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# taz.de -- Hilfe Entwicklungszusammenarbeit soll Armen helfen. Doch in Eritrea…
Aus Adi Halo, Asmara, Berlin und Brüssel Anna Hellge, Simone Schlindwein
und Christian Jakob
Adi Halo ist ein Ort, der noch auf keiner Karte steht. Die Straße dorthin
ist frisch geteert. Sie führt hinaus aus Eritreas Hauptstadt Asmara nach
Süden, 30 Kilometer durch die karge Landschaft. Hin und wieder kleine
Dörfer am Wegrand, kaum Verkehr, und wenn, dann vor allem Eselskarren und
Fahrräder – die wenigsten Eritreer auf dem Land können sich ein Auto
leisten.
Hier, am Oberlauf des Flusses Mereb, wird Adi Halo aus dem kargen,
ockerbraunen Boden gestampft. Der Ort soll bald das Symbol für das neue,
moderne Eritrea sein. Noch aber ist er ein Provisorium: Fabrikgebäude aus
Holz und Metall, Hangars aus Wellblech. Dahinter eine Megabaustelle, eine
40 Meter hohe Staumauer. Im Stausee schwimmen Fische. Bald soll hier Strom
gewonnen werden.
An der Staumauer hält ein Soldat Wache. Eritreas Präsident Isaias Afwerki,
versichert der Soldat, komme jeden Morgen persönlich hierher, um sich vom
Fortschritt zu überzeugen. Neben dem Soldaten ist ein Gemälde aufgestellt.
Es zeigt einen üppig bepflanzten Garten mit Springbrunnen und
Kriegerdenkmälern; glückliche Männer, Frauen und Veteranen im Rollstuhl,
über ihnen weht Eritreas Flagge. Das Gemälde zeigt den „Widerstandspark“,
der bald hier, in Adi Halo, stehen soll: eine Gedenkstätte in Form einer
Grünanlage. Ein Denkmal für den Krieg um die Unabhängigkeit des Landes von
Äthiopien, 1993 erklärt, bis heute nur in einem brüchigen Frieden
abgesichert.
Adi Halo ist die potemkinsche Fassade eines Landes, das bislang fast
vollkommen von der Welt abgeschnitten war. Das Land mit seinen rund 6
Millionen Einwohnern zählt zu den ärmsten Afrikas. Präsident Afwerkis
Regime tut ungefähr alles, was nötig ist, um international geächtet zu
sein. 2005 ging es in einer selbst für seine Verhältnisse besonders
brutalen Welle gegen Oppositionelle vor.
## Die UN beklagen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Der Westen kürzte die Entwicklungshilfe daraufhin um 70 Prozent, das Regime
verlor fast 190 Millionen Euro im Jahr. Deutschland stellte die
Zusammenarbeit offiziell 2007 ein. Der UN-Sicherheitsrat beschloss 2009
unter anderem ein Waffenembargo, Regime-Mitglieder sind mit Reiseverboten
belegt. 2011 warfen die UN Afwerki vor, mit Steuermitteln die islamistische
Miliz al-Shabaab in Somalia zu finanzieren. Der UN-Menschenrechtsbericht
von 2016 beschuldigt die Armee, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu
begehen, Frauen systematisch sexuell zu missbrauchen und die eigene
Bevölkerung als Zwangsarbeiter auszubeuten.
Die Verbrechen des Regimes, so die Menschenrechtsorganisation Eritreische
Initiative für Flüchtlingsrechte mit Sitz in Schweden, sind der Hauptgrund,
weshalb rund 5.000 Eritreer pro Monat fliehen. Die Weltbank glaubt, dass
mehr Eritreer im Ausland leben als in Eritrea. Das Land ist einer der
weltgrößten Produzenten von Flüchtlingen. Von der Weltgemeinschaft hat es
sich isoliert. Es gilt als eine Art Nordkorea Afrikas.
Die Frage ist: Woher kommt das Geld für ein Riesenprojekt wie den Bau Adi
Halos?
Eritrea ist bis heute einer der wenigen Staaten, die keinen Haushaltsplan
veröffentlichen. Was die Regierung plant, beschließt oder baut – auch
Straße, Damm und Park –, darüber herrscht Verschwiegenheit.
Die Regierung hat überschaubare eigene Einkünfte: Die Arabischen Emirate
zahlen ein wenig, um den Hafen von Assab für den Krieg im Jemen nutzen zu
können. Dazu kommen die Einnahmen aus einigen Gold-, Zink- und Kupferminen.
Seit 2005 erhebt die Regierung Steuern auf Hilfsgelder, sie kontrolliert
und überwacht ausländische Nichtregierungsorganisationen. Die meisten zogen
deshalb ab, Botschaften wurden geschlossen.
Aber sicher ist: Es kommen langsam wieder mehr Hilfsgelder ins Land. Weil
Europa – auch Deutschland – ein Interesse an Beziehungen mit Eritrea hat:
in der Flüchtlingspolitik.
Viele Eritreer leben von den Devisen der Verwandten im Ausland. Ein
US-Dollar entspricht etwa 15 Nakfa – inoffiziell gibt es das Doppelte. Und
während die Regierung die Migration stoppen will und an den Grenzen hart
gegen Fluchtwillige vorgeht, macht sie zugleich ihren Schnitt mit der
Diaspora: Zwei Prozent ihres im Ausland erwirtschafteten Einkommens müssen
alle Eritreer laut Gesetz zurückführen – die sogenannte Wiederaufbausteuer.
Sonst drohen der Familie zu Hause Repressalien.
Bei der Einwohnerzahl liegt Eritrea an 43. Stelle in Afrika, aber bei den
Asylanträgen in Europa belegt es den Spitzenplatz auf dem Kontinent. Auch
wenn die meisten Eritreer, die ihr Land verlassen, in Afrika bleiben, in
Äthiopien, Kenia, Uganda, im Sudan oder gar im Bürgerkriegsgebiet Südsudan:
Allein nach Deutschland flohen 2016 rund 20.000 Menschen.
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) reiste deshalb im Dezember 2015, als
erster deutscher Minister nach 20 Jahren, in die Hauptstadt Asmara und traf
Präsident Afwerki: „Wir können Eritrea unterstützen, den Exodus der Jugend
zu stoppen“, sagte er, „indem wir die Lebenssituation vor Ort verbessern
und möglichst auch Rückkehrperspektiven eröffnen.“ Müller „sondierte Hi…
– zum Beispiel in der beruflichen Ausbildung. Die Bedingung: Eritreas
Regierung müsse wirtschaftliche und politische Reformen einleiten und die
Menschenrechtslage verbessern. Müllers Besuch in Asmara war der Auftakt zu
einer neuen Partnerschaft. Der Anfang vom Ende der Isolation des Regimes.
In Adi Halo, so berichtet der Soldat an der Staumauer, müsse er immer mehr
Besucher herumführen. Auch heute sind welche da: drei eritreische
Professoren, angereist aus Schweden, wo sie leben. Sie sind gekommen, um
Adi Halo zu bestaunen, den Ort, der für die Zukunft ihres Landes stehen
soll. „Ist das nicht fantastisch?“, freut sich einer der Professoren an der
Staumauer: „Wir bauen das komplett autark.“
Tatsächlich wird der Staudamm wohl durch Zwangsarbeit errichtet. An den
Hügeln rings herum glitzern Metalldächer im Sonnenschein. In den großen
Hallen leben, dicht gezwängt, junge Frauen und Männer, die ihren National
Service ableisten: einen Pflichtwehrdienst, zu dem alle Schulabgänger –
männlich wie weiblich – eingezogen werden. Er kann Jahrzehnte dauern.
In beigen Arbeitsoveralls zerhacken sie Steinbrocken oder schuften in der
Holzfabrik nebenan. „Studentendorf“ nennen es die drei Professoren –
aussehen tut es wie ein Militärcamp. „Wir haben die deutsche Berufsschule
nach Eritrea importiert“, sagt einer von ihnen. Ob das Lachen der
„Studenten“ echt ist oder Schau gegenüber Fremden, ist schwer zu sagen. Die
Ausbildung sei gut und umsonst, sagen sie.
Doch im National Service hat niemand eine Wahl. Laut Verfassung soll er nur
zwei Jahre dauern, tatsächlich kann ein halbes Leben daraus werden. Die
Menschen arbeiten als Soldaten an der langen Grenze zum Nachbarland
Äthiopien, auf Baustellen entlang der Straßen, in Steinbrüchen oder an
Megaprojekten wie dem Staudamm in Adi Halo. Sie leisten schwere körperliche
Arbeit für umgerechnet 25 Euro im Monat.
Auch der junge Soldat wird für seine täglichen Führungen über den Damm
nicht bezahlt. Die Professoren finden das, wie so vieles, fantastisch. „Wir
lieben unser Land“, doziert einer. Daher wolle niemand für seine Dienste
Geld. „Wir sind stolz auf unseren wirtschaftlichen Fortschritt“, sagt er.
Auch darauf, dass alles mit eritreischen Ressourcen und Muskelkraft gebaut
werde.
Folter, Flucht und Vergewaltigung, all das seien Mythen, sagt einer der
Professoren: „Wir leben in Freiheit und Frieden“, meint er zum Abschied.
„Geht und erzählt es euren Leuten!“
## Wasserkraft und Solaranlagen gegen Fluchtursachen
Zwangsarbeit allein würde ein Projekt wie Adi Halo aber nicht möglich
machen. Nötig ist Geld. Und zwar von außen. Dass Projekte wie dieses aus
den Entwicklungsgeldern mitfinanziert werden, ist wahrscheinlich, auch wenn
niemand weiß, woher das Geld dafür stammt.
Klar ist, dass die mangelhafte Energieversorgung eines der größten
Hemmnisse für die Entwicklung des Landes ist. Das ist auch in einem
EU-Bericht zu lesen: Es gebe deshalb zu wenige Jobs. Und zu wenig Internet.
Vor allem in der Hauptstadt sind die Internetcafés rar, bei Regen
funktionieren die Leitungen oft nicht. Die Harnet Avenue ist Asmaras
Hauptschlagader. Dort gibt es einige Internetcafés. Sie sind immer gut
besucht: von Teenagern, die durch Facebook scrollen oder versuchen, per
Skype Verbindung zu ihren Geschwistern herzustellen. Eine Stunde
Internetzugang kostet etwas mehr als einen Euro, das entspricht dem
Tageslohn der meisten Eritreer. Und wenn man seine Verwandten erreicht?
„Dann machen wir uns alle gegenseitig etwas vor“, sagt ein junger Mann.
„Uns geht’s toll, den Eltern geht’s toll, alle sind gesund.“
Nach Entwicklungsminister Gerd Müllers Visite in Eritreas Hauptstadt
besuchten eritreische Regierungsdelegationen Berlin und Brüssel. Am 28.
Januar 2016 unterzeichneten Eritrea und die EU ein Abkommen. Bis dahin
zahlte Brüssel im Schnitt 20 Millionen pro Jahr nach Asmara, nun sollen bis
2020 ganze 200 Millionen Euro aus dem 11. Europäischen Entwicklungsfonds
EDF fließen. Der Großteil für die Elektrifizierung des Landes.
Wasserkraft und Solaranlagen sollen die Fluchtursachen stoppen.
Gebrauchen kann das Land diese Hilfe. Die Ampeln in Asmara sind aus, es
gibt nicht genügend Strom. Seit sieben Jahren sei das schon so, berichtet
ein Taxifahrer. An ihrer Stelle regeln Schüler in gelben Warnwesten den
Hauptstadtverkehr.
Und während in Asmara immerhin so manches Solarpaneel auf den Dächern
glitzert, ist die Stromversorgung auf dem Land katastrophal: Die
Straßenbeleuchtung, falls es sie gibt, fällt oft pünktlich zur Dunkelheit
aus. Dann tasten die Bewohner sich um die Schlaglöcher herum, in Hotels
liegen Taschenlampen auf dem Nachttisch. Die Rückkehr des Lichts wird stets
mit fröhlichem Klatschen quittiert. Eritreas Energiekonsum ist einer der
niedrigsten weltweit: laut dem jüngsten EU-Bericht rund 60 Kilowattstunden
pro Person. Im Schnitt konsumieren Afrikaner das Zehnfache.
Der Strom soll helfen, Arbeitsplätze in einer produktiveren Wirtschaft zu
schaffen. Weniger junge Eritreer sollen aus dem Land fliehen – und somit
weniger in der EU Asyl beantragen. „Ein Beitrag, um die Ursachen der
Migration in Eritrea zu bekämpfen“, sagte EU-Entwicklungskommissar Neven
Mimica.
Fluchtursachenbekämpfung ist das Zauberwort, das aus einem Paria einen
Partner macht. Es ist das neue Paradigma der Entwicklungszusammenarbeit. Wo
bislang Hilfe geleistet wurde, um Armut zu bekämpfen, tritt nun ein anderes
Ziel in den Vordergrund: der Kampf gegen irreguläre Migration.
Projekte zur Elektrifizierung sind nichts Neues und nichts Schlechtes in
der Entwicklungszusammenarbeit. Neu ist der übergeordnete Zweck. Der hat
zur Folge, dass Entwicklungszusammenarbeit sich zunehmend auf die Länder
konzentriert, in denen die Flucht gestoppt werden soll. So fließt Geld
bevorzugt in Projekte, die dabei hilfreich sein können. Entscheidend ist
das Interesse der Geber an weniger Flüchtlingen, nicht an den Bedürfnissen
der Nehmerländer.
Concord, der europäische Dachverband der Entwicklungsorganisationen,
kritisiert dies in seinem jüngsten AidWatch-Report. „Migration ist gemäß
den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung etwas Positives“, sagt die
Mitverfasserin Inge Brees von der NGO Care in Brüssel. Die Zahlungen von
Migranten an ihre Familien seien für arme Länder oft wichtiger als
Entwicklungshilfe. „Wir erwarten, dass die Entwicklungszusammenarbeit
Europas dies anerkennt und nicht das Gegenteil zu diktieren versucht.“
Tatsächlich aber, so steht es im Concord-Bericht, geschieht genau das: Ein
zunehmender Teil der EU-Entwicklungshilfe wird für die Eindämmung der
Migration aufgewandt. Die im Juni 2016 vorgestellten Leitlinien zur
Partnerschaft mit Afrika würden zu diesem Zweck bestehende,
milliardenschwere Entwicklungsetats „umleiten“.
Wie weit dieser Prozess fortgeschritten ist, zeigte sich auch auf der
Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für internationale
Zusammenarbeit im Juli 2016. Diese staatseigene Agentur – kurz GIZ –
verfügt über ein Jahresbudget von mehr als 2 Milliarden Euro. Traditionell
soll sie sich um alle Bereiche kümmern, die für Entwicklung relevant sind:
Wasser, Klima, Bildung, Böden, Nahrungssicherheit, Gesundheit,
Nachhaltigkeit, gute Regierungsführung und so fort. Doch auf der
Pressekonferenz schien es, als spielten all diese Dinge keine Rolle mehr.
Mehr als eine Stunde lang sprach die GIZ-Spitze fast nur über ihre
Aktivitäten in Sachen Flüchtlinge. Sowohl der eigens produzierte Image-Film
als auch das verteilte Infopaket drehten sich praktisch nur um dieses
Thema.
Von ungefähr kam das nicht: Nirgendwo sonst sind derzeit mehr Projektgelder
zu holen. Allein in den ersten sechs Monaten 2016 warb die GIZ nach eigenen
Angaben im Bereich Flucht Aufträge von über 400 Millionen Euro bei
öffentlichen Stellen in ganz Europa ein.
Es sind also gute Zeiten für die, die mit dem Migrationsstopp handeln. Wie
Eritrea. Im September 2016 riefen gleich zwei Minister und der
einflussreiche Präsidentenberater Yemane Gebreab bei einem Besuch in Berlin
eine neue Ära der „bilateralen Partnerschaft“ aus, während vor den Türen
eritreische Flüchtlinge protestierten.
Eritrea ist eingebunden in den sogenannten Karthum-Prozess, ein
EU-Rahmenabkommen mit den Staaten am Horn von Afrika. Unter dem Label
„Besseres Migrationsmanagement“ sollen europäische Grenzschützer ihre
afrikanischen Kollegen ausbilden, um die Migration nach Europa zu stoppen.
Das Unterfangen ist heikel: Schließlich werden Eritreas Armee, die für den
Grenzschutz zuständig ist, Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. An dem
auch von Deutschland finanzierten Projekt beteiligt ist – die GIZ.
Die EU, der die Flüchtlingskrise des vergangenen Jahres in den Knochen
steckt, zeigt sich zunehmend großzügiger gegenüber Asmara: Zu den 200
Millionen Euro, die sie Eritrea vor über einem Jahr versprochen hat, sind
mittlerweile weitere 13 Millionen aus dem EU Trust Fund für Afrika
gekommen. Mit dem Geld sollen kleine Unternehmen und Unternehmensgründungen
gefördert werden – Jobs, damit junge Männer im Land bleiben. Rund 82
Millionen machte die EU zudem in den vergangenen Monaten für den
Staatenverbund Igad am Horn von Afrika locker. Auch damit werden Maßnahmen
bezahlt, die die Flüchtlinge in der Region halten sollen.
Eritrea, wohl eine der schlimmsten Diktaturen der Welt, wurden
Hilfszahlungen lange Zeit aus guten Gründen weitgehend verweigert. Der
letzte Menschenrechtsbericht, den die UN im Juli 2015 zu dem Land
veröffentlichten, war vernichtend. Die UN-Ermittler appellierten an alle
Staaten, eritreische Asylsuchende nicht zur Rückkehr zu zwingen. Das Regime
bestrafe „jeden, der versucht, das Land ohne Genehmigung zu verlassen“.
Das Afwerki-Regime stütze sich auf einen gewaltigen Sicherheits- und
Geheimdienstapparat. „Die Informationen, die dieses alles durchdringende
Kontrollsystem sammelt, werden in absoluter Willkür verwendet, um die
Bevölkerung in ständiger Angst zu halten“, so die UN. „In Eritrea herrscht
nicht das Recht, sondern die Angst“, schlossen die Ermittler unter Leitung
des australischen Experten Mike Smith. Die eritreische Regierung hatte
ihnen die Zusammenarbeit verweigert und sie nicht einreisen lassen.
Das war, bevor der deutsche Minister Gerd Müller nach Asmara reiste und
„wirtschaftliche und politische Reformen“ forderte. Einen mittleren
dreistelligen Millionenbetrag hat Afwerki seither von Europa in Aussicht
gestellt bekommen.
Mit dem Schweizer Staatssekretariat für Migration hat das deutsche
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016 eine Delegationsreise nach
Asmara unternommen. Die Beamten wollten herausfinden, wie gefährlich
Abschiebungen in das Land sind. Im Abschlussbericht, der der taz vorliegt,
heißt es: „An der Grenze wird nicht systematisch auf illegal Ausreisende
geschossen, Schüsse können aber vorkommen.“
Zum 25. Jahrestag der Unabhängigkeit, im Mai vergangenen Jahres,
inszenierte Präsident Afwerki sich mit Pomp und bombastischen Aufmärschen
als nationaler Erlöser und Held des Unabhängigkeitskampfs. Bei der Show
dürfte geholfen haben, dass der seit 1991 herrschende Diktator zunehmend
international hofiert wird. Eine paradoxe Folge seiner brutalen Politik,
die weite Teile seines Volkes vertrieben hat. „Wir können das Problem nicht
ändern, indem wir wegschauen, das ist der Grund, warum wir kooperieren
müssen“, sagt der Österreicher Christian Manahl, der seit 2015 die
EU-Delegation in Asmara leitet. Eine mögliche Zusammenarbeit, auch mit
eritreischen Sicherheitskräften, ist laut Manahl „in der Zukunft nicht
ausgeschlossen“.
## Führt der Präsident den Westen an der Nase herum?
In einem geheimen Strategiepapier von Anfang 2016 notiert die EU als ihr
„Schlüsselinteresse“ die Reform des National Service, des Zwangsdienstes,
der die jungen Menschen aus dem Land treibt. Dies sei Bedingung für die
Auszahlung der 200 Millionen Euro aus ihrem Entwicklungsetat. Bald darauf
heißt es aus EU-Kreisen, Afwerkis Berater habe in Gesprächen zugesagt, den
Zwangsdienst auf 18 Monate zu kürzen.
Doch schon am 25. Februar 2016 zitiert die Nachrichtenagentur Reuters
Informationsminister Yemane Ghebremeskel mit einem Dementi: „Die Regierung
tut das Äußerste, was sie tun kann, unter den gegebenen Umständen“, sagte
er. Die „Gehälter“ für den Dienst würden steigen, „aber es gab keine P…
den nationalen Dienst zu beenden oder zu verkürzen.“ Eine „Demobilisierung…
sei nur möglich, wenn die Bedrohung durch Äthiopien entfalle. Die Exil-NGO
Eritrean Initiative on Refugee Rights sprach von einem doppelten Spiel:
„Das hat Afwerki der EU versprochen und nicht uns Eritreern – er führt den
Westen an der Nase herum.“
An Asmaras Harnet Avenue liegt die Tunnel Bar, in der sich junge Männer
abends zu Bier und Anisschnaps treffen. „Das Einzige, was man hier noch
ausbeuten kann, ist die Arbeitskraft der Menschen“, sagt einer. „Wir haben
kaum zu essen und kein Geld.“ Telefon und Internet werden streng überwacht.
Die wenigsten üben öffentlich Kritik an Afwerki. Für Gespräche wie
beispielsweise über den Geldwechsel auf dem Schwarzmarkt haben sie Codes
entwickelt.
Auf die Frage, warum so viele Menschen ihr Leben riskieren, um aus ihrem
Land zu fliehen, fasst ein Gast hinter vorgehaltener Hand zusammen: „Wir
tragen ein Lächeln im Gesicht, aber wir alle haben Löcher in der Magenwand
vor lauter Sorgen.“ Während die anderen Gäste in der staatseigenen
Propagandazeitung Lobeshymnen auf 25 Jahre Unabhängigkeit lesen, schaut er
auf den Fernseher, auf dem internationale Programme laufen. Die BBC meldet
in diesem Moment: Ein Boot voller eritreischer Flüchtlinge erreicht
Italien.
Anna Hellge ist Absolventin der Zeitenspiegel-Reportageschule
Christian Jakob ist taz-Reporter und schreibt über Migration
Simone Schlindwein ist taz-Korrespondentin im Afrika der Großen Seen
28 Jan 2017
## AUTOREN
Anna Hellge
Christian Jakob
Simone Schlindwein
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