# taz.de -- Flüchtlinge in Europa: Ein echtes Paradies für Männer | |
> Ein Ort mit Beispielcharakter: Die Bürgermeisterinnen von Paris und | |
> Madrid informieren sich über ein neues Lager für alleinreisende | |
> Flüchtlinge. | |
Bild: Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris (l.) und Manuela Carmena, ihre K… | |
Paris taz | Noch ist es nur ein riesiger staubiger Bauplatz am nördlichen | |
Stadtrand von Paris an der Porte de la Chapelle. Er liegt eigentlich sogar | |
jenseits der Ringautobahn „Périphérique“, die wie eine anachronistische | |
Stadtmauer die zwanzig Arrondissements der Kapitale umschließt. | |
Vor einem baufälligen Industriehangar schaufelt ein Bagger Schutt zum | |
Abtransport auf einen Laster, andere Baumaschinen ebnen den Platz hinter | |
dem von misstrauischen Sicherheitsagenten bewachten Toreingang. Sie tragen | |
rote Armbinden mit der Aufschrift „Sécurité“ und schwarze Sonnenbrillen w… | |
Leibwächter von Stars und wollen keinesfalls fotografiert werden. Dabei | |
gibt es hier außer dem lärmenden Baubetrieb noch gar nichts zu sehen. | |
Bereits Mitte Oktober aber soll es auf diesem seit Jahren brachliegenden | |
Industriegebiet von Menschen aus aller Welt wimmeln. In knapp einem Monat | |
nämlich möchte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo in diesen Hallen, | |
die früher der Bahngesellschaft SNCF als Lager und Reparaturwerkstatt | |
dienten, ein neuartiges Aufnahmelager für frisch eingetroffene Flüchtlinge | |
einweihen. Das Konzept soll mustergültig werden. | |
Stolz auf ihre Idee führt sie bereits Gäste, wie an diesem Dienstag ihre | |
Amtskollegin aus Madrid, Manuela Carmena, durch das ausgehöhlte | |
zweistöckige Gebäude. Da Hidalgo selber aus Andalusien stammt, unterhalten | |
sich die beiden Politikerinnen auf Spanisch. Bei der Besichtigung tragen | |
beide einen roten Helm. Zu betrachten gibt es Betonwände mit kunstvollen | |
Tags und Graffiti-Malereien. | |
Unbeeindruckt von den prominenten Besuchern lassen sich die Bauarbeiter vom | |
fieberhaften Hämmern und Bohren nicht abhalten. Sie müssen im Rekordtempo | |
nach den Plänen des jungen Architekten Julien Beller im Inneren einer | |
10.000 Quadratmeter großen Fläche Metallgerüste mit Bretterboden montieren, | |
auf denen anschließend Unterkünfte aus Seefrachtcontainern gestellt werden. | |
## Trostlose Situation | |
In sechs Blocks, die je mit Duschen, Toiletten und Stromversorgung | |
ausgerüstet werden, sollen dann insgesamt 400 bis 600 Flüchtlinge eine | |
vorübergehende Unterkunft finden. Nur alleinstehende Männer finden hier ein | |
Dach über dem Kopf, für Frauen und Kinder oder ganze Familien soll ein | |
anderes Zentrum in Ivry-sur-Seine, im Süden der Hauptstadt eröffnet werden. | |
Hidalgo weist das Argument, mit solchen Zentren würden zusätzlich | |
Flüchtlinge angelockt, zurück. „Die Flüchtlinge sind da, es geht darum, | |
eine menschenwürdige Lösung zu finden“, sagt sie. Seit Monaten überleben | |
Hunderte und manchmal Tausende von Flüchtlingen und Migranten in Zelten | |
unter Autobahnbrücken, in Parkanlagen, besetzten Abbruchhäusern oder | |
stillgelegten Schulen, von wo sie jeweils regelmäßig von der Polizei | |
vertrieben werden, ohne dass die Behörden den meisten von ihnen eine echte | |
Alternative anzubieten hätten. | |
Diese trostlose Situation soll sich nun dank des Zentrums an der Porte de | |
la Chapelle ändern, verspricht die Bürgermeisterin: „Die Flüchtlinge | |
bleiben hier eine erste Zeit, um sich zu erholen. Sie können eine | |
medizinische oder psychologische Untersuchung erhalten und sich bei der | |
Einreichung eines Asylantrags beraten lassen.“ Rund zehn Tage sollen sie | |
dann im Lager am Boulevard Ney bleiben. Anschließend sollen sie in anderen | |
Gebäuden an anderen Orten untergebracht werden. Wo genau diese späteren | |
Unterkünfte existieren, präzisiert die Bürgermeisterin nicht. | |
Noch gar nichts zu sehen ist auch von der aufblasbaren Halle aus | |
PVC-Kunststoff (die „Bulle“), die Hidalgos Vorstellung zufolge draußen vor | |
dem Lagergebäude am Boulevard Ney als erste Anlaufstelle dienen soll. Hier | |
können die Flüchtlinge Kontakt aufnehmen mit der vom Obdachlosenpriester | |
Abbé Pierre gegründeten Organisation Emmaus Solidarité, die dieses Lager | |
unabhängig von den Stadtbehörden führen wird, sowie mit deren Hilfswerken | |
wie Médecins du Monde. Die Hilfswerke hätten freie Hand, versichert | |
Emmaus-Präsident Marc Prévot. Auch habe die Polizei keinen Zutritt zum | |
Lager. Finanziert wird das jährliche Budget für den Betrieb (8 Millionen | |
Euro) je zur Hälfte von der Stadt Paris und vom französischen Staat. | |
## Petition gegen das Flüchtlingscamp | |
„Wir werden den Termin der Eröffnung einhalten“, verspricht Hidalgo ihrer | |
Kollegin aus Madrid. Vor den Medienvertretern kündigen die beiden | |
Bürgermeisterinnen an, dass sie ein Föderation der europäischen Kapitalen | |
zur Kooperation in der Flüchtlingspolitik bilden wollen. Am 10. Dezember | |
werden sie dazu vom Papst im Vatikan zu einer Audienz empfangen. Hidalgo | |
weiß aber auch, dass ihr Projekt in Paris auf Widerstand stößt. Je | |
schneller das Zentrum in Betrieb genommen werden kann, desto weniger kann | |
es der konservativen Opposition und einer Bürgerinitiative aus dem | |
benachbarten Quartier des 18. Arrondissements gelingen, ihre Pläne noch zu | |
stoppen. | |
Mehr als tausend Einwohner hätten bereits eine Petition gegen das | |
Flüchtlingscamp unterzeichnet, sagt dazu Pierre Liscia, ein lokaler | |
Vertreter von Nicolas Sarkozys konservativer Partei Les Républicains in | |
diesem sehr kosmopolitischen Arrondissement im Norden der Hauptstadt. | |
Am jetzigen Standort der Flüchtlingsaufnahme sollte nämlich bereits ab 2019 | |
ein Campus für Studierende erstellt werden. Jetzt befürchten sie, dass aus | |
dem vermeintlichen Provisorium ein dauerhaftes Flüchtlingslager wird wie | |
einst (vor 2001) „Sangatte „am Ärmelkanal bei Calais. Sangatte ist für die | |
Gegner ein Albtraum, und Calais ist über Frankreich hinaus zum Synonym für | |
eine ungelöste Aufnahme von oft bloß durchreisenden Flüchtlingen und | |
Migranten geworden. Das ist für alle der abschreckende Sündenfall der | |
französisch-britischen Flüchtlingspolitik. | |
18 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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