# taz.de -- Kriminalität in Bremen: Schweigen ist Gold | |
> An einem brutalen Axt-Überfall 2014 in der Neustadt sollen Angehörige | |
> derselben Familie beteiligt gewesen sein wie am Tod eines jungen Syrers | |
> an Silvester. | |
Bild: An der Lüssumer Heide wurde an Silvester ein Syrischer Junge überfallen… | |
BREMEN taz | Fünf Millimeter tief war die Wunde im Schädel, hat der Arzt | |
gesagt. Vermutlich von einem Hieb mit der Axt verursacht. Glück hat er | |
gehabt. Nennen wir ihn „Memet“, seinen richtigen Namen will er nicht in der | |
Zeitung lesen. Denn die Männer, die jetzt der Tat beschuldigt werden, | |
stammen aus derselben yezidisch-kurdischen Großfamilie, deren Angehörige in | |
der Silvesternacht einen syrischen Jungen zu Tode geschlagen und getreten | |
haben. | |
Auf Memet haben sie im August 2014 geschossen und in ähnlicher Weise | |
eingeschlagen, nach demselben Muster: Eine Gruppe überrascht einen | |
einzelnen, ohne erkennbaren Anlass. Und schlägt brutal zu. Warum waren die | |
Beschuldigten vom August 2014 seither nicht längst verurteilt worden? | |
Könnte dann der 15-jährige Odil womöglich noch am Leben sein? | |
Wegen des „Axt-Überfalls“ auf Memet im Jahr 2014 wird es möglicherweise | |
nicht einmal zu einem Prozess kommen, das hat das Bremer Justizressort in | |
der vergangenen Woche auf Anfrage des Abgeordneten Jan Timke („Bürger in | |
Wut“) mitgeteilt: keine klaren Aussagen, keine Tatwerkzeuge. Aber mehr als | |
ein Dutzend Menschen standen auf dem Bürgersteig, waren Augenzeugen jenes | |
Überfalls damals, sagt Memet. Er habe nach seiner Entlassung aus dem | |
Krankenhaus ausführlich ausgesagt bei der Polizei. Zuvor hatte er die | |
mutmaßlichen Täter auf Fotos wiedererkannt, aber „die Polizei selbst hat | |
mir keine Fotos vorgelegt“, sagt Memet. | |
Er wollte lange nicht mit der Presse reden, er hat keinen Anwalt. Er | |
misstraut eigentlich allen. Nun hat er sich doch mit der taz getroffen, an | |
einem anonymen Ort. Was hat er damals der Polizei sagen können über die | |
Täter? „Der auf mich geschossen hat, war G.“, sagt Memet. Da ist er sich | |
ganz sicher. Der war vorher mit einem schwarzen BMW vorbeigefahren, hatte | |
offenbar erst Verstärkung geholt für den Überfall. Auch das Kennzeichen des | |
BMW hatte er der Polizei sagen können. „Einen, der mir den Arm gebrochen | |
hat, habe ich auch identifizieren können.“ Und wenn man in der Lüssumer | |
Heide fragt nach dem schwarzen BMW, mit dem die Männer der kurdischen | |
Familie herumfahren, dann hört man: „Klar. Da drüben.“ Keine 200 Meter | |
entfernt in derselben Straße, in der der 15-jährige Odil in der | |
Silvesternacht zum Opfer wurde. | |
Auf Facebook posieren einige, die dabei gewesen sein sollen, stolz mit | |
PKK-Symbolen, einem Fleischer-Beil und zwei Pistolen – „Fuck ISIS“ ist die | |
Parole. Sie habe weder die möglichen Tatwaffen noch den BMW gefunden, sagt | |
die Polizei. Und die Aussagen seien widersprüchlich. | |
Memet seufzt. Er hat einen türkischen Pass, ist ein kurdischer Türke, in | |
Bremen geboren. Er hat in Bremen Abitur gemacht und arbeitet im Bereich | |
Gartenbau. Früher hat er mal mit Gold gehandelt, An- und Verkauf. „Die, mit | |
denen man da zu tun hat, sind zu 90 Prozent Kriminelle“, sagt er. Er kennt | |
die Szene. „Wenn ich nicht den Weg in die Moschee gefunden hätte, wäre ich | |
auch kriminell geworden.“ | |
Er kennt auch die muslimische Szene, bei der es immer wieder gewalttätige | |
Konflikte mit Yeziden und mit Kurden gibt. „Viele Yeziden und viele | |
muslimische Kurden, die wollen nur ihre Ruhe“, sagt er. In jener Nacht gab | |
es ein Dutzend Augenzeugen, Menschen, die vor dem Café auf der Straße | |
standen. Memet geht nicht davon aus, dass einer von ihnen sich getraut hat, | |
bei der Polizei Täter zu identifizieren: „Sie haben Angst vor der PKK.“ | |
Auch Memet selbst hat einen Anruf aus einem stadtbekannten kurdischen | |
Verein bekommen, er solle „Ruhe geben“. Das heißt: keine belastenden | |
Aussagen machen. | |
Er ist ein streng gläubiger Muslim, aber kein IS-Sympathisant; ein | |
Unterschied, der in vielen der Auseinandersetzungen gar nicht mehr gemacht | |
wird. „Die IS-Sympathisanten machen in der Moschee Unruhe“, weiß Memet zu | |
berichten: Dem Gebetsausrufer der Moschee beim Stubu wurde ein Messer an | |
die Kehle gesetzt, weil er erklärt hatte, die IS-Anhänger sollten aufhören, | |
dort zu werben. Der Koch vom „Islamischen Kulturzentrum“ am Breitenweg | |
wurde zusammengeschlagen. Memet will nichts mit den IS-Leuten zu tun haben | |
– er glaubt: „Wenn wir mit denen zusammen beten, werden unsere Gebete nicht | |
erhört.“ | |
Als der 15-jährige Odil am 10. Januar auf dem Osterholzer Friedhof beerdigt | |
wurde, war Memet unter den Trauergästen. | |
1 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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