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# taz.de -- Debatte Stiftungen in Deutschland: Gemeinwohl verpflichtet
> Die deutschen Stiftungen feiern sich beim Stiftungstag in Leipzig. Sie
> sollten besser selbstkritisch über Gerechtigkeit debattieren.
Bild: Vorsicht, Symbolbild!
Zwei Meldungen der letzten Zeit sind von Interesse, wenn man über die
gerechte Verteilung von Vermögen in Deutschland sprechen will. Die erste
kommt vom Deutschen Stiftungsverband: Ende 2015 gab es in Deutschland
insgesamt 21.301 Stiftungen. Pro Woche wurden im vergangenen Jahr elf neue
gegründet.
Die zweite Meldung, diesmal aus dem Jahresbericht der Bundesbank: 2014
besaß die untere Hälfte der deutschen Haushalte nur 2,5 Prozent des
gesamten Nettovermögens. Den obersten 10 Prozent gehörten hingegen rund 60
Prozent des Vermögens. Verglichen mit den Jahren zuvor heißt das: Die
Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland geht weiter auseinander,
sowohl bei den Einkommen als auch bei den Vermögen. Deutschland zählt zu
den ungleichsten Ländern in Europa.
Besteht zwischen diesen beiden Meldungen ein Zusammenhang? Dass diese Frage
beim gerade stattfindenden Stiftungstag in Leipzig diskutiert wird, wo sich
deutsche Stiftungen bei „Europas größtem Stiftungskongress“ feiern, ist
unwahrscheinlich. Aber genau das sollte dort geschehen. Denn der Boom im
Stiftungswesen ist Ausdruck einer immer größeren Ungleichverteilung von
Vermögen in Deutschland.
## Wenig kritischer Diskurs
Mehr noch, es gibt Stiftungen, die diese Ungleichverteilung weiter
befördern wollen, wie etwa die Stiftung Familienunternehmen, die mit
steuerbefreiten Mitteln Lobbyarbeit gegen Mindestlohn und höhere
Erbschaftsteuer betreibt. Auch bei mancher Unternehmensstiftung ließe sich
argumentieren, dass etwa ihr forsches Werben für das Freihandelsabkommen
TTIP bei dessen Inkrafttreten zur Folge hätte, dass Sozialstandards sinken
und die Gewinne ebendieser Unternehmen steigen würden.
Aber eine solche Diskussion geht quer zur Jubelstimmung im deutschen
Stiftungsverband, der immer wieder betont, dass Vermögende und Unternehmen
gerade durch Stiftungen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht
werden. Natürlich stimmt das in einigen Fällen, aber nur dort, wo auch ein
kritischer Diskurs über die Einflussnahme reicher Eliten geführt wird – und
wo dies zu Konsequenzen im Stiftungshandeln führt.
Denn Geld verleiht Macht. Schon immer haben vermögende Eliten politische
Entscheidungen in ihrem Sinne beeinflusst. Mit steigender sozialer
Ungleichheit nimmt diese Einflussnahme zu und bedroht unsere Demokratie,
die auf dem politischen Gleichheitsgebot „ein Mensch – eine Stimme“
basiert.
Vermögende und UnternehmerInnen verfügen über viele Möglichkeiten,
politisch Einfluss zu nehmen und so ihre Stimmkraft zu verstärken: Sie
besitzen die finanziellen Mittel dazu, haben gute Kontakte und treten
häufig auch als Akteure in politischen Entscheidungsprozessen auf. Es ist
wichtig für unsere Demokratie, dass solche Formen der Einflussnahme
kritisch diskutiert und begrenzt werden.
## Transparenz ist oberstes Ziel
Erfreulicherweise gibt es Gegenkräfte in der Stiftungswelt, die ihre Mittel
tatsächlich für sozialen Wandel und eine gerechte Gesellschaft einsetzen
und dabei auch die letztlich nicht demokratisch legitimierte Einflussnahme
auf Politik kritisch reflektieren. Hoffnung macht, dass sich diese
progressiven Stiftungen immer besser vernetzen, etwa im deutschen Netzwerk
Wandelstiften oder in der EDGE Funders Alliance auf internationaler Ebene.
Was müsste sich im Stiftungswesen ändern? Ganz oben auf der Liste steht
Transparenz: Denn erst wenn Stiftungen ihre Förderpolitik, Geldanlagen und
Entscheidungsprozesse offenlegen, sollten sie im demokratischen
Aushandlungsprozess um eine gerechte Verteilung eine Rolle spielen dürfen.
Ein solcher Prozess ist nie unpolitisch, denn das Gemeinwohl lässt sich nur
schwer objektiv bestimmen. Deshalb sind Stiftungen immer zutiefst
politisch, da ihr Handeln auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens
gerichtet ist.
Dabei sind aber nicht die politischen Positionierungen die Schwierigkeit –
Politik, die verändern will, braucht Positionen –, sondern die
Verschleierung von politisch-gesellschaftlichen Zielen durch mangelnde
Transparenz.
## Zivilgesellschaft stärken
Ein weiterer Punkt: Gemeinnützige Stiftungen sind steuerbegünstigt und
sollten allein deshalb dem Gemeinwohl verpflichtet sein. Sie sollten mit
ihrem Handeln eine gerechte Teilhabe aller Menschen an gesellschaftlichen
und politischen Prozessen befördern. Deshalb sollten Stiftungen mit guten
Beispiel vorangehen und die eigenen Strukturen demokratisieren. So sollten
beispielsweise nicht einzelne Vermögende über die Mittelvergabe bestimmen,
sondern solche Entscheidungen in kollektive Prozesse überführt werden, an
denen auch die Mittelempfänger beteiligt sind.
Und last but not least: Stiftungen sollten den Staat nicht aus der
Verantwortung lassen und begreifen, dass sie mit ihren begrenzten Mitteln
die staatliche Finanzierung öffentlicher Daseinsvorsorge weder ersetzen
können noch sollten. Denn eine solche Privatisierung der Daseinsvorsorge
unterliegt keiner demokratischen Kontrolle und ist damit in weiten Teilen
dem Markt überlassen. Dass aber die „unsichtbare Hand“ des Marktes die
zunehmende Ungleichheit selbst regulieren wird, diese Hoffnung kann man
nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte nicht ernsthaft
aufrechterhalten.
Soziale Ungleichheit, das zeigen viele Studien der letzten Jahre, macht
Gesellschaften unfairer, unglücklicher und ungesünder. Sie ist eine große
Gefahr für die Demokratie. Umgekehrt ist soziale Gerechtigkeit einer der
wichtigsten Inhaltsstoffe des Klebers, der Gesellschaften zusammenhält.
Stiftungen können beim Anrühren dieses Klebers einen wichtigen Beitrag
leisten. Dafür müssen sie Debatten anstoßen für eine gerechte Gesellschaft.
Sie müssen zivilgesellschaftliche Kräfte stärken – und sie müssen dies auf
demokratische und transparente Weise tun.
Würden alle 21.301 Stiftungen diese Regeln beherzigen, könnten sie wichtige
Impulse für einen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Wandel geben.
Dann hätte man beim Stiftungstag wirklich etwas zu feiern.
13 May 2016
## AUTOREN
Matthias Fiedler
## TAGS
Stiftung
Soziale Gerechtigkeit
Vermögen
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