# taz.de -- Größter Hindu-Tempel Deutschlands: Jeder sei innerlich Gott | |
> Vilwanathan Krishnamurthy baut in Berlin-Neukölln einen Hindu-Tempel, den | |
> größten Deutschlands. Nun ist das Eingangsportal fast fertig. | |
Bild: Baut mit Freiwilligen schon seit neun Jahren am zukünftigen Tempel: Vilw… | |
Dieser Königsturm, an dem in Berlin seit neun Jahren gebaut wird, 17 Meter | |
hoch und mit 180 Göttern verziert, dieser Turm also, noch eingerüstet, doch | |
bereits beleuchtet wie jedes Gotteshaus von Größe, stellt die Füße eines | |
liegenden Buddha dar. Vilwanathan Krishnamurthy demonstriert das, indem er | |
seine Arme ausstreckt und seine Hände nach oben knickt, als wären die Hände | |
die zum Himmel zeigenden Füße. | |
In der Nähe des Hermannplatzes, neben Spielhalle, Bowlingbahn und der | |
historischen Konzerthalle „Neue Welt“, steht der Turm. Auf dem Platz | |
dahinter wird irgendwann der größte hinduistische Tempel Deutschlands und | |
zweitgrößte Europas stehen, 864 Quadratmeter groß. Nur bei London ist ein | |
größerer. Krishnamurthy, der in Südindien aufgewachsene Schweißer, hat | |
vergessen, wie der Stadtteil genau heißt, wo der steht. | |
Der freundliche und aufgeschlossene Krishnamurthy ist der Gründer des | |
Tempels in Berlin. Oft habe er geträumt, dass er einen Tempel baue, sagt | |
er, und seine Augen suchen die Augen des Gegenübers, um dann, wenn er sie | |
gefunden hat, zu lächeln. Irgendwann sagte er zu seiner Frau: Ich muss | |
einen Tempel gründen. Und sie: „Du bist übergeschnappt. Wir sind nicht die | |
Leute, die so etwas machen, wir haben kein Geld.“ Außerdem, erzählt er, sei | |
Tempelgründung etwas Göttliches, und jene, die dies tun, hätten in ihrem | |
früheren Leben den Auftrag dazu bekommen. Ob er selbst dann ein Gott war? | |
„So darf man das nicht denken“, sagt er, „jeder ist innerlich Gott.“ | |
Weil die Träume nicht aufhörten, begann er, der Spur dennoch zu folgen. | |
Deshalb steht jetzt der fast fertige Königsturm, in dem auch das Tor ist, | |
das später in den Tempel führen soll, auf dieser Berliner Stadtbrache. | |
„Bunt angestrichen wird er noch.“ | |
Außer dem Turm ist auf dem Gelände auch eine alte Sporthalle, die aber, | |
nachdem Berlin nicht Olympiastadt wurde und keine Fördergelder für die | |
Sanierung flossen, nur noch ein maroder Geräteschuppen war. Die Turnhalle | |
wird nun von den hinduistischen Gläubigen als Zwischenlösung für ihre | |
Zeremonien genutzt. | |
Der Tempel, dem mächtigen Elefantengott Ganesha gewidmet, sei ein Ort der | |
Reinigung, sagt Krishnamurthy. „Wir erwarten, dass wir im Tempel schlechte | |
Energie verbrennen können und mit guten Energien wieder rauskommen.“ | |
Schlechte Energien, das sind Hass, Neid, Missgunst, Gewalt, Arroganz – zum | |
Beispiel. | |
Krishnamurthy, umtriebig und getragen von seinem Glauben, will alles | |
Mögliche in Einklang bringen auf dem Gelände: Kulturen, Religionen, | |
Philosophien, Architektur, Ethiken, Moral. „Der Tempel soll helfen, Hindus | |
in Deutschland zu integrieren“, sagt er. „Amtssprache ist Deutsch.“ | |
## Den Schrein reinigen | |
Jeden Tag kommt der Priester, der Brahmane, in die ehemalige Turnhalle. Wie | |
Krishnamurthy war er früher Gastarbeiter, hat dann aber noch hinduistische | |
Theologie studiert. Nur der Brahmane darf den Ganesha-Schrein im | |
Interimstempel öffnen. In der Zeremonie reinigt er den Schrein, ruft den | |
Gott, erneuert seine Kraft und teilt sie mit den Gläubigen. Und er bringt | |
Feuer zu den ausgewählten Göttern, die an einer Wand der Turnhalle | |
aufgestellt sind, darunter neben den wichtigsten und populärsten Göttern im | |
Hinduismus, der vielarmigen Shakti und der vielarmigen Durga – beide sind | |
weiblich – auch Murga, der Lieblingsgott von Krishnamurthy. Murga | |
verkörpert Schönheit und Klugheit und er hat die tamilische Sprache, die | |
Muttersprache des Tempelgründers, in die Welt gebracht. | |
Vor 41 Jahren kam Krishnamurthy aus Bangalore nach Berlin. Die meiste Zeit | |
lebte er im Stadtteil Neukölln, nicht weit von da, wo jetzt der Tempel | |
steht. Einer aus Südindien wird Gastarbeiter, wie kommt’s? „Weil die AEG | |
dort ein Werk hatte“, antwortet er geduldig, obwohl er diese Geschichte | |
schon tausend Mal erzählte. | |
Wir brauchen Schweißer in Deutschland, sei gesagt worden. „Gut, zwei Jahre | |
könne man das ja machen“, dachte er. Ein Abenteuer, 23 Jahre alt war er da. | |
Mit Freunden kam er. „Wir sind immer gut behandelt worden bis jetzt.“ Nach | |
zwei Jahren wurden sie vom Meister gefragt, ob sie noch ein wenig länger | |
bleiben könnten. „Gut, dann holen wir jetzt unsere Frauen.“ Wenn Kinder | |
kommen, so die Überlegung, wollten sie wieder zurück. Dann seien Kinder | |
gekommen, bei ihm zwei Söhne. „Gut, wenn sie in die Schule kommen, gehen | |
wir wieder zurück.“ Dann seien die Kinder in die Schule gekommen. „Gut, | |
wenn sie in die Oberschule kommen, gehen wir wieder zurück.“ Dann seien sie | |
in die Oberschule gekommen. „Gut, jetzt können sie auch Abitur machen, aber | |
dann gehen wir zurück.“ | |
## Die Halle instandsetzen | |
Als die Söhne Abitur hatten, sagten sie zu den Eltern: „Ihr könnt zurück, | |
wir bleiben.“ | |
Längst arbeitet Krishnamurthy nicht mehr in der Fabrik, sondern in der | |
Erstaufnahme von Flüchtlingen beim Berliner Landesamt für Gesundheit und | |
Soziales. Im Moment kämen viele aus Moldawien. Auch ist er im | |
Integrationsbeirat Berlins engagiert. Und er ist ein Freund des ehemaligen | |
Neuköllner SPD-Bürgermeisters Buschkowsky, der bekannt wurde damit, dass | |
er, wenn es um Integration ging, mit deftiger Sprache pragmatische und | |
manchmal auch aufklärende Ideen mit populistischem Denken verschmolz. Es | |
gelang Krishnamurthy, ebendiesen Bürgermeister zu überzeugen, dass Berlin | |
einen hinduistischen Tempel braucht. Buschkowsky bot ihm vor neun Jahren | |
die Brache mit maroder Turnhalle für 85 Jahre in Erbpacht an. | |
Die Halle wurde mit viel Ehrenamt und Spendengeld wieder in Stand gesetzt. | |
Auch hinduistische Flüchtlinge aus Afghanistan helfen mit. Es kann nur | |
gebaut werden, wenn gespendet wird, was die Sache nicht einfacher macht, | |
denn Bauvorhaben sind an Fristen gebunden. Aber wenn der Tempel fertig ist, | |
von dem bisher nur der Turm steht, soll aus der Turnhalle eine | |
interkulturelle, interreligiöse Begegnungsstätte werden. Bis Ende 2018 soll | |
alles fertig sein, dann nämlich läuft die Baugenehmigung aus. | |
Feste und Hochzeiten sollen, wie jetzt auch schon, in der Halle gefeiert | |
werden. An einer Seite steht eine riesige Bühne mit goldfarbenem Baldachin, | |
der, aber das sei nur symbolisch, mit den 33 Millionen hinduistischen | |
Göttern verziert ist, die es in dieser Vielgötterreligion gibt. Unter dem | |
Baldachin finden die Vermählungszeremonien statt. So werde gesichert, dass | |
alle Götter ihren Segen geben. Herr Krishnamurthy, wie unterscheidet man | |
denn 33 Millionen Götter? „Ja“, antwortet er, „da kann man schon | |
durcheinanderkommen.“ | |
Siebzehn Hochzeiten, meint er, seien bisher in der Halle, jetzt | |
Interimstempel, gefeiert worden, „alle interreligiös“. Hindu mit Muslimin, | |
Christ mit Hinduistin, andere Kombinationen, genau weiß er es nicht mehr, | |
darunter auch sein Sohn, der mit einer orthodoxen Christin aus Serbien | |
verheiratet ist. Früher hat Krishnamurthy öffentlich gesagt, seine Kinder | |
sollen hinduistische Frauen heiraten. Als sein Sohn ihm von seiner Freundin | |
erzählte, sagte er, er solle sich eine andere suchen. „Aber sag, willst du, | |
dass ich glücklich bin?“, fragte der Sohn. Der Vater bejahte. „Siehst du: | |
Ich bin glücklich mit dieser Frau.“ | |
Ich habe so viel gelernt in Deutschland, sagt Krishnamurthy: „Wer bin ich, | |
mich gegen die Liebe zu stellen.“ | |
## Den Tempel bauen | |
Alles sei Schicksal: dass er nach Berlin kam. Dass er einen Tempel baut. | |
Dass er das Interreligöse nun in der Familie hat, der zweite Sohn hat eine | |
deutsche Freundin. Dass so viele Menschen beim Tempelbau helfen, ungefähr | |
6000 Hindus leben in der Stadt, 1.4 Milliarden gibt es weltweit. Und dass | |
sein Enkel am 24. Dezember zu Welt kommen soll. „Wir feiern alles im | |
Tempel“, sagt Krishnamurthy, auch Weihnachten. Feiertage seien Freudentage. | |
Religion soll Freude sein, Freude sei das Wertvollste, was der Mensch | |
weiter geben könne. „Ich will meinen Kindern etwas aus unserer Kultur | |
hinterlassen“, sagt er. Meine Enkel sollen sagen können. „Mein Großvater | |
hat einen Tempel gebaut.“ | |
Jeden Tag nimmt Krishnamurthy an den Zeremonien teil, verbeugt sich vor | |
Ganesha, Shakti und vor allem seinem Lieblingsgott Murga. Sein ganzes Leben | |
habe er immer wieder die Nähe von Göttern gespürt. Wie? Er erzählt von | |
einem Autounfall in Indien. Zu elft saßen sie im Wagen, Monsun war, die | |
Straßen glatt, er hat das Auto gefahren, es kam ins Rutschen, knallte gegen | |
einen Baum. Alle waren verletzt, nur er und seine Frau nicht. „Du, immer | |
sagst du Gott, Gott,“, soll seine Frau gerufen haben. „Wo ist jetzt dein | |
Gott, der hilft?“ Da hätten sie sich umgedreht und die Bewohner vom nahe | |
gelegenen Dorf seien gekommen, hätten sie ins Krankenhaus gefahren, ihnen | |
zu essen gegeben, seien bei ihnen geblieben, bis sie versorgt waren. | |
Später steht Krishnamurthy im Königsturm neben der Betonmischmaschine. Es | |
riecht nach Weihrauch. „Wir machen hier schon Zeremonien“, erzählt er. Er | |
zeigt auf die winterliche Brache. Er sieht schon, was noch nicht da ist: | |
Hinter dem Turm soll ein Hof sein. Und mitten im Hof wird der Tempel | |
stehen. Vom Tor aus in einer Linie wird man den Ganesha-Schrein am | |
entfernten Ende des Tempels sehen können. Der Schrein ist der Kopf des | |
liegenden Buddha, der Tempel der Bauch. Wer durch das Tor geht, geht in den | |
Körper des Gottes, der Mensch verschmilzt mit dem Göttlichen beim | |
Tempelbesuch. | |
Seinen Glauben deutet Krishnamurthy tolerant und friedlich. „Um den Glauben | |
sind vier Wände“, soll heißen: Privatsache. Er zeigt auf die vier Wände im | |
Turm. Angesprochen auf die Radikalisierung auch unter Hindus, die gegen | |
Muslime in Nordindien kämpfen, meint er: „Sie nutzen den Hinduismus | |
politisch. Es geht ihnen dabei um Macht.“ Zu seinem Verständnis von | |
Religion passe das nicht. „Sie haben Angst, Macht zu verlieren.“ Angst aber | |
sei schlechte Energie. | |
Die vielen Götter im Hinduismus stünden, erklärt er weiter, für alle | |
möglichen Seinsformen: Mann, Frau, verschmolzen, beides in einem, Tier, | |
Pflanze. Deshalb wohl ist nie klar, ob eine Gottesabbildung einen Mann oder | |
eine Frau darstellt. Sterbehilfe sei im Hinduismus auch toleriert, wie | |
zudem künstliche Befruchtung – die Götter hätten es vorgemacht. | |
Homosexualität sei kein Problem, und auch Intersexualität nicht. Jeder Gott | |
sei ein Zwitter, das Herz weiblich, das Gehirn männlich. „Was das Herz | |
sagt, muss das Gehirn hören.“ Wenn man das wisse, dann sei Toleranz das | |
oberste Gebot, sagt er. | |
Später posiert Krishnamurthy für den Fotografen zwischen den zwei | |
Wächtergöttern, die jetzt noch wie verloren auf der Stadtbrache stehen. | |
Bald aber werden sie neben dem Turmtor aufgestellt und sollen dafür sorgen, | |
dass keine schlechten Energien in den Tempel gelangen. Die Wächter sind | |
größer als er. | |
27 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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