# taz.de -- Religion und Prostitution in Pinneberg: Moschee gegen Bordell | |
> Ein Bordell gegenüber einer Moschee – wie viel Rücksichtnahme ist | |
> angebracht und gehört ein Puff zur abendländischen Kultur? | |
Bild: Links Moschee, rechts Bordell: Straßenansichten aus Pinneberg | |
Freitagmittag, kurz nach 13 Uhr. Menschen kommen zu Fuß oder mit dem | |
Fahrrad in die ruhige Seitenstraße im Zentrum Pinnebergs. Dort, in der | |
Friedensstraße 11, hat die Türkisch-Islamische Gemeinde ihren Sitz. „Zu den | |
Freitagsgebeten kommen bis zu 600 Menschen“, sagt der Vorsteher Șeref | |
Çiftçi. | |
Die Moschee Yeni Camii, die dem bundesweiten Dachverband Ditib angehört, | |
ist die einzige in der 42.000 Einwohner zählenden Kreisstadt, ein | |
schmuckloser, zweistöckiger Anbau an ein älteres Haus. Das Gerüst steht | |
noch an der gerade renovierten Fassade, die in einem freundlichen Grünton | |
strahlt. | |
Bis vor Kurzem war sie noch blassgelb, wie die des ebenfalls zweistöckigen | |
Hauses schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite. Das Haus hat zwei | |
Eingänge. Links hat die Stadtverwaltung Geflüchtete untergebracht. Rechts | |
kann man bei Damen klingeln, die sich „Olesja“, „Celin“ und „Elly“ … | |
Seit drei Monaten ist die Doppelhaushälfte ein Bordell. Auf der einen | |
Straßenseite wird gebetet, auf der anderen gebumst. | |
Dagegen wehrt sich die islamische Gemeinde. Sie will keine Prostitution in | |
Sichtweite zu ihrem Gotteshaus. Çiftçi hatte angekündigt, notfalls eine | |
Unterschriftensammlung gegen das Bordell zu starten. Das sorgte | |
deutschlandweit für großes Aufsehen. „Zwei Wochen lang wurden wir förmlich | |
belagert. Das Fernsehen war hier, überall wurde darüber geschrieben“, sagt | |
Çiftçi genervt. So ein großes Echo hatte niemand erwartet. | |
Die Gemeinde argumentiert, es sei pietätlos, gegenüber ihrem Gotteshaus | |
käuflichen Sex anzubieten. „So etwas kann ich mir auch vor einer | |
christlichen Kirche nicht vorstellen“, sagte Çiftçi. Rund 170 Kinder würden | |
in der Moschee betreut. Die Straße ist Schulweg für viele Kinder. Die | |
Frauen seien am Fenster mit entblößten Brüsten zu sehen gewesen, sagte | |
Çiftçi. Vormittags würden sie mit einer Limousine zum Haus gebracht, danach | |
herrsche reger Betrieb. | |
Von den anderen Glaubensgemeinschaften kamen warme Worte. „Wenn so etwas in | |
der Nachbarschaft vorkommt, kann das schon sehr nerven“, sagte Probst | |
Thomas Drope vom evangelisch-lutherischen Kirchenkreis. Aber Prostitution | |
sei eben gesellschaftliche Realität. „Ich habe Verständnis, wenn das Unruhe | |
in der muslimischen Gemeinde auslöst“, erklärte Wolfgang Seibert, Vorsteher | |
der jüdischen Gemeinde Pinneberg. „Frauen, die nackte Haut zeigen, sind ein | |
Problem“, so Seibert im Hinblick auf die strengeren Sitten des islamischen | |
Glaubens. | |
Die Friedensstraße liegt mitten in Pinneberg. Das Jobcenter befindet sich | |
in der Straße, die Polizei ist keine 200 Meter entfernt, „Tanja’s | |
Friseursalon“ ist drei Häuser weiter und eine Grundschule am anderen Ende | |
der Straße. Vor allem aber ist es ein ruhiges Wohngebiet. Doch es geht um | |
etwas mehr als nur einen Nachbarschaftsstreit. Es stellen sich | |
grundsätzliche Fragen: Wie viel Rücksicht soll auf religiöse Gemeinden | |
genommen werden? Ist Prostitution Teil einer liberalen Gesellschaft oder | |
soll sie in düstere Industriegebiete verbannt werden? Müssen Schulkinder | |
vor dem Anblick von Prostituierten geschützt werden? | |
Für Beate Seifert aus dem Vorstand der Pinneberger Grünen war das | |
blassgelbe Haus schon vor dem Protest der Moscheegemeinde Stein des | |
Anstoßes. Dass Geflüchtete Tür an Tür mit Prostituierten untergebracht | |
wurden, findet Seifert nicht hinnehmbar. „Da muss die Stadt tätig werden. | |
Das ist Neuankömmlingen nicht zumutbar“, sagt sie. | |
Doch gegen das Bordell wird die Stadtverwaltung wohl nichts unternehmen | |
können. Bisher müssen sich Prostituierte für ihre Dienste nicht bei der | |
Stadtverwaltung melden. Dennoch weiß die Stadtverwaltung von einem Dutzend | |
Bordellen in Pinneberg. Etwa 40 Prostituierte gehen dort ihrer Arbeit nach. | |
Wenn im kommenden Jahr das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz in Kraft | |
tritt, müssten Prostituierte ihre Dienstleistung bei der Kommune anmelden – | |
und Städte und Gemeinden dürften den angemeldeten Bordellen auch den | |
Betrieb untersagen. | |
Bis dahin versucht die parteilose Bürgermeisterin Urte Steinberg zwischen | |
Moscheegemeinde und Bordellbetreiber zu vermitteln. Den Gemeindevorsteher | |
Çiftçi hat sie ins Rathaus eingeladen. „Über das, worüber wir gesprochen | |
haben, haben wir aber Stillschweigen vereinbart“, sagt sie. Auch der | |
Bordellbetreiber soll seinen Standpunkt darlegen können. | |
Der sagte dem Pinneberger Tageblatt, dass er die ganze Aufregung nicht | |
verstehen könne. Er verstoße gegen kein Recht. Und da die Prostituierten | |
erst ab 23 Uhr anfingen zu arbeiten, gebe es auch kein Problem mit Kindern, | |
auf deren Schulweg sich das Bordell befindet. Bau- und ordnungsrechtlich | |
ist nichts zu beanstanden. Rechtlich kann die Stadt deshalb nicht | |
eingreifen, solange kein Verdacht etwa auf Zwangsprostitution besteht. | |
In einem anderen Bordell in Pinneberg gab es vor einigen Wochen eine Razzia | |
wegen des Verdachts auf Menschenhandel und sexueller Ausbeutung. Diesen | |
Verdacht gibt es aber in der Friedensstraße nicht. Auch in einer anderen | |
Straße in Pinneberg gibt es Protest gegen ein Bordell. Anwohner haben sich | |
mit einem Schreiben an Stadtverwaltung und Politik gewandt. | |
„Da die rechtliche Lage eindeutig ist, wird sich die islamische Gemeinde | |
damit abfinden müssen“, sagt Seifert von den Grünen. Ein paar nackte Brüste | |
machten auch noch keinen Skandal. Sie hofft jedoch, dass der | |
Bordellbetreiber freiwillig nach einem anderen Gebäude suchen wird. | |
„Vielleicht fühlen sich die Freier durch die Debatte abgeschreckt.“ | |
Man müsse aber aufpassen, dass man sich nicht von „vermeintlichen Hütern | |
der Frauenrechte“ vereinnahmen lasse, so Seifert. Im Internet haben rechte | |
Blogs das Thema aufgenommen. Die islamfeindliche Webseite „Politically | |
Incorrect“ bezeichnete die Pinneberger Moschee als „türkische | |
Landnahmeeinheit“, die mit ihrer Kritik am gegenüberliegenden Bordell eine | |
„Unterwerfung Deutschlands“ vorantreiben wolle. Die Kommentarspalten der | |
rechten Wochenzeitung Junge Freiheit quollen über mit rassistischen | |
Beleidigungen gegen die Moscheegemeinde. | |
In der Pinneberger Bevölkerung sei die Debatte deutlich entspannter, so | |
Seifert. Einige fänden das Anliegen der islamischen Gemeinde überzogen, | |
andere fordern die Stadt zu einem sensibleren Umgang mit den Gläubigen auf. | |
„Hier vor Ort will man den Streit in erster Linie auflösen, statt sich in | |
Debatten zu verstricken“, so Seifert. | |
Gemeindevorsteher Çiftçi berichtet von wenig positivem Feedback, | |
stattdessen von vielen Beleidigungen. „Dabei wollen wir dafür sorgen, dass | |
alle in Pinneberg gut miteinander auskommen“, sagt Çiftçi. Er will nun | |
abwarten. „Wir haben viel zu tun mit Flüchtlingen, die unsere Hilfe | |
benötigen. Das ist ja alles ehrenamtlich, verstehen Sie?“, sagt Çiftçi. | |
Erst einmal soll in der Friedensstraße wieder Ruhe einkehren. | |
12 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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