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# taz.de -- Dokumentarfilm „Mapplethorpe“: Die Politik des Penis fehlt
> In ihrem Künstlerportrait nähern sich Fenton Bailey und Randy Barbato dem
> Fotografen Robert Mapplethorpe vor allem über dessen Biografie an.
Bild: „Ken und Robert“, Robert Mapplethorpe, 1984 (Bildausschnitt)
Neulich ertappte ich mich in einem Gespräch mit einer Kollegin über einen
Dokumentarfilm bei der Bemerkung: „Trotzdem bin ich froh, dass ich den Film
gesehen habe.“ Es ging um den Film „Chemsex“, dem weder sie noch ich form…
oder inszenatorisch etwas abgewinnen konnten. Dennoch konnten wir allein in
der Vermittlung der Inhalte – es geht darum, wie der Konsum chemischer
Drogen Teile der Londoner Schwulenszene zerstört – einen Mehrwert sehen.
Als Filmkritiker die Relevanz eines Themas so pauschal über die Mise en
Scène zu stellen und Film als ästhetische Erfahrung damit quasi zu
negieren, kam mir falsch vor. „Na ja, es gibt halt keinen anderen Film zu
dem Thema“, meinte ich dann noch fast trotzig und sagte damit eigentlich
nur, dass es über alles und jeden einen Film geben müsse. Muss es das?
Mit „Mapplethorpe: Look at the Pictures“ der Regisseure Fenton Bailey und
Randy Barbato kommt jetzt ein vom Fernsehsender HBO produzierter
Dokumentarfilm in die Kinos, über den man ebenfalls sagen könnte, er sei
wichtig – und das ist auch nicht gelogen. Den einen großen Film über den
1989 an Aids verstorbenen Fotografen, dessen ikonische Porträt- und
männliche Aktfotografien längst ihren festen Platz in der zeitgenössischen
Kunstgeschichte gefunden haben, gibt es nämlich noch nicht. Aber hätte er
ausgerechnet so ausfallen müssen?
An Archivmaterial, Zeitzeugen und anderen Menschen, die bereitwillig über
Robert Mapplethorpe Auskunft geben, mangelt es den Regisseuren jedenfalls
nicht, aber vielleicht liegt darin das größte Problem: Von ArchivarInnen
des Getty Research Institute zu Familienmitgliedern über ehemalige
Liebhaber und Redakteure, von Priestern über Weggefährten zu Prominenten
und Porträtierten wie Debbie Harry oder Gloria von Thurn und Taxis dürfen
alle erzählen, was Robert Mapplethorpe so für ein Mensch war.
## Ein „teuflischer Junge“
Extrem ehrgeizig und fast skrupellos anderen gegenüber war er. Jemand, der
sehr viele Liebhaber hatte und seinen Charme zu nutzen wusste. Ein
Künstler, dessen Pornografie „nicht zweitklassig“ war, ein „teuflischer
Junge“, der seinen Geschwistern Zigarettenasche in den Mund steckte, und
ein Mann, der viele Drogen nahm – all das war Robert Mapplethorpe, wenn wir
den Aussagen der Überlebenden glauben, auf die der Tote nicht mehr
antworten kann.
Indirekt tut er dies schon, denn aus wohl erst kürzlich wiederentdeckten,
teils verkratzten Tonbandaufnahmen spricht der Künstler wie ein Geist
manchmal in den Film, und man wünschte sich, er würde nicht ständig von
denjenigen unterbrochen, deren Relevanz eher darin besteht, dass sie
Mapplethorpe kannten, als in dem, was sie zu sagen haben.
„Die Kunst nahm ihn ein“, weiß da Bruder Edward Mapplethorpe zu berichten.
„Er versteckt nicht, was er tut“, weiß wiederum eine Kuratorin über das
berühmte Selbstporträt zu erzählen, in dem Mapplethorpe in Lederoutfit und
mit Peitsche im Rektum direkt in die Kamera blickt.
Dass Mapplethorpes Bilder dabei bis zum Abbruch von Ausstellungen führten,
weil US-Senatoren die Nahaufnahmen von Penissen nicht als „ästhetische
Kunst“ anerkennen wollten, macht der Film in einer dramatischen
inhaltlichen Klammer deutlich und nutzt dabei eben die Momente des
Skandals, die es sich gelohnt hätte, genauer zu betrachten.
So sehr wir heute an die Aktbilder Mapplethorpes gewöhnt sind, ist das
transgressive Potenzial seiner Bilder, nicht nur in Hinblick auf das
tödlich homophobe Klima in den USA während der Aidskrise, nicht zu gering
einzuschätzen. Als radikaler Pionier einer Ästhetik des schwulen Begehrens,
dessen Fetische von SM-Sex, Leder und später von den schwarzen Körpern und
Penissen seiner Liebhaber bestimmt waren, hätte Mapplethorpe eine
politische Auseinandersetzung verdient, in der Biografisches,
Psychologisches und Anekdotisches in den Hintergrund treten. Eine
Auseinandersetzung zudem, die für die ästhetischen Strategien eines
Künstlers eine überzeugende visuelle Übersetzung findet und nicht nur ein
schnell geschnittenes Potpourri an „Material“ und sprechenden Köpfen zu
bieten hat.
Wenn ein Film automatisch dadurch wichtig wird, weil er eine Person
porträtiert, die einen wichtigen Beitrag zur Zeitgeschichte geliefert hat,
stimmt etwas nicht im Kino. In Bezug auf filmische Künstlerporträts und
Dokumentarfilme über schwule Aktivisten ist das allerdings leider keine
Ausnahme. Bin ich trotzdem froh, den Film gesehen zu haben? Solange es
keinen besseren Film zum Thema gibt: irgendwie, ja.
3 Nov 2016
## AUTOREN
Toby Ashraf
## TAGS
Fotografie
Dokumentarfilm
Modefotografie
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