Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fertigstellung des Gotthardbasistunnels: Die Schweizer haben den l�…
> Nach 17 Jahren Bauzeit ist der Eisenbahntunnel am Schweizer Gotthardpass
> fertig. Er bricht Rekorde – und weckt Erwartungen.
Bild: Riesenmaschine im Alpgestein: Der Durchbruch am 20. Mai 2016
Angela Merkel kommt am liebsten in die Schweiz, wenn es technische
Großprojekte zu besichtigen oder einzuweihen gilt. Im April 2008 wanderte
die promovierte Physikerin durch den 27 Kilometer langen Kreistunnel für
den Teilchenbeschleuniger des Europäischen Kernforschungszentrums Cern bei
Genf.
Bei ihrem nächsten Schweizbesuch am Mittwoch wird die Bundeskanzlerin eine
mehr als doppelt so lange Strecke zurücklegen. Gemeinsam mit Frankreichs
Präsident François Hollande, dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo
Renzi und zahlreichen weiteren Prominenten wird Merkel mit einem Sonderzug
durch den neuen Gotthard-Basistunnel fahren. Anlass ist die feierliche
Eröffnung des neuen Tunnels.
Mit 57 Kilometern ist die unterirdische Strecke zwischen Erstfeld im Kanton
Uri und Badio bei Biasca im Tessin künftig der weltlängste Eisenbahntunnel
– vor dem 53,9 Kilometer langen Seikan-Eisenbahntunnel der die japanischen
Hauptinseln Honshu und Hokkaido miteinander verbindet sowie dem 50,5
Kilometer langen Eurotunnel unter dem Ärmelkanal.
Neben der Länge verweist die Schweizer Regierung in ihrer Einladung zur
Eröffnung des „Jahrhundertwerkes“ voller Stolz auch auf die anderen
Rekorde, die mit dem Tunnel in seiner 17-jährigen Bauzeit aufgestellt
wurden. Bis zu 2.500 Meter tief unter den Alpen verlaufen die beiden
Tunnelröhren mit je einem Schienenstrang. 2.400 Arbeiter waren beim
Tunnelbau beschäftigt – darunter hunderte südafrikanische „Mineure“ –
Facharbeiter aus den tiefliegenden Goldminen und Kohlebergwerken in
Südafrika.
## 57 Kilometer quer durch die Alpen
28,2 Millionen Kubikmeter Gestein mussten die Arbeiter aus den Alpen
brechen. Das war nur möglich mithilfe eines gigantischen Tunnelbaugerätes,
das sich 57 Kilometer quer durch die Alpen fraß, den Abraum hinten auswarf
und gleichzeitig vorfabrizierte Betonwände verlegte. Die Mineure aus
Südafrika gehören allerdings nicht zu den über 3.000 Gästen, die zu den
Eröffnungsfeierlichkeiten eingeladen wurden.
Rekordverdächtig sind auch die Kosten des Bauprojekts: rund 23,3 Milliarden
Schweizer Franken, nach heutigem Wechselkurs etwa 21 Milliarden Euro. Das
ist fast doppelt so viel wie die 12,2 Milliarden Franken, die 1998 bei der
politischen Beschlussfassung über das Bauprojekt vom Parlament in Bern
bewilligt wurde. Doch als „völlig normal“ rechtfertigen selbst damalige
Gegner des Projekts in der größten Parlamentsfraktion der
rechtspopulistischen „Schweizer Volkspartei“ die Kostensteigerung. „Man
muss ehrlicherweise sagen: die erste Zahl ist immer falsch“, erklärte
SVP-Politiker Max Binder, der lange die Parlamentskommission zur
finanziellen Kontrolle des Tunnelbaus leitete, vor Kurzem in einem
Interview. Es gebe „kein Projekt auf der Welt, bei dem über eine Planungs-
und Bauzeit von 16 bis 17 Jahren am Anfang eine exakte Endkostenprognose
möglich ist“.
Das war auch der Fall beim alten Gotthard-Scheiteltunnel, der vor genau 134
Jahren, am 1. Juni 1882 eröffnet wurde und seitdem als wichtigste und am
stärksten frequentierte alpenquerende Bahnverbindung für den Güter- und
Personenverkehr diente. Diese 15 Kilometer lange Tunnelröhre zwischen den
Ortschaften Göschenen im Kanton Uri und Airolo im Tessin verläuft unter dem
Gotthardpass mit zahlreichen Steigungen und Kurven und Kehren auf Höhen bis
zu 1.150 Meter über dem Meer. Diese Strecke können nur Güterzüge mit
maximal 1.400 Tonnen Transportgewicht bewältigen.
Der neue Basistunnel verläuft sehr viel flacher, hat einen maximalen
Scheitelpunkt von knapp 500 Metern und keine Kehren. Das erlaubt Güterzüge
mit bis zu 4.000 Tonnen Transportgewicht und Geschwindigkeiten von bis zu
160 Stundenkilometern. Personenzüge sollen sogar bis zu 250 km/h schnell
fahren können. Dadurch wird die Fahrtzeit von Zürich über Lugano nach
Mailand um 60 Minuten auf etwas über zweieinhalb Stunden verkürzt.
## Die Mitte ist fertig, die Ränder noch nicht
Ursprünglich war der Bau des Gotthard-Basistunnels auch in der
innenpolitischen Schweizer Debatte mit dem grenzüberschreitenden
Bahngüterverkehr auf der Nord-Süd-Achse Rotterdam bis Genua begründet
worden. Doch die Fertigstellung des „Jahrhundertwerkes“ bringt zumindest
die nächsten 14 Jahre keine Beschleunigung und keinen Kapazitätsausbau.
Dazu müssten sowohl auf italienischer Seite als auch im Abschnitt zwischen
Karlsruhe und Basel zunächst noch Gleisstrecken für Güterzüge ausgebaut und
Verladeterminals für Container erreichtet werden. Nach derzeitigem
Planungsstand sollen diese Arbeiten erst 2030 abgeschlossen sein.
Daher konzentriert sich die Debatte in der Schweiz aktuell auf die Frage,
ob der neue Tunnel wirtschaftliche Vorteile für das Tessin bringen wird und
wie er sich auf das Mobilitätsverhalten der Deutschschweizer, vor allem aus
dem Großraum Zürich, auswirken könnte. Werden sich in nennenswertem Umfang
neue Firmen im Tessin ansiedeln und dort neue Arbeitsplätze schaffen? Wird
der Tages- und Wochenendtourismus aus der Deutschschweiz zunehmen? Werden
sich möglicherweise sogar verstärkt Menschen, die im wirtschaftsstarken
Zürich ihren Arbeitsplatz haben, ihren Wohnsitz ins Tessin mit seinen
(noch) billigeren Mieten und Immobilienpreisen verlegen?
Zu alle diesen Fragen gibt es bislang nur widersprüchliche Prognosen. Aber
eines ist klar: Wer die 134 Jahre alte Gotthard-Bahnstrecke und die sie
umgebende Bergwelt noch einmal in ihrer ganzen Schönheit erleben will – und
das in Regionalzügen, bei denen man noch die Fenster öffnen und die
wunderbare Alpenluft genießen kann –, hat dazu noch bis Dezember Zeit.
Danach geht es nur noch durch einen elend langen, dunklen Tunnel, der bei
manchem die Tunnelphobie auslösen könnte, die Friedrich Dürenmatt in seiner
1952 erschienenen Kurzgeschichte „Der Tunnel“ bereits eindrücklich
beschrieben hat.
31 May 2016
## AUTOREN
Andreas Zumach
## TAGS
Schweiß
Verkehr
Tunnel
Fehmarnbelt-Querung
Schienenverkehr
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Rache des Tunnelarbeiters: Halbgare Fehmarnbelt-Pläne
Der Bau des Ostsee-Tunnels zwischen Dänemark und Deutschland wird sich
weiter verzögern und trotzdem hat es Kiels Verkehrsminister plötzlich ganz
eilig
Neuer Gotthard-Eisenbahntunnel: Lkw oder Zug?
Der Schienenausbau führt nicht zu weniger Schwerlastverkehr, sagen die
Grünen in der Schweiz. Entscheidend seien andere Faktoren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.