# taz.de -- Musikantinnen in der S-Bahn: Besinnungslose Netzklatschaffen | |
> Wenn zwei flotte Musikantinnen die Frankfurter S-Bahn beschwingt | |
> beschallen – darf man da auch schlechtgelaunte Einwände erheben? | |
Bild: So schön ruhig-romantisch kann es sein in der Bimmelbahn | |
Der Hype schlechthin auf Facebook und Co. ist zurzeit ein [1][Video] von | |
zwei Musikantinnen, die in der Frankfurter S-Bahn den Song „Kiss“ von | |
Prince performen. Pose hoch zehn als extrovertierte Gutelaunebärinnen. | |
Thumbs up. | |
Im weiteren Verlauf mischt sich auch noch ein betrunkener Fahrgast aka | |
berühmter Musiker ein und lallt ein paar Reime dazwischen. Also eigentlich | |
nur das übliche Trauerspiel in unseren öffentlichen Verkehrsmitteln. | |
Dennoch wurde das Klickmonster fünfhunderttausend mal geteilt und 25 | |
Millionen mal aufgerufen. | |
Und keiner weiß, warum, während der brave Jongleur an der Straßenkreuzung | |
und der Old-School-Schnorrer vor dem Supermarkt völlig unbeachtet bleiben. | |
Dabei machen die wenigstens keinen Krach. | |
Denn die Fahrgäste in der S-Bahn sind vielleicht müde. Sie haben den ganzen | |
Tag gearbeitet, während die Mädchen vor dem Spiegel fröhliche Gesichter | |
einstudierten, die am Ende doch nur wirken wie von einem | |
Begeisterungsgenerator ausgeworfen, der wegen eines Kurzschlusses aus dem | |
Fundus der Clownsschule aussortiert wurde. | |
Oft wollen die Leute auch einfach nur in Ruhe aus dem Fenster starren oder | |
Zeitung lesen. Und da kommen diese beiden Schreihühner in den Wagen und | |
lärmen ohne jede Rücksicht los. Warum kann man das nicht verbieten, genauso | |
wie Satire und Reklame? | |
## Frohe Weisen | |
Wie viel edler wirkt da im Vergleich ein alter rumänischer | |
Harmonikaspieler. Schüchtern wird eine frohe Weise gespielt, schön kurz und | |
nicht zu laut, und ganz ohne diese sich selbst lawinenhaft reproduzierende | |
Hysterie der hippen Ruhestörerinnen. Freundlich blitzen die Goldzähne, der | |
Dank für jede kleine Spende kommt vom Herzen. Er musiziert für sein karges | |
Auskommen und nicht für Klicks. | |
Die beiden Damen brauchen kein Geld. Sie wollen nur spielen. Und posen. Und | |
nerven. Sie leben nur von Luft und Likes. Ihr Nektar ist ihre geil | |
authentische Selbstbesoffenheit, ihr Manna die Bewunderung einer | |
gleichgeschalteten Masse besinnungsloser Netzklatschaffen, die die | |
Kommentarspalten zum Video mit postanalphabetischem Kack vollspammen: Das | |
ist alles so super, so wahnsinnig super, supi geradezu, supersüß, lolwhat. | |
## Begeisterungstaliban | |
Wer die Mädels und ihre Musik weniger super findet oder gar Mitleid mit den | |
zwangsbeglückten Opfern der brutalen Charme-Attacke äußert, ist ein | |
kleingeistiger Lahmarsch. Sie gießen gesammelten Spott über diejenigen | |
S-Bahn-Fahrgäste aus, die vornehm und still dasitzen – mit einem „Stock im | |
Arsch“ hier, und einem „typisch deutsch“ dort, zieht die | |
Begeisterungstaliban ausgerechnet über die einzig wahren Helden des | |
Filmchens her. | |
Helden nämlich, weil es ihnen gelingt, als Einzige so etwas wie Haltung und | |
Würde zu bewahren und zugleich angesichts der massiven Belästigung nicht | |
auszuflippen. Sie lassen sich nicht provozieren, glauben weiter an ein | |
Grundrecht auf schlechte Laune und die konstruktive Kraft des Negativen. | |
Die hohlen Fun-Typen können vielleicht ihre Ohren, Nerven und schließlich | |
ihre Körper töten, doch niemals ihre unsterblichen Misanthropenseelen. | |
21 Apr 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=XF6shrBX4L8 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
## TAGS | |
Politische Musik | |
Damals bei uns daheim | |
RAF | |
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