# taz.de -- Frank Witzel im Theater Bremen: Die Beseitigung der Polyphonie | |
> Anne Sophie Domenz macht Frank Witzels „Die Erfindung der Roten Armee | |
> Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ platt. | |
Bild: Auch Heiligenfigürchen auf der Ablage der Frontscheibe retten den Abend … | |
BREMEN taz | Da unten zu spielen ist eine gute Idee: Maximilian Giesche | |
hatte den Kulissenkeller des Goethetheaters vor ein paar Jahren als Bühne | |
erschlossen. Und dass Regisseurin Anne Sophie Domenz sich an diesen | |
kultig-schrammeligen Ort in den Katakomben des Kulturtempels erinnert, ist | |
schön. | |
Leider ist das bereits das Gute, das sich über den Abend sagen lässt: „Die | |
Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager | |
im Sommer 1969“ von Frank Witzel auf diese Bühne zu bringen, mag okay sein. | |
Daraus ein Solo zu machen, erweist sich hingegen als zu trivial. Und den | |
Monolog dann von Siegfried W. Maschek sprechen zu lassen, ist ein Ärgernis: | |
Wahrscheinlich war dafür echt ausschlaggebend, dass Maschek das gleiche | |
Alter und dieselbe Frisur wie Witzel hat. | |
## Weg der geringsten Überraschung | |
Denn Domenz macht bei jedem Schritt ihrer Einrichtung für die Bühne das | |
jeweils Naheliegendste. Das ist in der Kunst nur selten das Beste. Jeder | |
Roman tritt im intimen Akt der Rezeption, und sei er noch so dialogisch, | |
als Einheit des Erzählens, als Stimme in den Kopf seiner LeserInnen. Eine | |
Theaterfassung muss schon mehr tun, als der bloß Klang und Körper zu geben | |
und ihr die Vieldeutigkeit zu rauben: Sie müsste dem Wort etwas der | |
Raum-Zeit-Kunst des Theaters Eigentümliches entgegensetzen. | |
Bezogen auf „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen | |
manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ ist der Weg der geringsten | |
Überraschung aber ganz verkehrt. Denn dieses Buch huldigt einer Ästhetik | |
des Abseitigen und, der sperrige Titel kann da als diskreter Wink gedeutet | |
werden, des Überbordenden. | |
Seine Poesie erzeugt es, indem es, jeweils in dem Moment, wo strukturelle | |
Klarheit zu entstehen, eine Routine sich einzustellen scheint, eine Volte | |
in eine völlig unverhoffte Richtung schlägt. Und seine politische Brisanz | |
bezieht es daraus, dass es genau auf der Schwelle von überzeugend haltloser | |
Erfindung und wahnwitzig-überprüfbaren Fakten balanciert. | |
## Personenvielfalt fehlt | |
Ein Beispiel: Mit viel Überzeugungskraft behauptet Witzel, das | |
Massachusetts Institute of Technology habe einen Maßstab entwickelt, um die | |
Nazifizierung deutscher Sprache zu messen – den Nazi Word Factor (NWF). | |
Diese – von vielen zunächst geglaubte – Erfindung bezieht ihre | |
Plausibilität unter anderem daraus, dass sie mit Fußnoten durchzogen ist, | |
die verdrängte, aber verbürgte rechtsradikale Biografien von Personen | |
erinnern, die prägend für die Zeit nach 1945 wurden: Ernst Niekisch, Ernst | |
Jünger, Alexander Mitscherlich, … – viele. | |
Und so lässt Witzel in seinem Roman außer Christoph Schlingensief alle | |
auftreten, die wir lieben oder hassen, von Antonin Artaud und Kurt | |
Vonnegut’s Taxifahrer Gerhard Müller, dessen Geschichte er konsequent | |
fortsetzt, bis zu Rolf Kauka und Agnes Miegel. Bei Domenz fehlt das Motiv | |
der Personenvielfalt, dessen Bedeutung fürs Buch das 13-seitige Register | |
unterstreicht. | |
Und nicht einmal die so wichtige Option, ein Anderer zu sein, ein anderes | |
Leben zu führen, taucht bei ihr auf: „Die Fassung setzt den Schwerpunkt auf | |
das erzählerische Ich am Ende des Romans“, erläutert Domenz ihre | |
Beseitigung der Polyphonie. Enstprechend schlüpfe Maschek auch „nicht in | |
die Rolle eines Teenagers“. | |
Das wäre auch kurios: Maschek schlüpft doch nie in Rollen. Mascheks Kunst | |
besteht darin, dass er sich die Rollen überstülpt, sie sich anverwandelt. | |
Wandlungsfähigkeit aber ist nicht sein zweiter Vorname: Er spielt immer | |
Siegfried W. Maschek, und bringt die ZuschauerInnen dazu, sich die | |
jeweilige Figur, egal ob Rudolf von Schroffenstein oder Ronjas Vater Mathis | |
als Siegried W. Maschek vorzustellen. Und das ist großartig. | |
## Sinnferne Betonungen | |
Aber hier täte not, nicht nur das erzählerische Ich Siegfried W. Maschek | |
anzuverwandeln, sondern jenes ganze Pandämonium zu sein, das Witzel durch | |
es beschwört, und das die deutsche Wirklichkeit (West) von Mitte der 1960er | |
bis nah an die Gegenwart war: Auch ein Irrer sein, auch seine Freundin | |
sein, auch die Beatles, ein Kaplan, Eduard Zimmermann, die Frau von der | |
Caritas, ein erfundener Serienmörder, ein Teenager, die unheimliche NVA von | |
drüben, Gregor von Nazianz und die widerliche Stadt Hamburg: Der ist es | |
gelungen, und dank Witzels wird dies nun erinnert, noch in einem Akt | |
scheinbarer Wiedergutmachung den jüdischen Mäzen Siegfried Wedells posthum | |
zu demütigen, indem sie einen „mickrigen Parkplatz“ nach ihm benannt hat, | |
„einen mickrigen Parkplatz, der ohnehin schon da war und dessen Umbenennung | |
nichts kostete“ (Witzel, S.90–196). | |
Das alles zu sein, würde Siegfried W. Maschek überfordern. Das kann er | |
nicht. Dabei ist schon fast egal, dass er manche Passagen sinnfern betont. | |
Eher stören schon die Stellen, wo er bemüht ist, eine andere Rolle zu | |
spielen: Zum Beispiel, wenn eine Exegese der Beatles-LP „Rubber Soul“ durch | |
einen besonders jugendfreundlichen katholischen Kaplan während der | |
Exerzitien, die er agitierend, wie Siegfried W. Maschek in der Rolle eines | |
wiedergeborenen US-evangelikalen Begeisterungspredigers im TV rezitiert; | |
ein Missgriff. | |
All’ diese Personen zu sein, würde kein einzelner Darsteller klamaukfrei | |
hinkriegen. Deshalb liegt Armin Petras so viel besser: Der war seine | |
Dramatisierung von Witzels Roman wenigstens als halbwegs großes Projekt für | |
die Berliner Schaubühne angegangen war, mit Ensemble, mit Liveband und mit | |
zig Puppen. Auch das ist nicht maßlos genug. Für „Die Erfindung der Roten | |
Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ | |
wäre Oberammergau-Format mit Chören und 400 StatistInnen angemessen, und | |
auf allen Ausdrucksebenen müssten taube Blüten, Töne, Worte, Giftblumen | |
erscheinen, die dicht am Erdboden explodieren. Unübersichtlich müsste es | |
werden. | |
## Reduziert „auf die vier Ps“ | |
Domenz aber sorgt für Klarheit. Sie will, dass jemand einen Spinner-Monolog | |
vorträgt. Und, weil sie – oft klug – vom Requisit aus denkt, rollt Maschek | |
mit dem passenden Auto im Nebel in den Kulissenkeller, legt Platten auf – | |
und reißt Kalauer, von denen der Name des Autos, NSU-Prinz, der erste, aber | |
bedauerlicherweise nicht der platteste ist. Denn zu Flachwitzen verkommen | |
die bitteren und bösen Pointen des Buchs, wenn sie ihres | |
politisch-theoretischen Resonanzraums beraubt werden. Und das tut Domenz, | |
indem sie es ihren eigenen Angaben zufolge „auf die vier Ps – Papst, | |
Popmusik, Politik und Paarung“ reduziert. Ihr Geheimnis bleibt, wieso sie | |
glaubt, dabei „den inhaltlichen wie ästhetischen Reichtum des Buches zu | |
erhalten“. | |
Sie täuscht sich. Und sie täuscht auch die ZuschauerInnen: Wenn es ihr | |
damit ernst gewesen wäre, hätte dazu auch gehört, Autor und Verlag zu | |
kontaktieren, wo der tiefste Einblick in den ästhetischen Reichtum jenes | |
Buchs zu erwarten ist. „Die Bremer Bühnenfassung ist ohne Beteiligung von | |
Frank Witzel oder dem Verlag zustande gekommen“, heißt es hingegen aus dem | |
Hause Matthes & Seitz auf Nachfrage. Man merkt’s. | |
Domenz hat aus „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch | |
depressiven Teenager im Sommer 1969“ ein Ärgernis gemacht. Auch das ist, in | |
gewisser Hinsicht, ein Kunststück. | |
26.1., 8., 10. und 24.2., je 20 Uhr, Theater Bremen | |
22 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Goethe | |
Theater Bremen | |
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