# taz.de -- RADIKALE BILDHAUEREI IN BRAUNSCHWEIG: Kunst höhergelegt | |
> Die Skulpturen von Lena Henke und Tiril Hasselknippe sind derzeit im | |
> Kunstverein Braunschweig zu sehen | |
Bild: Ästhetisches Experiment: Die Bildhauerinnen Lena Henke und Tiril hasselk… | |
Braunschweig taz |Ein Wohnhaus ist kein White Cube, dieser von Künstlern | |
und Kuratoren so geschätzte neutralisierende Raum, der einzig das Werk | |
zelebriert. Die klassizistische Villa des Braunschweiger Kunstvereins | |
kommt, ganz im Gegenteil, mit einer starken architektonischen Präsenz daher | |
– ein Umstand, der in den vergangenen Jahren fast alle ausstellenden | |
KünstlerInnen zu einer Auseinandersetzung mit dieser Architektur | |
verleitete. Geradezu stereotyp zieht sich seitdem der Terminus | |
raumgreifende Installation durch Ankündigungen und KünstlerInnenstatements | |
jeder neuen Ausstellung. | |
Derzeit sind in Villa und Remise zwei Künstlerinnen zu Werke gegangen, die | |
keine halben Sachen machten. Und wäre der Begriff radikal nicht | |
mittlerweile ebenso abgenutzt, wäre er hier vielleicht einmal angebracht. | |
Beide arbeiten, vermutlich generationstypisch für die in den 1980ern | |
Geborenen, zudem mit betonten subjektiven Themen und Momenten. | |
Die Bildhauerin Lena Henke, 1982 in Warburg bei Paderborn geboren, hat im | |
Hof vor der Villa schon mal eine Bronzearbeit platziert, die ein wenig an | |
die Stadtmodelle für Blinde auf öffentlichen Plätzen erinnert. Diese sollen | |
sie ja mit den Fingern ertasten, um so, im wahrsten Sinne des Wortes, ihre | |
Stadt zu begreifen. Allerdings bräuchten sie bei Henke ein gerüttelt Maß | |
surrealer Imaginationskraft, denn was man da ertasten würde, ist vielleicht | |
mit dem Begriff fragmentarischer Montage zu beschreiben. Man erfasst, mit | |
welchem Sinn nun auch immer, Hochhäuser und einen typischen Wassertank aus | |
New York, Henkes Sehnsuchtsort, aber auch Versatzstücke aus dem Heiligen | |
Wald des Vicino Orsini im mittelitalienischen Bomarzzo, so das schiefe Haus | |
oder den tierischen Höllenschlund. Das Ensemble ist eingebettet in einen | |
liegenden Pferdekopf, Henkes Referenz an ihre frühere Reiterpassion. | |
Die Künstlerin nennt das eine Art von Selbstporträt, Objekt und | |
gleichzeitige Distanzierung wären am sinnvollsten wohl psychologisch zu | |
dechiffrieren. Ebenso wie ihre Geste, nun die große Eingangstür zur Villa | |
zu verschließen. Stattdessen muss man einen pink-violetten Steg mit | |
Schrebergartenbalustrade erklimmen und wird auf ihm in luftiger Höhe um das | |
Gebäude geführt. Über die rückwärtige Terrasse darf man dann das Haus | |
betreten, ein paar pink-violette Trittplatten legen eine Fährte in den | |
historischen Spiegelsaal. Hier stehen, in kippeliger Balance auf Stühlen, | |
mehrere runde große Holzplatten, die Fenster partiell verdeckend. Ihre | |
schwarzen Oberflächen aus matter Teerpappe und glänzenden Lackpartien | |
machen den Titel der Ausstellung, „Available Light“, erfahrbar – etwa wenn | |
sich tiefschwarze Schatten gegenüberliegender Fensterkreuze auf die Flächen | |
legen. Der Begriff aus der Fotografie, der besagt, nur mit dem verfügbaren | |
(Tages-)Licht zu arbeiten, dient Henke für ein ästhetisches Experiment der | |
minimalen Differenz. | |
Auch in der Remise wurde die Kunst höhergelegt. Die 1984 in Oslo geborene | |
Tiril Hasselknippe hat ihre postapokalyptische Betonlandschaft etwa einen | |
Meter aufgebockt, definiert so eine Drei-Personen-Bühne für ihr | |
(feministisches) Mininetzwerk. | |
Das ist alles schön und gut. Aber angesichts der immensen | |
Materialschlachten wünschte man sich von den JungkünstlerInnen mitunter die | |
freiwillige Selbstdisziplinierung auf relevante Themen der Malerei, | |
Skulptur, Zeichnung, Fotografie. Um so, ganz anders, nach dem Raum zu | |
greifen. | |
20 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## TAGS | |
Bildhauerei | |
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