haben die Nazi-Schweine bekommen, was sie verdient haben. Die | |
Muslime kolonisieren ihr Land, um es dann platt zu machen“, schrieb ein | |
gewisser „Zlook“ im Leserforum der Tageszeitung Gazeta Prawna zum Interview | |
„Vom Paradies zur Müllkippe. Wie das von Flüchtlingen überrannte | |
Deutschland wirklich aussieht“. Erschienen war der Text am 7. Juli 2016. | |
Maya Paczesny, eine Frau um die 40, hatte sich von der Journalistin | |
Magdalena Rigamonti interviewen lassen, da, wie sie sagt „niemand in Polen | |
eine Ahnung davon hat, wie es wirklich hinter den Kulissen der | |
Flüchtlingsaufnahme in Deutschland zugeht“. Paczesny erzählt der | |
Journalistin, sie habe mit ihrem Mann ein Haus im Touristenort | |
Rupprechtstegen in Oberbayern gekauft, um es mit großem finanziellen | |
Aufwand in ein Hotel umzubauen. Dann aber seien dort plötzlich Flüchtlinge | |
aufgetaucht und hätten das paradiesische Dorf in eine Müllkippe verwandelt, | |
Fische aus einem privaten Teich und Fahrräder gestohlen. | |
Im Hof vor ihrem Haus lägen seitdem immer wieder Abfall und Essenreste | |
herum. Die Idylle sei zu Ende. „Jetzt zünden die Deutschen ständig die | |
Flüchtlingsunterkünfte an. Im letzten Jahr gingen 600 Häuser in Flammen | |
auf.“ Mal sagt Maya Paczesny, dass es die Dorfbewohner waren, die die | |
Häuser abfackelten, dann wieder, dass es Pegida-Anhänger waren, die die | |
„Islamisierung Deutschlands“ bekämpfen. | |
„Die Touristen verschwanden“, behauptet Paczesny. „Früher kamen täglich… | |
Personen vorbei, jetzt sind es gerade noch acht bis zehn.“ Die deutsche | |
Regierung habe begonnen, die Eigentümer großer Häuser zu zwingen, diese zu | |
verkaufen oder zu vermieten, um aus ihnen Flüchtlingsheime zu machen. | |
Paczesny behauptet, dass auch sie dazu gezwungen wurde, ihr Traumhotel zu | |
verkaufen. | |
In Polen sorgte das Interview als Augenzeugenbericht für großes Aufsehen. | |
In den sozialen Netzwerken wurde es über Wochen breit diskutiert. Viele | |
Polen waren überzeugt, dass das Interview aufzeige, was muslimische | |
Flüchtlinge den Deutschen angetan hätten. Auch rechte Internetportale | |
kommentierten. Und plötzlich schickt mit ein Bekannter dieses Interview mit | |
der Frage: „Sieht das wirklich so in Deutschland aus?“ Ich las den Text und | |
die Kommentare und wusste, dass dies ein Thema für mich ist. So fuhr ich | |
nach Rupprechtstegen. | |
Idylle | |
Das Dorf liegt eine Stunde von Nürnberg entfernt, im Flusstal der Pegnitz, | |
inmitten der malerischen Hügel der Fränkischen Schweiz. Häuschen wie aus | |
einem Märchen – himmelblau, gelb und pistaziengrün. In den Fenstern weiße | |
Gardinen, neue Dächer, gepflegte Gärten und schön gemähter Rasen. Auf den | |
Straßen sieht man nicht einmal ein Papierchen. Im kristallklaren Teich | |
schwimmen Forellen. Die sollen die Flüchtlinge gestohlen haben. | |
Knapp hundert Meter entfernt steht ein gelbes Haus. Ich kenne es von den | |
Bildern auf der Facebook-Seite von Maya Paczesny. Es steht direkt an der | |
Chaussee. Im Laufe eines Tages fahren hier 5.000 Autos vorbei, was | |
erheblich über dem bayerischen Durchschnitt liegt. Ohne Bürgersteig und | |
Randstreifen ist sie sehr gefährlich für Fußgänger und Radfahrer. Und für | |
eine Straße, die mitten durchs „Paradies“ führt, ist sie wahnsinnig laut. | |
Am Tag und in der Nacht. Ich kann mir kaum jene idyllischen Abende mit | |
einem Glas Wein in der Hand auf der Terrasse vorstellen, wie die Heldin des | |
Interviews sie geplant hatte. | |
Paczesny sagt im Interview, dass das künftige Asylbewerberheim aus Angst | |
vor Brandstiftern von einem Wachmann mit Gewehr beschützt wird. Ich gehe | |
von Stockwerk zu Stockwerk, rufe immer wieder, um den bewaffneten Wachmann | |
zu warnen, Am Ende klopfe ich an eine Tür am Ende eines Korridors mit der | |
Aufschrift „Security“. Es öffnet eine verschlafene junge Frau um die | |
Zwanzig mit kleinen Ringen in der Nase und an den Augenbrauen. Als ich am | |
nächsten Tag zum gelben Haus zurückkomme, wiederholt sich die Situation – | |
die Tür offen, die verschlafene Wächterin. Es gibt weder einen Wächter mit | |
einem Gewehr noch irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen. | |
Die Nachbarin im nächsten Haus kennt Maya Paczesny nicht. Sie hat sich nie | |
mit ihr unterhalten. | |
„Ist das wahr, dass es weniger Touristen gibt in der letzten Zeit?“, frage | |
ich. | |
„Ja.“ | |
„Durch die Flüchtlinge?“ | |
„Nein, seit 15 Jahren sind es weniger.“ | |
Unser Gespräch wird durch die ständig vorbeidonnernden Lkws fast übertönt. | |
Die Nachbarin kam 1955 nach Rupprechtstegen. Sie arbeitete als Kellnerin. | |
Damals sei großer Betrieb gewesen. Sogar aus Berlin und Hamburg seien die | |
Gäste gekommen. Doch dann verdienten die Deutschen immer besser und zogen | |
es vor, ihren Urlaub in Italien oder auf Mallorca zu verbringen. | |
Und was ist mit den Flüchtlingen? „Ich kann nichts Schlechtes über sie | |
sagen. Sie sind kaum zu sehen, nur auf dem Weg zum Bahnhof. Morgens fahren | |
sie zu ihren Sprachkursen und zu den Behörden nach Nürnberg, abends kommen | |
sie zurück.“ Sie fügt hinzu: „Aber wenn sie das dritte Haus auch noch in | |
ein Asylbewerberheim umwandeln, werden es zu viele – wohl mehr als die | |
hiesigen Einwohner. Hier gibt es fast keine jungen Menschen, nur alte. In | |
den meisten Häusern wohnt nur noch eine Person. Die einzigen Kinder hier, | |
das sind die der Flüchtlinge.“ | |
Die Forellen schwimmen immer noch im Teich | |
Rupprechtstegen liegt in der Gemeinde Hartenstein. Im Dorf leben rund 200 | |
Einwohner, außerdem rund 150 Bewohner eines Seniorenheimes. In zwei | |
Asylbewerberheimen wohnen rund 90 Flüchtlinge, vor allem Familien mit | |
Kindern. Ein großer Teil der Einwohner Hartensteins und der benachbarten | |
Orten Velden und Vorra sind Flüchtlinge. Allerdings kamen sie schon vor | |
über 60 Jahren hierher – vertrieben nach dem Zweiten Weltkrieg aus Pommern, | |
Schlesien, Großpolen und Tschechien. | |
Eine weitere Nachbarin der Paczesnys unterhält sich mit mir durchs Fenster | |
im ersten Stock. Sie kocht gerade das Mittagessen, wartet auf die Kinder, | |
die gleich aus der Schule kommen, und den Ehemann. Der Forellenteich liegt | |
vor der Haustür. „Ich habe nichts gegen die Flüchtlinge, aber der Schulbus | |
ist jetzt überfüllt, und meine Kinder haben keine Sitzplätze mehr. Außerdem | |
hat jemand den Schwänen die Eier stibitzt. Wir freuten uns so sehr auf die | |
Schwanenküken, dass wir immer wieder nach dem Nest am Fluss sahen. Aber | |
eines Nachts verschwanden die Eier dann doch. Natürlich kann ich nicht mit | |
Sicherheit sagen, dass das die Flüchtlinge waren und nicht vielleicht ein | |
Fuchs, aber passiert ist es jedenfalls.“ | |
„Und die Forellen? Haben die Flüchtlinge sie gestohlen?“ | |
„Das höre ich zum ersten Mal. Es gab zunächst Probleme mit dem Abfall, weil | |
sie nicht an die Mülltrennung gewöhnt sind, aber das haben sie schnell | |
gelernt.“ | |
Der Herr im Hut, den ich nach der ehemaligen Nachbarin befrage, zuckt nur | |
mit den Schultern. | |
„Haben Sie nicht mit ihr gesprochen?“ | |
„Sie hat nicht mit uns gesprochen. Und ich kann weder Polnisch noch | |
Englisch.“ | |
„Hat sie nicht Deutsch gesprochen?“ | |
„Kein Wort. Na vielleicht ‚Grüß Gott‘.“ | |
Im Interview mit der Gazeta Prawna erzählt Paczesny, dass sie sich so sehr | |
integrieren wollte mit den Einwohnern des Dorfes, dass sie sich sogar | |
bemühte, im fränkischen Dialekt zu sprechen. | |
Die Tatsache, dass weder Maya Paczesny noch ihr Mann Deutsch sprachen, | |
bestätigen alle, mit denen ich spreche – die Nachbarn, Mayas Vater und auch | |
Werner Wolter, der Bürgermeister von Hartenstein. „Sie wohnte rund zwei | |
Jahre in Rupprechtstegen. Gleich zu Beginn stellte sie das Haus für zwei | |
Millionen Euro zum Verkauf“, sagt der Bürgermeister. „Das ist eine absurde | |
Summe. Dafür kauft hier niemand ein Haus.“ Nach einem Jahr habe sie den | |
Preis auf eine Million abgesenkt. „Kurz nach dieser Annonce verschwand sie | |
dann aus Rupprechtstegen.“ | |
Ich rufe bei Paczesnys Vater an. Er ist wütend, da er in der Gegend noch | |
ein Haus besitzt und sich jetzt schämt, sich vor den Nachbarn zu zeigen. | |
„Alles was meine Tochter in diesem Interview gesagt hat, ist Unsinn“, sagt | |
er. Er wisse nicht, warum sie das getan hat. | |
Was also ist wahr an diesem Interview? | |
In Rupprechtstegen und Umgebung gibt es keine Müllkippe. Ich sehe und | |
besuche drei Asylbewerberheime in zwei Dörfern, spreche mit knapp 20 | |
Einheimischen. Es ist überall sauber. Nirgends fliegt Papier oder Abfall | |
herum. Der Eigentümer des Forellenteichs weiß nichts von einem | |
Fischdiebstahl. Maya Paczesny kann weder deutsch noch gar fränkisch | |
sprechen. | |
Die Touristenzahl ist ebenfalls nicht zurückgegangen, obwohl Paczesny im | |
Interview behauptet, dass die Toursiten verschwunden seien, nachdem das | |
Dorf Flüchtlinge aufgenommen hatte. 2015 besuchten über 190.000 Touristen | |
die Gemeinde Hartenstein. Das sind 1,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im | |
ersten Halbjahr von 2016 kamen sogar 3,6 Prozent mehr Touristen als noch | |
2015. Der Eigentümer eines neu eröffneten Restaurants am Bahnhof von | |
Rupprechtstegen ist sehr zufrieden: „Wir haben hier ständig Gäste. Es läuft | |
richtig gut!“ | |
Und wie ist das mit den Pegida-Anhängern, die – wie Paczesny sagt – Terror | |
säen, indem sie den Eigentümern der Asylbewerberheime Angst einjagen und es | |
den Flüchtlingen unmöglich machen, sich niederzulassen. Paczesny behauptet, | |
dass es im Jahre 2015 in der Gegend 600 Brandstiftungen gegeben habe. | |
Ich überprüfe die Zahl im Bundeskriminalamt. In ganz Deutschland hat des | |
demnach im Jahre 2015 95 Brandstiftungen gegeben. Das ist sehr viel, fünf | |
Mal mehr als im Jahr davor. Aber die Zahl ist weit entfernt von angeblich | |
600 Brandstiftungen allein in Bayern. | |
In Vorra, vier Kilomenter von Rupprechtstegen entfernt, brannte 2014 ein | |
frisch renoviertes Haus. An der Wand prangte ein Hakenkreuz und die | |
Schmierei „Kein Asylant in Vorra“. | |
Nach anderthalb Jahren stellte die Polizei den Eigentümer und einen | |
Mitarbeiter der Firma, die das Haus renoviert, aber nicht termingerecht | |
fertiggestellt hatte. Der Firma drohte damals eine Vertragsstrafe. So | |
steckten die beiden das Haus in Brand und legten für die Polizei eine | |
falsche Spur. Interessant ist, dass der Firmenchef selbst ein Flüchtling | |
ist. Er kam einst aus dem Balkan nach Deutschland. Die Vertragsstrafe hätte | |
zum Bankrott seiner Firma geführt. | |
Ich schrieb an Maya Paczesny, rief an, schickte SMS. Von Magdalena | |
Rigamonti, der Autorin des Interviews, weiß ich, dass Paczesny meine | |
Nachrichten erhielt. Aber sie antwortete nicht. | |
Mit Rigamonti unterhielt ich mich ein einziges Mal. Sie war sicher, dass | |
Paczesny hervorragend Deutsch spricht. Sie prüfte nicht, wie viele | |
Brandstiftungen es tatsächlich in Bayern gab, hatte sie doch von Paczesny | |
200 Fotos erhalten. Sie prüfte in keiner Weise, wie glaubwürdig eigentlich | |
ihre Interviewpartnerin war. Sie versprach, mir die Fotos von den | |
abgefackelten Häusern zu schicken, aber ich habe nie auch nur ein Bild | |
erhalten. | |
Ich wollte sie später noch nach Details fragen, aber sie nahm meine Anrufe | |
nicht mehr entgegen und antwortete auch nicht mehr auf meine Mails. Und so | |
antwortet sie mir auch nicht auf die wichtigste Frage: Warum ein Interview | |
mit einer Gesprächspartnerin, deren Glaubwürdigkeit niemand geprüft hatte, | |
einen Titel trägt, der wie ein Urteil klingt: „Vom Paradies zur Müllkippe. | |
Wie das von Flüchtlingen überrannte Deutschland wirklich aussieht“. | |
22 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Ewa Wanat | |
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