# taz.de -- Offener Brief des Conne Island: „Ein Schritt vor, zwei zurück“ | |
> Das Leipziger Kulturzentrum Conne Island über einen misslungenen Versuch, | |
> Willkommenskultur und den Schutz vor sexistischen Übergriffen zu | |
> vereinbaren. | |
Bild: Im Conne Island sollen alle zusammen tanzen können – egal welcher Herk… | |
Ein Schritt vor, zwei zurück | |
„Während im Sommer 2015 am Münchner Hauptbahnhof Bürger_innen Kuchen und | |
Kuscheltiere an ankommende Geflüchtete verteilten, besann sich der | |
sächsische Mob der neunziger Jahre und machte verbale und körperliche | |
Übergriffe auf Migrant_innen und deren Unterkünfte wieder zur Normalität. | |
Als Konsequenz dieser Entwicklungen beschloss das Conne Island-Plenum, sich | |
der „Welle der Willkommenskultur“ anzuschließen und den Laden aktiv für | |
Geflüchtete zu öffnen, für deren Teilhabe zu werben und ihnen das | |
kulturelle Angebot für den Spendenbeitrag von 50 Cent zur Verfügung zu | |
stellen. Außerdem fassten integrative Projekte im Conne Island Fuß, wie zum | |
Beispiel Skateboard- und Fahrradselbsthilfeworkshops oder Deutschkurse. Das | |
fühlte sich gut an – schließlich wollten wir nicht hinter der sich vor | |
Hilfsbereitschaft überschlagenden Zivilgesellschaft zurückstehen. In dem | |
Gefühl, das Richtige zu tun und den Legidist_innen und ähnlichem Volk | |
irgendwie etwas entgegenzusetzen, bestand kurzweilig eine große Sorge des | |
Plenums darin, nicht schnell genug möglichst vielen Geflüchteten das | |
Angebot publik machen zu können. Daher blendeten wir übergangsweise aus, | |
dass insbesondere der quasi kostenlose Eintritt zu allen Veranstaltungen | |
auch diverse Fallstricke barg. | |
Gemeinsam zu feiern und im Zuge dessen wie von selbst eine Integration | |
junger Geflüchteter im Conne Island zu erreichen, stellte sich als recht | |
naiver Plan heraus. Es reichte eben nicht aus, mehrsprachige Poster mit | |
Hinweisen zu richtigem Verhalten auf Partys aufzuhängen. Vielmehr schien | |
es, als müssten wir mehr Aufwand betreiben, um die Grundsätze des Ladens zu | |
erläutern und etwaige Möglichkeiten der Partizipation vorzustellen. | |
Da diese Einsicht reichlich spät kam, hatten wir seither einige | |
Auseinandersetzungen und brenzlige Situationen auszustehen. | |
Gruppen umherziehender Männer gehören wohl zu den meistgehassten und – | |
unter Umständen -gefürchteten Menschengruppen vieler Frauen, Lesben, | |
Schwulen und Transgender auf der ganzen Welt. Egal ob die Betreffenden | |
Syrer, Connewitzer, Ghanaer, Eilenburger, Leutzscher oder Russen sind, | |
haben sie leider in erschreckend vielen Fällen eines gemein: Es kommt zu | |
sexistischen Kommentaren – egal ob abfällig oder vermeintlich bewundernd – | |
und nicht selten auch zu Handgreiflichkeiten gegenüber Frauen, die ihren | |
Weg kreuzen. Gesellen sich zu Selbstüberschätzung und mangelhaftem | |
Sozialverhalten dann noch Alkohol und/oder andere Drogen, laute Musik und | |
die unübersichtliche Situation im Club, wird für Frauen der ausgelassene | |
Tanzabend schnell zum Spießrutenlauf. Wer bereits die Erfahrung einer | |
ungewollten Berührung im Schritt oder eines umzingelnden, penetranten | |
Antanzversuchs gemacht hat, überlegt sich plötzlich zweimal, ob ein | |
Samstagabend mit Netflix nicht sinnvoller ist, als sich mit aufdringlichen | |
Blicken, Sprüchen und Gegrapsche auseinanderzusetzen. Dies betrifft auch | |
Frauen, die grundsätzlich schlagfertig und wehrhaft sind und sich | |
körperlich nicht als den meisten Männern unterlegen empfinden. | |
Das Conne Island und andere linke Clubs haben es sich bereits seit vielen | |
Jahren mit offensiver Einlasspolitik zur Aufgabe gemacht, Sexismus und | |
andere Diskriminierungsformen von ihren Tanzflächen zu verbannen. Im Conne | |
Island ist beispielsweise seit mehreren Jahren eine Gruppe aktiv, die | |
Betroffene sexualisierter Gewalt unterstützt. Initialzündung dafür waren | |
sexuelle Übergriffe aus dem Kreis der Ladenbetreibenden selbst. Maßnahmen | |
wie die allgegenwärtige Ermunterung der Betroffenen, sich an das Personal | |
zu wenden und die damit verbundenen rigorosen Platzverweise für | |
Übergriffige trugen Früchte und konnten so dafür sorgen, dass sich Frauen | |
und LGBTQ meist wohlfühlen und eine weitreichende Ablehnung jeglicher | |
Diskriminierung vorherrscht. Natürlich ist auch das Conne Island keine | |
Insel, in der sich gesellschaftliche Utopien im Handumdrehen umsetzen | |
lassen und selbst für das vorhandene Mittelmaß ist die permanente | |
Aufmerksamkeit aller Beteiligten und vor allem ein Reflexionsvermögen bei | |
den Übergriffigen nötig. | |
Die stark autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation in einigen | |
Herkunftsländern Geflüchteter und die Freizügigkeit der westlichen | |
(Feier-)Kultur bilden auch bei uns mitunter eine explosive Mischung. | |
Sexistische Anmachen und körperliche Übergriffe sind in diesem Zusammenhang | |
im Conne Island und in anderen Clubs vermehrt aufgetreten – auch mit der | |
Konsequenz, dass weibliche Gäste auf Besuche verzichten, um Übergriffen und | |
Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Hierbei müssen wir uns ganz klar | |
die Frage stellen, ob wir uns als Plenum ausreichend solidarisch mit den | |
Betroffenen gezeigt oder auf den antisexistischen Bemühungen der letzten | |
Jahre ausgeruht haben. | |
Aufgefallen ist außerdem der Missbrauch des „Refugees-Fuffzigers“ durch | |
junge Männer mit Migrationshintergrund, die in größeren Gruppen | |
insbesondere Tanzveranstaltungen am Wochenende besuchen und den geringen | |
Eintritt gern bezahlen um dort für Stress zu sorgen. Eine Statuskontrolle | |
der Personen am Einlass ist jedoch in den seltensten Fällen möglich und von | |
unserer Seite auch nicht gewünscht. | |
Unsicherheit des Secu-Personals im Umgang mit Migranten aufgrund von | |
Sprachbarrieren und Angst vor einem ungerechtfertigten Rassismusvorwurf | |
erschwerten einige Male die Lösung von Konflikten bei Veranstaltungen. | |
Dabei erlebten wir teilweise eine neue Qualität der Vorfälle – meist | |
unabhängig von der Besucher_innenzahl und der Art der Veranstaltung. | |
Entgegen unseres üblichen Vorgehens musste beispielsweise. in mehr als | |
einem Fall die Polizei eingeschaltet werden, da das Maß an körperlicher | |
Gewalt gegenüber den Secu-Personen nicht mehr zu handhaben war. Aufgrund | |
dieser Überforderung kam sogar die Überlegung auf, Parties vorübergehend | |
auszusetzen. Dabei war vonseiten des Plenums immer klar, dass keine | |
doppelten Standards angelegt werden können. Sexistisches, homophobes, | |
rassistisches oder antisemitisches Verhalten wird nicht akzeptiert und kann | |
auch nicht durch Herkunft oder Sozialisation gerechtfertigt werden. Immer | |
wieder machen Betreiber_innen des Conne Islands und anderer Projekte aber | |
auch die Erfahrung, dass unbeteiligtes Publikum zum Problem werden kann. In | |
vorauseilendem Antirassismus wird Einlasspersonal zurechtgewiesen, wenn | |
Personen mit Migrationshintergrund des Platzes verwiesen werden oder es | |
werden kulturalistische Erklärungsmuster zur Verharmlosung sexistischer | |
Übergriffe angebracht („Woher soll er wissen, dass man hier mit Frauen so | |
nicht umgeht?“). | |
Uns zur Problemlage so explizit zu äußern, fällt uns schwer, da wir nicht | |
in die rassistische Kerbe von AfD und CDU/CSU schlagen wollen. Die | |
Situation ist jedoch derart angespannt und belastend für viele Betroffene | |
und auch für die Betreiber_innen des Conne Islands, dass ein verbales | |
Umschiffen des Sachverhalts nicht mehr zweckdienlich scheint. Wir halten | |
eine Thematisierung der Problematik innerhalb der Linken für längst | |
überfällig und wollen dem Rechtspopulismus nicht die Deutungshoheit in | |
dieser Debatte überlassen. Mehrere Anläufe einer öffentlichen | |
Auseinandersetzung zur Situation in Kooperation mit anderen Clubs wie dem | |
Institut für Zukunft (IfZ) schlugen fehl, da es den meisten | |
Veranstalter_innen ähnlich schwer fällt sich zu artikulieren, ohne dabei in | |
den rassistischen Tenor einzustimmen. | |
Das Plenum sucht seit mehreren Monaten nach Lösungen, die sowohl den | |
bestmöglichen Schutz für Frauen und LGBTQ als auch die Möglichkeit der | |
Integration miteinander vereinbaren können. Zum einen führte dies im | |
Frühjahr 2016 zur Aufstockung des Secu-Personals – in erster Linie bei | |
Tanzveranstaltungen – wodurch eine durchschnittliche Preiserhöhung von | |
einem Euro pro Ticket zustande kam. Zum anderen wurde die 50-Cent-Regelung | |
insofern geändert, als dass Refugees nur noch nach vorheriger Anmeldung per | |
Email für den Spendenbeitrag Einlass erhalten und ohne Anmeldung regulären | |
Eintritt zahlen müssen. Diese Maßnahmen haben zu einer leichten Entspannung | |
der Situation beigetragen, die aber weder das Plenum, noch die | |
Secu-Verantwortlichen oder die Gäste vollends zufrieden stellt. Der Diskurs | |
dazu ist längst nicht abgeschlossen und bisher gefällte Beschlüsse müssen | |
zukünftigen Entwicklungen angepasst werden. | |
Der „Hilferuf“ des links-alternativen Freiburger Clubs White Rabbit Anfang | |
des Jahres und die Reaktionen aus Presse und linken Kreisen zeigten | |
deutlich, wie schwierig es ist, offensiv solidarisch mit Geflüchteten zu | |
sein, rechten Stimmungen entgegenzuwirken und gleichzeitig anzuerkennen, | |
dass mit dem Tragen eines „Refugees Welcome“-Beutels eben nicht automatisch | |
alle Probleme und Konflikte gelöst sind. | |
Fakt ist und bleibt, dass sexistische Übergriffe, mackerhaftes Auftreten, | |
antisemitisches, rassistisches und anderweitig diskriminierendes Verhalten | |
im Conne Island nicht geduldet werden und jede Person, die sich nicht an | |
unsere Regeln hält, des Eiskellers verwiesen wird – ungeachtet seiner/ihrer | |
Herkunft. Dieser Ort mit seinen Grundsätzen, wie wir ihn uns in den letzten | |
25 Jahren erkämpft haben, muss bestehen bleiben – trotz und gerade wegen | |
der turbulenten gesellschaftlichen Situation, in der wir uns momentan | |
befinden.“ Conne Island Plenum, 7. Oktober 2016 | |
12 Oct 2016 | |
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