# taz.de -- Sport-Jahresvorschau 2017: Finnen im Buschtunnel | |
> Ungemach aus der sportlichen Unstadt Hamburg, die Heiligsprechung von | |
> Beckenbauer und beste Aussichten auf den Skizirkus im Himalaja. | |
Bild: Der alpine Skizirkus reagiert auf den Klimawandel: VIP-Zelt beim Weltcupa… | |
Leverkusen, 22. Januar. Endlich wieder Bundesliga. Und Werksklub Monsanto | |
04 ist euphorisiert: Nach acht verdaddelten Elfmetern in dieser Saison | |
schießt Julian Brandt („mir haben die Beine gezittert“) tatsächlich in der | |
Schlussminute als Erster den Ball vom Punkt bis ins Tor. „Während des | |
Trainingslagers haben wir nur Strafstöße geübt“, stellt sich Trainer Roger | |
Schmidt ein strategisches Selbstlob aus. Das Spiel gegen Hertha endet | |
allerdings 1:3. „Aber der Fluch ist vorbei“, so Schmidt. „Bald auch seine | |
Zeit“, ergänzt der Stadt-Anzeiger. | |
St. Moritz, 5. Februar. Erstmals in der Geschichte des Nobelorts müssen die | |
Pisten für die Alpinski-WM (6.–19. 2.) künstlich nachbeschneit werden. Der | |
nepalesische Skiverband will derweil die Folgen des Klimawandels abfedern | |
helfen. „Dem traurigen 3000er Flachland helfen wir gern mit unseren | |
Highspeed Kathmandu Open“, sagt Verbandssekretär Tensing Svegen jr. „Der | |
Nanga Parbat und die idyllische Nordflanke des Himalaja haben wundervolle | |
Abfahrtsstrecken. Und der K2 garantiert Skispringern Rekordweiten in völlig | |
neuen Dimensionen.“ Svegen jr. verweist auf den „Transformationsprozess | |
unseres stolzen Staats“: Statt des immergleichen Bergaufsports gehe es nun | |
bergab. Zwar fehlten noch jegliche Lifte, „aber unsere Sherpas werden alles | |
geben“. | |
Wiesbaden, 30. März. Der Statistische Bundesamt schichtet den Warenkorb um, | |
mit dem die Inflationsrate ermittelt wird. Statt wie bisher Planschbecken | |
und Cervelatwurst werden Bundesliga-Übertragungsrechte und ein | |
Berufsfußballspielerbein eingerechnet. Damit soll „der wachsenden Bedeutung | |
des Sports Rechnung getragen werden“. Volkswirte sprechen dagegen „von | |
einem billigen Trick“: Mit dem Bein erfasse man „ein besonders | |
hochpreisiges und durch die galoppierenden Ablösesummen extrem | |
wertwachsendes Produkt“, damit solle nur „die drohende Deflation künstlich | |
weggerechnet werden“. | |
Augusta, 7. April. Deutschlands Topgolfer Martin Kaymer verfehlt sein | |
Lebensziel, den Titel bei den Golf Masters, erneut deutlich. Er wird | |
Letzter. „Der Platz liegt mir einfach nicht. Seit 2010 habe ich meinen | |
Schwung verändert, die Griffhaltung modifiziert, den Draw gelernt und den | |
tanzenden Fade geübt, verbissen trainiert oder gar nicht, die Ballmarke | |
geändert und meine Unterwäsche – nichts hilft. Dieses Jahr mit den | |
Minigolfschlägern brachte auch keinen Durchbruch. Ich bin ratlos.“ Sieger | |
Tiger Woods sagt: „Ich habe einfach Golf gespielt.“ | |
Leipzig, 13. Mai. Die österreichischen Limonadengeschöpfe werden mit einem | |
2:0 gegen München vorzeitig Deutscher Meister. Bayern-Präsident Hoeneß will | |
„unserem neuen Erzfeind solche Majestätsbeleidigung nie mehr erlauben“ und | |
quetscht noch in der Nacht alle Festgeldkonten des Klubs leer wie seine | |
Metzgerswurst Ulis Feine Weiße beim Nachtessen am Tegernsee. Mit den | |
Investitionen schnellt die Inflation um einen halben Prozentpunkt empor | |
(siehe 30. März). Messi, Ronaldo, Neymar, Pogba und Griezman wollen ihre | |
Deutsch- und Bayerischkurse gemeinsam belegen (Teambuilding). Nach dem | |
Genuss von Ulis Feinen erleben sie am eigenen Leib, was retour vespern | |
bedeutet. | |
Aachen, 17. Mai. Bei der binationalen Eishockey-WM, ausgetragen in Köln und | |
Paris, will die Bahnfirma Thalys („offizieller WM-Partner“) eine „schnelle | |
und hocheffiziente Verbindung zwischen den Ausrichterstädten“ | |
gewährleisten. Stattdessen setzt es alltagsbekannte saftige Verspätungen. | |
Ein Zug Richtung Köln bleibt am späten Abend sogar kurz vor Aachen im | |
deutsch-belgischen Buschtunnel stecken, was dem finnischen Tross eine Nacht | |
an Bord beschert. Die Autofirma Skoda, die im 25. Jahr stolz auf „das | |
längste Hauptsponsoring in der Geschichte von Sport-Weltmeisterschaften“ | |
zurückblickt, scheitert mit Hilfsversuchen: Ihre werbenden Limousinen in | |
den Kölner Hallenecken sind nicht fahrfähig, weil das Klangverbrechen mit | |
der Hammondorgel in den Spielpausen die Bordelektronik der Autos zerlegt | |
hat. Die Aachener Bahnhofsmission („kein offizieller WM-Partner“) hilft den | |
armen Finnen mit Tee, Schokoprinten und Kerzen im hocheffizient stromlosen | |
Zug. | |
Hamburg, 20. Mai. Der HSV verfehlt am letzten Bundesliga-Spieltag durch ein | |
0:0 gegen die VWölfe „das große Saisonziel Relegation“ (Heribert | |
Bruchhagen, mutig) und steigt mit den Umweltdschihadisten ab. In den acht | |
anderen Arenen setzen spontane Begeisterungsfeiern ein. „So schön kann | |
Fußball sein“ wird zum Hit des Sommers. | |
Köln, 21. Mai. Die Eishockey-WM findet sogar pünktlich einen neuen | |
Champion. Die Finnen widmen ihren Titel der Aachener Bahnhofsmission. | |
Cardiff, 3. Juni. Sergio Ramos, 31, Abwehrkraft von Real Madrid, mit der | |
Lebensaufgabe matchdrehender Tore per Kopf in letzter Minute, wird in | |
Spanien der Ehrentitel „el verduro inverso“ verliehen, der umgekehrte | |
Henker. Jetzt köpft er wieder – im Endspiel der Champions League gegen | |
Borussia Dortmund in der 94. Minute das Siegtor. Viele glauben an das | |
Karriereende zum Höhepunkt seiner Laufbahn. Falsch: „Am 15. Juli 2018 gegen | |
19 Uhr 37“, kündigt Ramos an, „habe ich in Moskau an einem Fünfmeterraume… | |
noch eine intime Verabredung mit dem Ball.“ Da wird die letzte Minute in | |
der Verlängerung des WM-Finales gespielt. | |
Berlin, 10. Juni. Am Rande der Formel-E-Serie erklärt Nico Rosberg erstmals | |
die Gründe für seinen Rücktritt als Formel-Kerosin-Weltmeister. Ihm hätten | |
auf Dauer „komplett die körperlichen Voraussetzungen gefehlt“, anders als | |
Sebastian Vettel und die Schumacher-Brüder, „die bis nahe 100 Prozent | |
Benzin im Blut“ hätten. Er aber habe „zunehmend unter Oktananämie | |
gelitten“. Ärzte hätten auch mit intravenösem Fremdbenzin keinen Erfolg | |
gehabt, so Rosberg. Seine ersten Testfahrten in E-Boliden findet Rosberg | |
anturnend: „Die kleinen Stromstöße, die einen unterwegs durchzucken, machen | |
mich richtig siegeswuschig.“ | |
Heidenheim, 19. August. Der FC Bayern gewinnt sein erstes Saisonspiel bei | |
Aufsteiger Heidenheim deutlich mit 1:0 (Torschütze Neymar) und setzt sich | |
in der Ligaspitzengruppe fest. Uli Hoeneß ist beseelt: „Jetzt kann uns | |
niemand mehr stoppen.“ | |
Rom, 11. September. Bei einem Treffen im Petersdom bereiten Vertreter aller | |
Weltreligionen an Franz Beckenbauers 72. Geburtstag die Heiligsprechung des | |
Fußballkaisers vor. Papst Franziskus, der Dalai Lama, höchste Rabbiner, | |
Vertreter von Sunniten und Schiiten und sogar Margot Käßmann sprechen in | |
ihrer interreligiösen „Enzyklika ImperaTOR Pediillusoris“ von einem | |
„wunderwirksamen Giganten schweigender Weisheit“. Und alle versinken | |
gemeinsam in dankbare Andacht für „die himmlische Erscheinung im Januar“. | |
Minsk, 7. Oktober. Nach dem schmählichen 0:2 in der WM-Qualifikation gegen | |
Weißrussland verfehlen die Niederlande das nächste große Fußballturnier. | |
Der Verband KNVB will „solche Abenteuer künftig unterlassen“ und das | |
Oranje-Team lieber zur WM der kleinen Staaten schicken. Leicht wird auch | |
das nicht: „Sansibar, Kiribati und Südossetien sind godverdomme harte | |
Brockjes und Grönland geradezu ein Gigant“, warnt Arjen Robben. | |
Zürich, 10. Dezember. Weltrekord! Noch einen Tag früher als im Vorjahr | |
findet der Zürcher Silvesterlauf statt. „Wir Schweizer sind der Welt eben | |
voraus“, so die Veranstalter. Im traditionell besonders langsamen Bern | |
gehen derweil die Vorbereitungen für den Osterlauf 2013 auf die Zielgerade. | |
Trier/Leipzig, 14. Dezember. Drei Jahrzehnte hat Handball-Bundestrainer | |
Michael Biegler, laut Verbandsmeinung „World’s Best Coach nach Dagur | |
Sigurðsson“, mit Männerteams gearbeitet. Jetzt peitscht er bei der WM in | |
Deutschland (Turniermotto: „Simply wunderbar“) das Frauennationalteam | |
(„meine Bad Girls“) von Sieg zu Sieg. Vor der Finalrunde in Hamburg reimt | |
der Poetentrainer sogar: „Wir werfen alle – leidend aus der Halle.“ | |
Hamburg, 15. Dezember. In der sportfeindlichsten Stadt des Landes mit den | |
aktuellen Fußballabsteigern HSV und St. Pauli, den vielen misslungenen | |
Auftritten der DFB-Elf, den insolventen Freezers im Eishockey, den | |
zwangsreligierten HSV-Handballern und der Olympiaallergie ist im Halbfinale | |
Schluss mit der handgeballerten Badness-Euphorie – 17:28 gegen Angola. | |
Biegler, „unser poetischer Pöbel-Coach“ (MoPo), bekennt sich: „Labern | |
bringt nichts. Wir hinken dem afrikanischen Handball weit hinterher. Und | |
diese dreckige Unstadt Hamburg werde ich nie wieder betreten. Die ist | |
simply scheiße.“ | |
Pyeongchang, 27. Dezember. Sechs Wochen vor Beginn der Olympischen | |
Winterspiele in Südkorea beschaffen sich mehr SportlerInnen denn je mit | |
ärztInlichen Attesten Ausnahmegenehmigungen für Medikamente, die auf der | |
Dopingliste stehen. Die Aktiven sind an Morbus Crohn und akutem Rheuma | |
erkrankt, fast alle leiden dramatisch an Asthma („Leistungssport in kalter | |
Luft geht auf die Lungen“). | |
Neu sind Anträge auf Kokain gegen Schneeblindheit, Kortison gegen | |
Herzklopfen, Eigenhormonkonzentrate zur Frostbeulenprophylaxe, dazu das | |
konzentrationsfördernde Ritalin gegen ADHS im Biathlon. IOC („Anwalt der | |
Athleten“) und Wada („Anwältin der Athleten“) winken alles durch. „Off… | |
haben wir es mit einer Epidemie zu tun“, sagt erschrocken der koreanische | |
Gesundheitsminister und setzt die Stadt Pyeongchang „wegen akuter | |
Seuchengefahr“ unter Quarantäne. Die Olympischen Spiele 2018 fallen aus. | |
2 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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