Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Szenen: I! E! A! O! U!
> Am Hackenschen Markt in Berlin demonstrieren an die hundert Menschen für
> Buchstabenfolgen. Und Zahlen. Was ist denn das für ein Theater?
Bild: „Was für eine gequirlte Scheiße“: Die Demonstranten am Samstagabend…
Die Menge skandiert. Laut. Fordernd. Rufend, an staunenden Taxifahrern
vorbei, die am Hackenschen Markt auf Kundschaft warten. „I! E! A! O! U!“
Klarer geht es doch gar nicht. Finde ich. Steht schließlich auf dem großen
Pappschild in meiner Hand. „E! O! U! A! I!“, kontert eine Mitdemonstrantin
und verweist auf ihre Schild. „U! E! I! A! E!“, fordert ein dritter. „52�…
ruft der große Graubärtige in der knappen Unterhose, die ebenso knallrot
ist wie seine Highheals an seinen Füßen und das Holzschild in seiner Hand,
auf dem die 52 prangt. Ein passierendes Pärchen bleibt stehen. Er fragt:
„Was ist denn hier los?“
Das haben sich knapp zwei Stunden zuvor auch die an die hundert Besucher
der Sophiensäle gefragt. Neo Neo DADA stand auf dem Programm. Das sei die
Schwester der Senfgurke, die Finanzbehörde des Internet und der beste
Zünder für eine neokonservative Marsmission, [1][hieß es vorab].
Zwei Typen auf einem Treppchen stellen sich als Gastgeber vor. Der Bärtige
und ein anderer im Overall. Der rollt einen 500-Euro-Schein zu einer Tüte
und … öffnet die Rückseite seines Overalls und steckt den Schein hinten
rein. Na super, 500 Euro im Arsch. Der Bärtige holt sie wieder raus,
drapiert sie hinter Glas in einem Rahmen, trägt sie quer durch den Saal zur
Bar und ruft: „Freibier!“ Na dann.
Zwei Männer auf der Bühne machen Sound. Geräusche aus Gesprächsfetzen in
Loops. Es knarzt. Es lärmt. Eine Frau springt auf einer Autotür rum, bis
sie crasht. Hinten werden Holzbretter zerbrochen – wegen des Klangs. Ein
Dicker in hautengem, roten Gummi beklebt sich mehr und mehr mit
Tannenzweigen. Manchmal trötet er sanft.
## Schnecken auf der Stirn
Eine Schweizerin trägt Weinbergsschnecken auf Spiegelscherben durch den
Saal und lädt zur ultimativen Anti-Aging-Therapy hinter die Stellwand
hinten in der Ecke. Da bekommt, wer will, eine Schnecke auf die Stirn, die
mit ihren Stilaugen lustig wackelt, während sie von zwei
Pappzipfelhutträgern besungen wird, und langsam, sehr langsam an der
Augenbraue entlangschleimt.
Aus einem Dixieklo steigt Nebel, in einem Igluzelt wird zu einer Vernissage
gerufen. Ein Mann mit einer Axt vor der Stirn kriecht durchs Publikum, das
längst begriffen hat, dass es alles tun darf, nur nicht ruhig auf den
Stühlen zu sitzen, schon weil es an der Bar tatsächlich Freibier gibt.
Mitten in der sich im Schneckentempo steigernden Kakophonie entert eine
Frau die Bühne, regt sich brüllend auf über diesen ganzen Scheiß und will
ihr Geld zurück. Sie wird zurück beschimpft von den Schauspielern, ein
Besucher schreit, „Fuck off!“, zwei Damen sagen „Da!“ und nochmal „Da…
schwenken dabei sanft ihrer Weißweingläser.
Und während man sich fragt, ob das jetzt echter Protest ist oder Teil der
Performance, werden die Demoschilder verteilt. Es geht raus auf die Straße,
„I! E! A! U! O!“.
„Was für eine gequirlte Scheiße“, murmelt ein Besucher. Er hat so recht. …
ist so wunderbar.
25 Sep 2016
## LINKS
[1] http://www.sophiensaele.com/produktionen.php?IDstueck=1517&hl=de
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Dada
Kultur in Berlin
Demonstrationen
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.