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# taz.de -- Seid Ra'ad al-Husseins Rede im Wortlaut: „Ich bin zornig“
> „Von allen gewählt, fast allen gegenüber kritisch“: Die Brandrede des
> UN-Menschenrechtskommissars Zeid Ra'ad Al Hussein im Wortlaut.
Bild: Körperlich beeinträchtigt und trotzdem zu mobil: Die Behörde entscheid…
„Liebe Freunde, ich möchte mich mit diesem kurzen Statement an Herrn Geert
Wilders wenden, seine Gefolgsleute und überhaupt alle wie er – die
Populisten, Demagogen und politischen Phantasten.
In ihren Augen muss ich eine Art Alptraum sein. Ich bin die Stimme der Welt
für Menschenrechte und allgemeine Rechte, von allen Regierungen gewählt und
jetzt gegenüber fast allen Regierungen kritisch. Ich verteidige und fördere
die Menschenrechte jeder einzelnen Person überall: die Rechte von
Migranten, Asylsuchenden und Einwanderer; die Rechte der
LGBTi-Gemeinschaft; die Rechte von Frauen und Kindern in allen Ländern;
Minderheiten; Indigenen; Menschen mit Behinderungen, und allen, die
Diskriminierung, Benachteiligung, Verfolgung oder Folter erleiden – ob
durch Regierungen, politische Bewegungen oder Terroristen.
Ich bin ein Muslim, der – für Rassisten verwirrend – auch weißhäutig ist;
dessen Mutter Europäerin ist und dessen Vater Araber. Und ich bin auch
zornig. Wegen Herr Wilders' Lügen und Halbwahrheiten, Manipulationen und
Angstmache. Sehen Sie, vor zwanzig Jahren diente ich in der
UN-Friedenstruppe während der Balkankriege – so grausame, verheerende
Kriege, die aus derselben Fabrik von Täuschung, Borniertheit und ethnischem
Natioanlismus entstanden.
Geert Wilders veröffentlichte sein groteskes 11-Punkte-Manifest vor nur
wenigen Tagen, und vor einem Monat äußerte er sich ähnlich in Cleveland, in
den USA. Ich werde nicht wiederholen, was er sagte, aber es gibt viele, die
das tun werden, und im März wird ein gutes Wahlabschneiden seiner Partei
erwartet.
Doch was Herr Wilders mit Herrn Trump, Herrn Orban, Herrn Zeman, Herrn
Hofer, Herrn Fico, Frau Le Pen und Herrn Farage teilt, teilt er auch mit
dem IS.
Alle streben in unterschiedlichem Maße nach Wiederkehr einer himmlisch
reinen Vergangenheit, in der Völker, in Volkszugehörigkeit oder Religion
vereint, auf sonnendurchfluteten Feldern leben, friedfertig in
Abgeschiedenheit, Herren ihres Schicksals, frei von Verbrechen, fremden
Einflüssen und Krieg. Einer Vergangenheit, die mit großer Sicherheit in
Wirklichkeit nirgends je existiert hat. Europas Vergangenheit war über
Jahrhunderte alles andere als das, wie wir alle wissen.
Das Angebot, eine angeblich perfekte Vergangenheit zurückzuholen, ist eine
Fiktion. Ihre Anbieter sind Betrüger. Kluge Betrüger.
Populisten nutzen Halbwahrheiten und Vereinfachung, die beiden Skalpelle
des Erzpropagandisten. Und hier sind Internet und soziale Medien für sie
der perfekte Rahmen, indem sie Gedanken in ihre kleinsten Teilchen
aufteilen, in Soundbites und Tweets.
Man malt ein halbfertiges Bild in die Gedanken eines besorgten Menschen,
möglicherweise wirtschaftlicher Not und über die Medien dem Horror des
Terrorismus ausgesetzt. Man unterfüttert dieses Bild durch eine
Halbwahrheit hier und da und erlaubt dem natürlichen Vorurteil der
Menschen, den Rest zu vervollständigen. Man fügt Dramatik hinzu und betont,
an allem sei eine bestimmte Gruppe schuld, damit die Vortragenden dieser
verbalen Artillerie und ihre Gefolgschaft sich schuldlos fühlen können.
So ist die Formel einfach: bereits nervöse Menschen werden dazu gebracht,
sich schlecht zu fühlen, und man betont, dass es alles an einer Gruppe
liegt, die im Inneren tätig ist, fremd ist und bedrohlich.
Dann gibt man der Zielgruppe ein gutes Gefühl, in dem man ihr vorsetzt, was
für sie eine phantastische Vorstellung ist, für andere aber eine
fürchterliche Ungerrechtigkeit. Man zündelt und löscht, immer wieder von
neuem, bis sich Besorgnis in Hass verhärtet.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich setze die Handlungen nationalistischer
Demagogen keineswegs mit denen des IS gleich, die monströs und ekelerregend
sind: IS muss seiner Strafe zugeführt werden. Aber in ihrem
Kommunikationsstil, ihrer Anwendung von Halbwahrheiten und Vereinfachungen
nutzt der IS Propagandataktiken, die denen der Populisten gleichen. Und
beide Seiten dieser Gleichung ziehen voneinander Nutzen – sie würden
tatsächlich ohne den jeweils anderen ihren Einfluss nicht ausdehnen können.
Die erniedrigende rassische und religiösen Vorurteile, die die Herren
Wilders und Konsorten anfachen, sind in manchen Ländern städtische oder
sogar nationale Politik geworden. Wir hören von sich beschleunigender
Diskriminierung am Arbeitsplatz. Kinder werden für ihre ethnische und
religiöse Herkunft beleidigt und ausgegrenzt – egal, welchen Pass sie
haben, sagt man ihnen, dass sie keine „richtigen“ Europäer sind, keine
„richtigen“ Franzosen, oder Briten, oder Ungarn. Ganze Gemeinschaften
werden unter Verdacht der Komplizenschaft mit Terroristen gestellt.
Die Geschichte hat Herrn Wilders und seine Gesinnungsgenossen vielleicht
gelehrt, wie leicht Fremdenfeindlichkeit und Borniertheit zu Waffen werden
können. Gemeinschaften werden sich in ängstliche, feindselige Lager
einigeln, mit Populisten wie sie und Extremisten als den Kommandanten. Die
Stimmung wird düster von Hass; an diesem Punkt kann sie rasch in enorme
Gewalt umschlagen.
Wir müssen auf diesem Weg umkehren. Meine Freunde: tun wir genug, um dieser
grenzüberschreitende Verbrüderung der Demagogen entgegenzutreten?
Vor einem Jahrzehnt hätten Geert Wilders‘ Manifest und seine Cleveland-Rede
einen weltweiten Aufschrei erzeugt. Heute? Heute begegnet man ihnen mit
kaum mehr als Schulterzucken, und außerhalb der Niederlanden wurden seine
Worte und bösen Pläne kaum wahrgenommen. Werden wir weiter beiseitestehen
und die Banalisierung des Bornierten beobachten, bis sie ihr logisches Ende
erreicht?
Am Ende ist es das Recht, das unsere Gesellschaften sichern wird –
Menschenrecht, bindendes Recht, die Quintessenz der menschlichen Erfahrung,
der Generationen menschlichen Leids, der Schreie der Opfer vergangener
Verbrechen und Hasses.
Wir müssen dieses Recht mit Leidenschaft schützen und uns davon leiten
lassen.
Lassen Sie sich nicht von den Verführern leiten, meine Freunde. Nur durch
das Streben nach der ganzen Wahrheit und durch weises Handeln kann die
Menschheit überleben. Ziehen Sie eine Linie, und sprechen Sie. Erheben Sie
das Wort, sprechen Sie die Wahrheit, tun Sie es mit Milde, sprechen Sie für
Ihre Kinder, für Ihre Nächsten, für die Rechte aller, und sagen Sie: Stopp!
Wir werden uns nicht von den Einschüchterern einschüchtern lassen, nicht
von den Verführern verführen lassen, nie wieder, niemals: Denn nicht ihr,
sondern wir werden unser kollektives Schicksal bestimmen. Und nicht ihr,
sondern wir werden dieses kommende Jahrhundert prägen.
Übersetzung: Dominic Johnson
6 Sep 2016
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Diskriminierung
Vereinte Nationen
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