Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar EM-Team von Jogi Löw: Ausgebeulter Hut statt Fortschritt
> Müssen wir wegen des schiefen Weltbilds von AfD und Pegida wieder Fragen
> zur Herkunft von Nationalspielern erörtern? Nein, das müssen wir nicht.
Bild: Mesut Özil kurz vor Trainingsbeginn in der Schweiz. Plötzlich sind Herk…
Berlin taz | Ist es wichtig, wo ein Fußballer herkommt? Ach was. Halten wir
trotzdem mal fest: Jérôme Boateng ist in einem bürgerlichen Kiez im
Berliner Westen aufgewachsen, Mesut Özil wurde in Gelsenkirchen groß, im
Stadtteil Bismarck (!). Emre Can ist ein Hesse, der beim SV Blau-Gelb
Frankfurt mit Fußball angefangen hat, Shkodran Mustafi ist in Bad Hersfeld
geboren. Jonathan Tah ist ein Hamburger Junge.
Die Aufzählung ließe sich fortführen. Aber wozu? Diese Kicker, die
vielleicht ein bisschen anders aussehen als die meisten, haben einen
deutschen Pass. Und weil sie den haben und verdammt gut kicken können, sind
sie deutsche Nationalspieler geworden.
Dass sie das konnten, ist schön. Es spricht für die Durchlässigkeit des
Fußballs, der offensichtlich für alle in Deutschland offen ist. Es herrscht
das Leistungsprinzip und nicht das Herkunftsprinzip. Es gibt keine gläserne
Decke für talentierte Spieler mit einem Opa aus der Türkei oder mit einem
Vater von der Elfenbeinküste. Jedenfalls nicht im Fußball.
Weil das vor sechs Jahren, vor der WM in Südafrika, anscheinend noch ein
junger, brüchiger Befund war, feierten die Medien die Gründung einer
„Internationalmannschaft“ überschwänglich, genauso wie 2006 der
„positive Patriotismus“ überschwänglich gefeiert wurde. Das diente der
Selbstvergewisserung und sollte wohl heißen: Seht her, wie bunt,
selbstbewusst und chancenreich unser Land ist.
## Jahre zurück
Drei Turniere später ist das aber – und das ist ein großer Fortschritt –
nur noch ein alter ausgebeulter Hut, den man aber trotzdem immer wieder auf
den Köpfen von Politikern und Medienmenschen sieht. Es ist dem hitzigen
politischen Diskurs dieser Tage geschuldet, dass das Niveau der
Fußballerbetrachtung regrediert. Es ist ein Diskurs, der zwischen den Polen
Rassismus und Antirassismus tobt – und bisweilen totalitäre Züge trägt.
Wir befinden uns zeitlich wieder im Jahr 2010 und weit davor, wir müssen
über Blut-und-Boden-Fragen und obsolete Biologismen diskutieren, weil die
Begriffe nun mal blöderweise in der Welt sind. Sie sind in der Welt, weil
es die AfD gibt. Weil es einen Politiker wie Alexander Gauland gibt, der
Jérôme Boateng nicht in jedem Fall für einen guten Nachbarn hält.
Diese Begriffe sind aber auch in der Welt, weil sich eine hypernervöse und
erregungstechnisch im Ausnahmezustand befindliche mediale Öffentlichkeit
auf den dämlichen Blut-und-Boden-Diskurs von AfD und Pegida einlässt.
Dogmatiker und Rechthaber finden sich auf beiden Seiten, was die Sache
nicht einfacher macht.
Auch die Frage des Nationalen steht plötzlich wieder im Raum. Das liegt
daran, dass nicht nur Sportfunktionäre in der Fußballnationalmannschaft
eine Repräsentanz von, nun ja, deutschen Werten sehen. Andere, die
offensichtlich gern ein Bad im Genpool nehmen, sprechen sogar, wie der
Philosoph Wolfram Eilenberger, von einer Repräsentanz des „Volkskörpers“.
Auch diese Fragen schienen vor sechs Jahren erledigt und zur Zufriedenheit
der großen Mehrheit beantwortet zu sein: Ja, es ist okay, wenn Özil und
Boateng die Nationalhymne nicht mitsingen, das macht sie nicht zu
schlechteren Deutschen.
## Stinknormal
Und ja, es ist okay, wenn ein Schwarzer in der Viererkette steht und ein
Muslim im Mittelfeld. Die Nationalspieler, egal welchen Stammbaum sie
haben, sind eh sehr disziplinierte leistungsorientierte Typen, die
pünktlich zum Termin kommen und, bis auf ein paar unrühmliche Ausnahmen,
ganz gute Manieren haben.
Aber jetzt bemächtigen sich wieder unheilvolle Kräfte der Nationalspieler.
Es geht plötzlich wieder ums Aussehen und um private Glaubensfragen, darum,
ob der Muslim Özil aus der Umrundung der Kaaba eine Show gemacht hat.
Kurzum: Der Fußball wird instrumentalisiert und politisiert.
Eine Politisierung des Sports ist nichts Schlechtes. Sie tut diesem
apolitischen Gebilde sogar gut. Aber die Debatte sollte bitte schön auf der
Höhe der Zeit sein.
Ohne ihnen nahe treten zu wollen, aber Shkodran Mustafis albanische Eltern
oder Sami Khediras tunesischer Vater sollten nicht mehr wichtig sein, nicht
für die Öffentlichkeit. Dass beide Nationalspieler diese Wurzeln haben –
geschenkt. Dieser Background ist stinknormal. Wer das noch wichtig findet,
hat wenig verstanden.
12 Jun 2016
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Mesut Özil
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
EMtaz Meinung
Schwerpunkt AfD
Fußball
Jerome Boateng
Schwerpunkt Pegida
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Lukas Podolski
Fußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Pegida“-Spitze spaltet sich erneut: Tatjana Festerling fliegt raus
Die Pegida-Spitze hat sich anscheinend über den Protest gegen die
Bilderberg-Konferenz zerstritten. Medien berichten, dass Festerling
ausgeschlossen wurde.
EMtaz: Deutschland gegen Ukraine: Alter Mann verbreitet gute Stimmung
Schweinsteigers Jubellauf ist das Sinnbild des deutschen Auftakt-Sieges
gegen die Ukraine. Oder wie Jogi Löw sagte: „Das gibt uns allen Auftrieb.“
EMtaz: Fansein und Patriotismus: Die Nation war nicht wieder da
Mit wem identifiziere ich mich, wenn ich bei der Europameisterschaft für
Deutschlands Fußballteam bin? Und ist das patriotisch?
EMtaz: Fußball im Fernsehen: Nicht sauber, sondern rein
Szenen randalierender Fußball-Fans im Stadion blendet die Uefa einfach aus.
Dadurch verkauft der Veranstalter die Zuschauer für dumm.
Fußballländerspiel Deutschland-Ungarn: Als Stimmungsmacher gebucht
Manch Fußballfan war vorm heimischen TV-Gerät schon eingeschlafen. Im
letzten Test vor der EM gewinnt Deutschland 2:0 gegen Ungarn.
EM-Testspiel Deutschland-Slowakei: Slowakei lässt Jogi im Regen stehen
Die DFB-Auswahl verliert ihr vorletztes Testspiel vor der EM in Frankreich
mit 1:3 – und offenbart einige Schwächen. Neun Spieler fehlten allerdings
noch im Kader.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.