# taz.de -- Die Schlacht bei Dinklar als Spektakel: Der Acker, die Bühne | |
> Ehe nächstes Jahr ernsthaft an die legendäre Schlacht im | |
> niedersächsischen Dinklar erinnert wird, passiert das jetzt schon mal | |
> sehr doppelbödig und unterhaltsam. | |
Bild: Stationentheater mit Schenkelklopfer-Anteil: Die AfD steht hier für „A… | |
Dinklar taz | Zur Schlacht geht’s per Fahrrad: Mit einer akademischen | |
Viertelstunde Verspätung und dem Schweiß einer Tour durchs | |
wolkenlos-juniwarme Südniedersachsen im Rücken ist der Austragungsort | |
erreicht. Mit einem Klapphocker und einem Meter Absperrband in Händen, als | |
Eintrittskarte, eilt der Rezensent hin zu einem Hügel am Rande von Dinklar. | |
Dort springen gerade die elf unehelichen Töchter von Bischof Gernhard, | |
manche minderjährig, andere mit türkisfarbenem Irokesenhaar, hinter einem | |
Busch hervor. Um sich auf der Bühne um die goldene Glückskugel zu streiten | |
– Gegner sind eine Herde mutierter Riesenflöhe beziehungsweise die Welfen | |
aus dem Herzogtum Braunschweig. | |
Bis sich die ZuschauerInnen auf diesen Konflikt einlassen können, der an | |
die titelgebende „Schlacht bei Dinklar“ vor 649 Jahren erinnert, rollt die | |
begehrte Glückskugel (Emil Findeiß) auch schon davon. Das Publikum soll | |
folgen, einige Hundert Meter weit, zu den Clownereien des Dinklarer | |
Boßelvereins: Karnevalesk wird da um eine beleidigte Boßelkugel (Karla | |
Räder) gestritten, man witzelt und singt: „Die Einumer machen wir rund / | |
Boßeln ist gesund!“ | |
## Gemeinschaftliches Picheln | |
Vor allem aber rühmen sich die Mitglieder des Dinklarer Kugelwurfclubs, die | |
Erfinder dieses Sports zu sein, mithin die Wiege des Boßelns. Boßeln ist | |
ein Freiluftsport, dies für die urbaner sozialisierten LeserInnen, dessen | |
einzige Regel darin besteht, eine Kugel mit möglichst wenigen Würfen über | |
eine festgelegte Strecke zu werfen: Boßeln, auch Klootschießen, ist | |
ursprünglich eine Mannschaftssportart und wird in zahlreichen Regionen in | |
ganz Europa gespielt. In Dinklar nun belegen die gut gefüllten Bollerwagen, | |
aber auch die Schlagrichtung der dargebotenen Kalauer, dass es den | |
SportsfreundInnen auch um das gemeinschaftliche Picheln geht – nicht erst | |
nach dem Spiel. | |
Beim Umzug zum nächsten Spielort, einem Dorfbrunnen, kann man sich als | |
ZuschauerIn noch immer fragen, was das alles soll. Doch dann beginnen die | |
zahlreichen Schlagworte, sich nach und nach zu einer Erzählung | |
zusammenzufügen: Boßelweltmeisterschaft, Schlacht von Dinklar, | |
Tortenbackwahn und der Flohzirkus sind allesamt Konzeptbestandteile des | |
größenwahnsinnigen Marketingleiters Franz Vorne (Arnd Heuwinkel, Karl | |
Miller), der den Ort touristisch nach vorne bringen soll: Ein Stadion soll | |
her, das Dinklarer Boßelstadion an der Börde. | |
Und dafür mobilisiert der in Gold gekleidete Schnösel mit der Berliner | |
Schnauze nicht nur das gesamte Dorf – tatsächlich scheint fast die Hälfte | |
der gut eintausend DinklarerInnen an dem Spektakel beteiligt zu sein. Nein, | |
auch den einen herausragenden Nuschel-Briefkasten aus Panama (Antonia | |
Tittel) sowie das Geld von allerlei InvestorInnen; Letzteres lässt der | |
Marketingmann aber in den Bau eines eigenen Büros fließen. | |
## Der junge Mann ist ein Floh | |
Das Publikum darf dem Stationentheater nicht einfach hinterherwandern, | |
immer wieder ist Interaktion gefragt. Etwa als einer der mutierten Flöhe | |
voller Selbstzweifel fragt, ob er nicht eigentlich Marvin Hache heiße und | |
in die 13. Klasse gehe, Friedrich-List-Schule, Hildesheim. Die | |
ZuschauerInnen entscheiden zwar, dass der junge Mann auf dem Hüpfball ein | |
Floh ist, doch als Hache hinterherschiebt, er sei „übrigens Single“, sind | |
die Lacher garantiert. | |
Auch der Plot ist im Grunde eine clevere Allegorie auf das gigantische | |
Sommertheater, wiederum vielleicht nur „eine sehr interessante | |
Marketingstrategie“ so Projektleiter Jürgen Zinke. Seit 1990 schon | |
produziert das Forum Heersum Landschaftstheater im Landkreis Hildesheim: | |
„Jedes Jahr inszenieren wir mit den Menschen aus der Region ein Stück, das | |
immer auf den jeweiligen Spielort konzipiert ist“, sagt Zinke, seit 1998 | |
dabei und der einzige Hauptamtliche des Vereins. | |
Geschrieben und inszeniert werden die Stücke seit einigen Jahren von Uli | |
Jäckle. Der ließ etwa, pünktlich zum 1.200-jährigen Bestehen der Stadt | |
Hildesheim, im Vorjahr im Stück „Im Namen der Rose“ den Rosenstock samt Dom | |
verschwinden. Und um ein Jubiläum geht es ja auch jetzt wieder – auch wenn | |
das 650. der Schlacht erst 2017 gefeiert wird. | |
## Allzu platte Witze | |
Aber wie! Im kommenden Sommer soll das Gefecht, bei dem der Hildesheimer | |
Bischof im September 1367 die zahlenmäßig überlegenen Welfen in die Flucht | |
schlug, auf dem Streitacker in historischen Kostümen nachgespielt werden, | |
„reenacted“. Insofern ist das vorab aufgeführte Theaterspektakel, das der | |
Ortsrat und der Heimatverein Dinklar in Auftrag gaben, tatsächlich eine Art | |
Werbemaßnahme. | |
Allerdings verkaufen sich die 150 realen Beteiligten unter Jäckles Regie | |
sehr viel besser als die fiktiven Landeier, die sich da von Marketingleiter | |
Vorne linken lassen. Das liegt nicht zuletzt an dem Bemühen, die allzu | |
platten Witze – „Ich glaube, ich hab ’nen Tinnitus auf dem Ohr … Ich se… | |
hier nur Pfeifen!“ – mit Selbstreflexion zu garnieren: „Wer sagt, dass wir | |
keine LaienschauspielerInnen sind“, fragt etwa der Zirkusdirektor, „die | |
hier nur stehen, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen?“ | |
Später steigt dann Frauke von der AfD – steht hier für „Albtraum für | |
Dinklar“ – aus ihrem himmelblauen Wahlkampfbus, wobei bereits die männliche | |
Besetzung, Michael Wenzlaff, Schenkelklopfer provoziert: „Im Fernsehen sehe | |
ich weiblicher aus!“, ruft sie mit männlich sonorer Stimme, immer diese | |
Lügenpresse. Bürgermeister Erwin (Bernhard Twickler) singt das | |
Niedersachsenlied und Frauke zieht schnell eine Grenze, um zwei aufmüpfige | |
Kinder zu erschießen. Problematisch wird diese kabarettistisch gemeinte | |
Nummer spätestens, als Ibrahim Adam und Dolores Gassó Espuig als „Mohren | |
aus dem Morgenland“ zu sprachlosen Statisten des hämischen AfD-Bashings | |
werden. Wie viele der jeweils bis zu 400 ZuschauerInnen werden diese Ironie | |
wohl nicht verstehen? | |
## Popsong und Tortenschlacht | |
Auch wenn die „Schlacht bei Dinklar“ mit einer Dauer von über vier Stunden | |
locker an Produktionen der Volksbühne oder des Thalia-Theaters heranreicht, | |
ist diese Art des Theatralen keineswegs mit deren vergleichbar. Vielmehr | |
will das Forum Heersum einen Nachmittag gestalten, der für die Menschen aus | |
der Region von Interesse ist und allen Zielgruppen gute Unterhaltung | |
bietet, auch wenn dies bedeutet, dass die anlässlich historischen | |
Gegebenheiten kaum eine Rolle spielen. Aber das Unterhaltsame gelingt – | |
spätestens mit dem gemeinsamen romantischen Popsong von Frauke und Franz | |
Vorne. Oder der Tortenschlacht vor der stillgelegten Zuckerfabrik, die | |
einst dem erwähnten Boßelstadion weichen solle, so heißt es. | |
Egal, wie die mittelalterlichen KämpferInnen sich nächstes Jahr schlagen | |
werden im authentischen Gewand. Egal auch, ob die erste offizielle Boßel-WM | |
tatsächlich hier her nach Dinklar geholt wird: Nach diesem Spektakel | |
inklusive Liveband, lebensgroßem Pappmaschee-Elefanten und | |
schwindelerregenden Kranfahrten für Franz und Frauke radelt es sich ganz | |
ausgezeichnet zurück durch stille, völlig unspektakuläre Felder und | |
Streitacker. | |
„Die Schlacht bei Dinklar“, weitere Termine: 6., 7., 13., 14., 20. + 21. | |
August | |
Infos: [1][www.forumheersum.de] | |
2 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.forumheersum.de/ | |
## AUTOREN | |
Kornelius Friz | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Boykott Katar | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Alternativen zur Fußball-WM: Boßeln lernen | |
Für Katar-Boykotteur:innen probiert die taz Alternativen aus. Dieses Mal: | |
Spazierengehen mit Kugel in Berlin-Schöneberg. |