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# taz.de -- Fotografie-Sammlung in Luxemburg: Bilder für eine heile Welt
> Edward Steichen sah den Zweiten Weltkrieg und kreierte eine Kollektion
> namens „The Family of Man“. Ein Agitationsprojekt für eine bessere Welt.
Bild: Ein Porträt der Schauspielerin Marlene Dietrich gehört Werken des Fotog…
CLERVAUX taz | Beruhigend wellig ist die Landschaft oberhalb von
Luxemburg-Stadt, nichts ist alpin, nichts meeresnah flach. Eine Topografie
der historischen Lüge, könnte man sagen: Hier kämpften Männer der U.S. Army
die letzten Schlachten gegen die Wehrmacht 1944, um deren allerletzte
Hoffnungen auf ein „Tausendjähriges Reich“ zu brechen. Putzig könnte man
das Terrain dennoch nennen, wenn es nicht an Fachwerkhäusern fehlte, an
leicht abgelebter Bebauung.
Nur am Bahnhof – den Clervaux immerhin hat, wäre spitz zu bemerken – sind
ein halbes Dutzend Häuser zu sehen, die verschmutzte Fenster haben. Hinter
ihnen: Unbewohntheit. Sonst alles piccobello. Geranienkästen im Freien
viele, winters vermutlich Usambaraveilchen in den Fenstern. Wirklich kein
Armutsterrain mitten in Europa. Das Ausland ist immer sehr nah, und man
erkennt es sofort, dieses Nicht-mehr-in-Luxemburg-Sein.
Deutschland nur wenige Kilometer entfernt, es sieht gleich anreißerisch
gemütlicher aus als dieses Luxemburg; nicht minder nah Belgien, eine
Viertelstunde mit dem Auto. Man erkennt, bei Passage durch dieses
Nachbarland, es daran, dass es trashig aussieht, wie zugerichtet, stark
unordentlich und schlampig in Schuss gehalten.
## Letzeburgisch lernen
So ist also Luxemburg, EU-Gründungsmitglied und ein Land, das zur Nato
gehört, aber seine Armee nur über Ausländer rekrutiert bekommt, die
wiederum Staatsbürger des Großherzogtums werden können, wenn sie innert
Kurzem die Sprache namens Letzeburgisch lernen, was aber schwer ist, weil
es, jedenfalls in unseren Ohren, härter und exklusiver klingt als etwa das
ja auch nicht leichte Lettische oder Baskische.
Das Prunkstück des Örtchens Clervaux ist allerdings ein Schloss. Ein
hübsches Ensemble, wie so gut wie alles in diesem Land in den vergangenen
Jahren aufgerüscht, gewienert, aufgemöbelt und fein zubereitet. Nicht dass
das Schloss über den Ort thront, es liegt auf halber Höhe dieses Fleckens,
in einem Tal. Kein Neuschwanstein, mehr eine abends schön angestrahlte
Legoland-Ausgabe irgendeiner monarchischen Herberge in Europa ohne
besonderen Zinnenschmuck. Erbaut vor fast einem Jahrtausend – und zerstört
vor gut einem halben Jahrhundert von der Wehrmacht.
Niemand auf der Welt außerhalb dieser Gemeinde selbst würde Clervaux und
dessen Schloss kennen, hätte ein Testament eines polyglotten Mannes nicht
bestimmt, dass dort eine Sammlung gepflegt wird. Er heißt Edward Steichen,
1879 in Bivange, Luxemburg geboren, arbeitete von früh an als Fotograf, ein
Mann, der ein nerdiges Verhältnis zur neuen Abbildungstechnik entwickelte.
Schoss Fotos im Ersten Weltkrieg, arbeitete dann, um das Hässliche zu
vergessen, viel im Modebereich, Fotos in Vanity Fair und Vogue. Er sagte
später aber am Ende seiner Tage: „Als ich mich der Fotografie widmete, war
es mein Wunsch, sie als Kunst anerkannt zu sehen. Heute würde ich für
dieses Ziel keinen Pfifferling geben. Die Aufgabe des Fotografen ist es,
den Menschen den Menschen zu erklären und ihm zur Selbsterkenntnis zu
verhelfen.“
Steichen sah den Zweiten Weltkrieg, den völkisch vernichtenden Feldzug der
Deutschen und ihrer Alliierten – und konnte das, wie so viele seiner Zeit,
nicht aushalten. So kreierte er eine Kollektion namens „The Family of Man“.
Eine Sammlung von Fotografien, von Amateuren und von Profis: Robert Capa,
Ansel Adams, Dorothea Lange, Nina Leen oder Margaret Bourke-White. Ein
Agitationsprojekt, ließe sich sagen, für eine bessere Welt, die von 1951 an
in aller Welt zu sehen war. Man sieht: Frauen mit schwangeren Bäuchen,
Männer, die beieinanderstehen – Menschen, für das Ganze gesprochen, aus
aller Welt. Steichen erläuterte einmal, auf eine bestimmte ästhetische
Qualität sei es ihm bei der Zusammenstellung nicht angekommen – alle Fotos
hätten nur dem Zweck dienen sollen, zu zeigen, wie eine bessere Welt
möglich sei. Indem etwa Männer und Frauen, Alte und Junge, Kinder und
Jugendliche in ihrer Friedlichkeit, in ihrer Abwesenheit vom Kriegerischen
gezeigt werden.
Es war ein, global gesehen, gigantischer Erfolg. „The Family of Man“ konnte
in 68 Ländern angeschaut werden, und fast alle Besucher (heute müsste man
schreiben: Besucher*innen) waren beglückt, diese fotografisch gefasste
Utopie in Augenschein nehmen zu können. Okay, nach so vielen
Tourneestationen und nachdem die UNESCO Steichen und seinem Projekt das
Siegel des Weltkulturerbes verpasst hatte, waren die Objekte mit gewissen
Brauchspuren versehen. Steichen, 1973 im amerikanischen West Redding
verstorben, verfügte in seinem Testament, seine Ausstellung möge dauerhaft
in seiner luxemburgischen Heimat zu sehen sein. Am 3. Juni 1994 fand sie
schließlich im Schloss von Clervaux ihre Heimat.
Sieht man die Fotos heute, präsentiert in einem seit Kurzem absolut
geschmackvoll renovierten architektonischen Rahmen aus geschliffenem Beton,
ist ein gewisses Fremdeln ganz unvermeidlich. Ist nicht alles, was einst
solche Begeisterung beim Publikum auslöste, viel zu natürlich? Ist nicht
immer noch wahr, wie der französische Zeichentheoretiker Roland Barthes
mäkelte, dass die Steichen-Kollektion unter einem starken „Adamismus“
litte, an einer fast religiös anmutenden Darstellung des Familiären? „We
are the world“ quasi als gigantische Fototapete vom besseren Leben? Sehr
viele Mütter und Väter fürwahr, Familiäres – und nicht den Schimmer an
Dekonstruktion. Es stimmt schon, was Kritiker*innen inzwischen sagen: Eine
solche Ausstellung, die die Welt, ihre Bewohner*innen und ihre Hoffnungen
auf Frieden repräsentiert wissen will, ginge nicht. Nix Verschiedenheit in
grundsätzlicher Hinsicht. Kein Leiden an der Welt in den Antlitzen der
Abgebildeten, keine versehrten Menschen, kein Leiden an den Verhältnissen,
keine Menschen, die sich von Familiärem gern fernhalten, keine
gleichgeschlechtlich liebenden Paare und ohnehin keine ethnisch gemischten
Paare, gleich welcher Geschlechtsanordnung.
## Das familiär Fremde
Barthes hin, Dekonstruktivismus her: Steichens Entwurf war die beste
Utopie, die damals formuliert werden konnte. Eine kriegsferne, eine die
ganze, nicht nur die weiße Welt in den Blick nehmende Fantasie. Der
heteronormative Blick war damals üblich, es war noch nicht die Zeit, das
Andere, das familiär Fremde überhaupt für wahr zu nehmen.
Es lohnt sich, in dieses Clervaux zu reisen, und sei es, um diese gewisse
luxemburgische Unaufgeregtheit zu erleben. Die Bilderschau ist kein
Propagandacoup dunkler, amerikanischer Mächte, sondern die Skizze einer
Welt, deren Teile einander aushalten – und diese nicht einmal kitschig. Man
glaubt, Steichens Verzweiflung ob der ruinierten Landschaften nach dem
Krieg zu spüren: Es soll wieder besser werden, steht als Subtext unter
allen Bildern – wozu soll man hassen?
Völlig, könnte man formulieren, aus dem Blick verschwindet aber, was gleich
rechts nach der Ausgangstür im Schloss Clervaux beginnt. Schon im
belgischen Bastogne, gleich hinter der Grenze Luxemburgs, steht ein
Riesenmonument der amerikanischen Befreier von Hitler, der Wehrmacht und
Nazideutschland. Kurz nach dem Horror errichtet: monströs. Und schön. Aber
in Clervaux beginnt nach „The Family of Man“ die Ausstellung zur
Ardennenschlacht. Der, bei der die Wehrmacht endgültig in die Knie
gezwungen wurde. Es bleibt leider blind, dass alles, was Edward Steichen
als Utopie zu einer immer noch beeindruckenden Kollektion zusammenstellte,
erst hat realisiert werden können, weil hier in den Ardennen Schlachten für
die Freiheit vom Völkischen geschlagen wurden.
Neben dem Schloss steht ein alter Panzer. Wie auch in Bastogne diese alten,
ausgedienten Militärfahrzeuge herumstehen, stolz. Und mit allerlei
Erinnerungsschriften versehen. Die Schau im luxemburgischen Schloss zu
Clervaux aber hat nicht verdient, missachtet zu werden. Alle europäische
Freiheit, die aktuell von Rechten, Nationalisten und Völkischen
niedergerissen werden soll, hat mit diesen Panzern und den in ihnen
sitzenden Soldaten begonnen.
Es ist die vielleicht am meisten unterschätzte Sehenswürdigkeit dieses
Landes. Luxemburg ist schön!
3 Jul 2016
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Fotografie
Luxemburg
Museum
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Wer Luxemburg besucht, sollte sich die Schwarz-Weiß-Fotos der
Dauerausstellung „Family of Man“ nicht entgehen lassen.
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