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# taz.de -- Edles Geschirr aus Tiergarten: Zwischen Kitsch und Zeitgeist
> Die Königliche Porzellan-Manufaktur wirkt wie aus der Zeit gefallen. Für
> frischen Wind sollen jetzt Currywurstschalen sorgen. Am Samstag wird
> gefeiert.
Bild: Ein echter Augenschmaus: Schwan-Vitrine im Schloss Neuschwanstein
Hagen Stolpmann sitzt an seinem Schreibtisch am Fenster, vor ihm eine hohe
weiße Vase, vielleicht einen Meter groß. Überall verstreut alte
Zeichnungen, Stiche, neue Fotos von verschiedensten Orchideen – den Blumen
mit den komplizierten Blüten. Er setzt ein paar Pinselstriche auf die Vase,
auf das Blatt einer gelben Orchidee. Drei Zweige hat er bereits fast
fertig, den mit den gelben Blüten, den mit Blüten im zartem Rosé und den
mit violetten Blüten. Drei weitere hat er mit Bleistift vorgezeichnet.
Ungefähr zwei Wochen wird er an diesem Prunkstück sitzen, sagt er, am Ende
wird die Vase ungefähr 15.000 Euro kosten. Fünf oder sechs Vasen dieser Art
hat der 52-jährige Berliner in seinem bis jetzt 35-jährigen Berufsleben in
der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) bemalt.
„Ich mag solche Herausforderungen“, sagt der große, braun gebrannte Mann,
der sein Haar lang trägt und das kleine Halstuch lässig knotet. Sein Beruf
habe sich erst in den letzten Jahren eher zum Frauenberuf entwickelt, sagt
er. Aber das ist ihm vollkommen egal. Das Wichtigste: „Ich werde mit jeder
Vase besser.“
Bereits seine Ausbildung hat Hagen Stolpmann in der KPM absolviert,
wahrscheinlich wird er hier bis zur Rente bleiben – eine typische Karriere
für diesen Betrieb, wo etwa 180 Menschen arbeiten. Wo man bis heute den
eigenen Nachwuchs ausbildet. Wo kein einziger der Arbeitsschritte nach
außen verlagert wird.
Und auch, wenn in Deutschland eher das weiße Porzellan verlangt wird – das
klassizistische Dessin Kurland vor allem, das hier seit 1790 hergestellt
wird. Aber auch das sachliche Urbanara, das, von Werkbund und Bauhaus
beeinflusst, in den 1930er Jahren entstand. Nach wie vor beschäftigt KPM
ganze 36 Blumenmaler im Betrieb und bildet gerade 6 neue aus, die
allerdings erst in Jahrzehnten so große Vasen werden bemalen dürfen wie
Hagen Stolpmann.
„Wir verkaufen viel Blumenmalerei ins Ausland“, erklärt Theresa Haala, die
zuständig ist für die Presse bei KPM. „Große Vasen wie diese gehen zum
Beispiel oft nach China oder Taiwan.“ Dort wurde das „weiße Gold“ immerh…
erfunden. Es gilt als doppelt repräsentativ, wenn es als deutsches
Traditionshandwerk daherkommt.
## Kinderarbeit gab es nie
KPM ist neben Meißen in Sachsen und Nymphenburg in Bayern eine der letzten
Porzellanmanufakturen in Deutschland, die ihre Produktion nicht in
Billiglohnländer verlegt hat. Bereits als Friedrich der Große 1763 das
Unternehmen mitsamt dem gesamten Personal von 146 Mitarbeitern erwarb,
wurde es zum Vorzeigebetrieb: Die Mitarbeiter erhielten geregelte
Arbeitszeiten, überdurchschnittliches Einkommen, waren krankenversichert
und bekamen sogar Rente.
Auch die Versorgung der Witwen und Waisen war gesichert, Kinderarbeit gab
es keine – all das ziemlich außergewöhnlich für die damalige Zeit. Bis
heute beschreiben die Angestellten, auch Hagen Stolpmann, das
Betriebsklima als sehr besonders. Man ist stolz, hier arbeiten zu dürfen.
Es ist, als wäre man aus der Zeit gefallen, wenn man mit Stolpmann spricht
– aber auch, wenn man durch die Produktionshallen des Unternehmens läuft.
In der sogenannten Weißfertigung zum Beispiel, eine Etage unter den
Blumenmalern, zeigt Peggy Winterfeld, wie sie an einer Tasse des
Kurland-Services arbeitet. Bei ihr kommen die Tassen vor dem ersten Brennen
an, sie sind dann noch grau und etwas größer, gelten als „lederfeucht“ und
können mit jeder Berührung aus der Form geraten.
Winterfeld putzt die Henkel, indem sie überschüssige Ränder mit der
Rasierklinge entfernt, die die Gussformen aus Gips hinterlassen haben. Sie
rändert die Tassen, das heißt: Sie macht den Rand schön rund. Schließlich
klebt sie die Henkel mit einer Porzellanmasse an, die erdig duftet. Auch
wenn immer wieder Arbeitsschritte vereinfacht werden, um das Porzellan
günstiger zu machen: Nie wird es wohl hier so weit kommen, dass für die
Handwerker nur noch ein einziger monotoner Handgriff übrig bleibt.
Neben Peggy Winterfeld steht ein Wagen Currywurstschalen aus Porzellan –
sie haben die Form der bekannten Pappteller, allerdings sind sie an einer
der Innenseiten mit dem Relief des Kurland-Services verziert. Es handelt
sich um eine Kooperation mit Curry 36, dem Wurstimbiss am Mehringdamm.
Auf diese Curryschalen sind viele Mitarbeiter hier ganz besonders stolz.
Sie demonstrieren, dass KPM auch mit dem Zeitgeist gehen kann. Später, im
Laden auf dem Gelände, wirbt man für die Schale im Pack mit einem Weckglas
der berühmten Soße aus dem Imbiss. Diese „Edition“ kostet 59 Euro.
16 Jul 2016
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Familie
Reiseland Deutschland
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