# taz.de -- Öffentliche Lesung von Hitlers „Mein Kampf“: Von jedem Tand en… | |
> Öffentliche Lesungen aus Hitlers Hetzschrift waren bisher meist Parodien. | |
> In Hamburg hat Schauspieler Götz Otto aus „Mein Kampf“ vorgetragen. | |
> Geschmacklos oder gelungen? | |
Bild: Götz Otto (links) liest in der Hamburger Kirchenruine aus Hitlers „Mei… | |
HAMBURG taz | Dass sich vorher vieles schief anfühlte, zeigte sich selbst | |
im ganz Kleinen: „Mein Kampf ist zurück!“, stand auf dem Flyer der | |
FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Als werbe er für ein | |
Federweißer-Saisonangebot bei Aldi, nicht für eine Lesung aus Hitlers | |
Hetzschrift. | |
Nachdem – kein Scherz – Sky du Mont aus terminlichen Gründen abgesagt | |
hatte, soll nun Götz Otto im Gewölbe der Hamburger Kirchenruine Sankt | |
Nikolai, einem Kriegsmahnmal, aus „Mein Kampf“ lesen; ein Schauspieler, der | |
schon im Sat.1-Historienboulevard „Die Wanderhure“ mitspielte und in Tom | |
Tykwers „Cloud Atlas“. Der aber vor allem assoziiert wird mit dem ganzen | |
Spektrum, das Nazi-Rollen so hergeben. | |
Otto, groß, schlank, ein Gesicht so kantig, dass es interessant im | |
klassisch männlichen Sinn ist, spielte in „Der Untergang“ mit kaltem Blick | |
Otto Günsche, den persönlichen Adjudanten Hitlers. In der Sci-Fi-Parodie | |
„Iron Sky“ über Nazi-Nachfahren auf dem Mond einen SS-Offizier. Und im | |
James-Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ den grausam-präzisen Deutschen mit | |
wasserstoffblondem Haar, den Hollywood bis vor einigen Jahren so gerne als | |
Feind besetzte. „Wir sind froh, dass wir Herrn Otto bekommen haben. Das | |
passt doch gerade wegen seiner Rollen sehr gut“, sagte die | |
Kommunikationsreferentin der Naumann-Stiftung am Telefon. Tut es das? | |
## Worte stehen nicht allein | |
Drei ausgewählte Abschnitte soll Otto vorlesen. Zwar werden Hitlers Worte | |
nicht alleine stehen, sondern mit dem Publikum diskutiert und eingeordnet | |
durch den Historiker Roman Töppel. Töppel gehört zu den Wissenschaftlern, | |
die Anfang des Jahres nach dem Ablauf des Urheberrechts die viel | |
diskutierte, 2000-Seiten starke kritische Edition von „Mein Kampf“ | |
herausbrachten, in der der Originaltext mit Anmerkungen auseinandergenommen | |
wird. | |
Trotzdem: Bedeutet nicht jede künstlerische Interpretation eine Würdigung – | |
weil beschlossen wurde, dass diese Worte es wert sind, gelesen zu werden? | |
Und jede kleinste künstlerische Bearbeitung zugleich die unterhaltende | |
Verflachung des Horrors? Wird Otto versuchen, die Sprachmelodie Hitlers | |
nachzumachen, das anschwellende Crescendo, das rollende R, das Ausspeien | |
des Judenhasses? Und wäre das an einem Ort wie Sankt Nikolai nicht | |
pietätslos? | |
Das Mahnmal an der Kirche, die 1943 bei Luftangriffen zerstört wurde, ist | |
kein Ort, bei dem ausschließlich das Gedenken an Opfer wirkt, sondern | |
einer, der in seinem Dokumentationszentrum mit Augenzeugenberichten und | |
Informationen die Kriegszerstörung in Hamburg einordnet. Dennoch: Werden | |
hier nicht unterschiedliche Ebenen der Vergangenheitsbearbeitung | |
unangemessen vermischt? Lauter Befürchtungen sind da, die man zwar unwohl | |
nachfühlen, aber nicht ganz klar begründen kann. Was geschieht, wenn Rechte | |
zu so einer Veranstaltung kommen? | |
Eine Stunde vor Beginn der Lesung schleppen Schüler Stühle. Über der Erde | |
ist die Kirchenruine umgeben von Gerüsten, weil gerade saniert wird. Hier | |
unten, im Backsteingewölbe unter der Kirche, wo Augenzeugenberichte über | |
den Brand nach Bombenangriffen auf rostfarbenen Tafeln gedruckt sind, | |
wartet Roman Töppel neben der Bühne. | |
Töppel, schulterlange Haare, Schal und Jackett, reist in diesem Jahr viel | |
mit der kritischen Edition von „Mein Kampf“ durch Deutschland. Die | |
Vorträge, die er für Schüler, Stiftungen oder Unis hält, machen ihm Spaß. | |
Normalerweise erklärt er nur, zitiert höchstens mal einen Satz aus dem | |
Buch. Die erste Lesung gab es in den Münchner Kammerspielen, als seine | |
kritische Edition vorgestellt wurde. „Ich bin auch gespannt“, sagt Töppel. | |
„Die Leute kennen Otto nur als SS-Mann. Und der liest jetzt aus einem Buch, | |
zum Zweck, es zu widerlegen. Ich finde das gar nicht schlecht.“ Töppel, | |
absolut souverän in seinem Sachwissen, einer, der jede Frage zum Buch | |
sofort und lebendig beantworten kann, sagt, ihm sei eben vor allem der | |
Diskurs über „Mein Kampf“ wichtig: „Dass wir es mit der Edition nicht al… | |
recht machen können, wussten wir ja auch.“ | |
## Nazis störten nicht | |
Bei seinen Veranstaltungen käme die Kritik, wenn überhaupt, eher von ganz | |
links. „Die Aufregerlinie ist: ‚Wie könnt Ihr so einen faschistischen Dreck | |
überhaupt wieder rausbringen‘? Die Rechten haben halt ihre Trophäe daheim, | |
eine ‚Mein Kampf‘-Ausgabe von der Oma. Aber da gibt es keine inhaltliche | |
Auseinandersetzung.“ Die Angst vor Rechten war so manchmal da, die Rechten | |
selbst blieben weg. Als Töppel im Juni in Frankfurt an der Oder an der Uni | |
sprach, störten keine Nazis, sondern nur der Staatsschutz, der die | |
Veranstaltung begleitete. „Der eine Beamte telefonierte während des | |
Vortrags.“ | |
Heute stehen im Gewölbe 100 Stühle in Reihen, um die 90 sind am Ende | |
besetzt. FDP-Mitglieder sind da, welche, die durch Zufall irgendwie im | |
Mail-Verteiler der Nauman-Stiftung gelandet sind und welche, die von denen, | |
die versehentlich im Verteiler gelandet sind, mitgeschleppt wurden. Alle | |
Altersstufen. Steppjacken, Anzugträger, Einstecktücher. Nach liberalem | |
Klischee sehen manche aus. Nach schwarzem Block, ob rechts oder links, | |
keiner. | |
Als Kay Ehrhardt, der FDP-Mann, der den Abend organisiert hat, „Viel Spaß | |
uns allen“, wünscht, sind das schiefe Gefühl und die Befürchtungen wieder | |
da, der Satz bleibt so im Raum hängen, wird nur zögerlich vom Klatschen | |
abgeholt. | |
Aber als Götz Otto, der 1,90-Mann in schwarzem Cordanzug, auf der Bühne | |
beginnt, aus dem Kapitel „Wiener Lehr- und Leidensjahre“ zu lesen, | |
verändert sich die Stimmung. In dem Kapitel stilisiert Hitler den eigenen | |
Weg zum Judenhass zu einem persönlich-inneren Ringen (obwohl er, wie Töppel | |
später anmerken wird, etwa in seiner Zeit im Wiener Männerwohnheim durchaus | |
Freundschaften zu Juden pflegte). Ottos Stimme ist weder die eines sanften | |
Märchenonkels noch ahmt sie die abgehackte Hitleraussprache nach, die man | |
aus Archivaufnahmen von Parteitagen kennt. | |
Otto hat sich für einen sachlichen Erzählton entschieden, der den Worten | |
nicht schmeichelt, sie aber auch nicht ausspuckt und so den Horror einmal | |
mehr aufträgt. Auch seine eigene Nazi-Rollenbiografie tritt so völlig | |
zurück. „Mir wurde bei dem Geruch dieser Kaftanträger später manchmal | |
übel“, schreibt Hitler. Und Otto macht seine Stimme so neutral, als würde | |
er den Satz nicht nachspüren, sondern schildern. | |
Er entlarvt durch diese Zurückhaltung auch, dass „Mein Kampf“ so | |
anstrengend geschrieben ist, dass es für niemanden ein ästhetischer Genuss | |
ist, der nicht selbst fanatischer Rassist ist und nur in der Bestätigung | |
der eigenen Haltung aufgeht. In sich windenden Schachtelsätzen | |
schwadroniert Hitler über Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Otto kommt aus dem | |
Rhythmus, setzt den Satz ein zweites Mal an. Folgen kann man ihm bis zum | |
nächsten Punkt trotzdem nicht. | |
Bisher wurde „Mein Kampf“, wenn öffentlich, als Parodie vorgetragen. In den | |
Siebzigern brach der österreichische Kabarettist Helmut Qualtinger das | |
Verdrängen; seine Interpretation war mit geifernder Stimme häufig nah dran | |
am Irrsinn Hitlers. Vor rund zehn Jahren tingelte der Comedian Serdar | |
Somuncu mit seiner kommentierten „Mein Kampf“-Lesung durch Deutschland, | |
auch er überartikulierte, war nah an dem, wie wir uns heute das Original | |
vorstellen. Auch wenn dem Zuhörer bei diesen Versionen vermutlich das | |
Lachen im Halse stecken blieb, schob er den Wahn eben mit diesem Lachen ja | |
auch immer ein Stück weg von sich. Der Irre war halt Hitler. | |
An diesem Abend mit Ottos sachlicher Version ist „Mein Kampf“ näher an | |
einem dran, weil seine Stimme den Inhalt entblättert von jedem Tand, ihn | |
kahl macht und einen Raum öffnet, in dem jeder Zuhörer selbst eine Haltung | |
finden muss. Später im Publikumsgespräch wird ein Mann, Jahrgang 1931, | |
selbst noch in der Hitlerjugend, mit erschütterter Stimme leise sagen: | |
„Wenn man das hört, denkt man, der hat sie nicht mehr alle.“ Zwei Frauen, | |
jung genug, um kurz nach dem Krieg in die Schule zu kommen, erzählen, dass | |
sie heute Abend hier Geschichte nachholen wollen, weil in ihrem Unterricht | |
die NS-Zeit noch ausgespart wurde. | |
## Fragen sind zurück | |
Aber auch schon während der Lesung fragte man sich selbst: Wann muss man | |
sich solchen Worten aussetzen und wann will man ihnen keinen Platz | |
einräumen? Will man sich trotz der ewigen Schachtelsätze zum Zuhören | |
zwingen oder dem Gähnen nachgeben? Vor der Lesung hatte man die eigenen | |
Fragen in lauter Befürchtungen verwandelt. Jetzt sind sie wieder Fragen. | |
6 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Eva Thöne | |
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Serdar Somuncu | |
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