# taz.de -- Radsport auf Sri Lanka: Mit Beinprothese im Sattel | |
> Früher gab es auf Sri Lanka Radsportvereine. Heute dominieren | |
> Armee-Regimenter. Auch zwei Landminenopfer trainieren eifrig. | |
Bild: Landminenopfer in Sri Lanka auf ihren Rennrädern | |
Es ist acht Uhr morgens an Sri Lankas Westküste. Nuwan Sekara und sein | |
Freund Tiruppur Veeranami rollen an den staubigen Straßenrand – sie | |
brauchen dringend mal eine kleine Pause. Seit fast zwei Stunden sind die | |
beiden 27-Jährigen unterwegs. Losgefahren sind sie um kurz nach sechs, als | |
es noch dunkel war. Das ist so üblich in Sri Lanka. Frühmorgens sind die | |
Temperaturen auf der kleinen tropischen Insel noch einigermaßen erträglich. | |
Und was noch wichtiger ist: Das Verkehrschaos ist noch nicht ganz so groß. | |
Das Schicksal hat Nuwan und Tiruppur, die beide schon seit ihrer Jugend dem | |
Radsport verfallen sind, vor vier Jahren zusammengeführt. Die beiden | |
Soldaten waren für die Armee im Norden der Insel im Einsatz. Ihr Auftrag: | |
Sicherheitspatrouillen in der Region durchführen, in der beinahe 30 Jahre | |
lang ein schlimmer Bürgerkrieg tobte. | |
Der Aufstand der tamilischen Minderheit war im Jahr 2009 von den | |
Regierungstruppen niedergeschlagen worden. Weite Teile des Nordens sind | |
aber noch heute quasi unzugänglich, weil sie regelrecht übersät sind mit | |
Landminen. | |
Nuwan und Tiruppur traf es beide 2012 innerhalb von nur vier Monaten: Sie | |
traten auf eine Mine und verloren jeweils einen Unterschenkel. Ein | |
Schicksal, das sie mit Hunderten ihrer Kollegen teilen. Immerhin sind Nuwan | |
und Tiruppur dank einer speziellen Regelung der Regierung materiell | |
abgesichert: Sie können trotz ihres Handicaps bis zum Ende ihrer | |
Standarddienstzeit von 22 Jahren in der Armee bleiben – und anschließend | |
beziehen sie eine Rente. Und weil für beide Beinprothesen angefertigt | |
wurden, können sie ihrer Leidenschaft Radsport nachgehen. Jeden Morgen. | |
## Schlechte Straßen und extremes Klima | |
Radsport ist in Sri Lanka kein Volkssport – dafür sind die Straßen zu | |
schlecht und das Klima zu extrem. Eine relativ kleine Szene, die den Sport | |
äußerst intensiv und mit viel Enthusiasmus betreibt, gibt es dennoch | |
bereits seit den Jahren, als die ehemalige englische Kolonie noch Ceylon | |
hieß. | |
Das Idol aller heißt Boniface Perera, Sri Lankas mit Abstand bester und | |
berühmtester Radsportler aller Zeiten. Perera nahm Ende der Sechziger als | |
Jugendlicher erstmals an einem Radrennen in der Hauptstadt Colombo teil. Er | |
gewann auf Anhieb. Ohne Vorbereitung. Das Rad hatte er sich von seinem | |
Bruder Antony geliehen – ein simples Stahlrad ohne Schaltung. „Standard“ | |
sagen sie in Sri Lanka dazu. | |
„Standard“, mit einem 52er Zahnrad und einem 18er Ritzel versehen, wird | |
noch heute auf der Insel hauptsächlich gefahren. Häufig sind diese Räder | |
selbst zusammengebaut. Wer sich etwas besseres Material leisten kann, fährt | |
auf einem importierten Rad des britischen Herstellers „Raleigh“ oder auf | |
einem „Hero“ aus Indien. | |
Dicke, solide zusammengeschweißte Rahmenteile, einfache Felgenbremsen, | |
breite Reifen – Stabilität geht bei den von Schlaglöchern und miesem | |
Asphalt geprägten Straßen Sri Lankas deutlich vor technischer Raffinesse. | |
Dennoch sind die Räder beileibe nicht für jeden Einheimischen | |
erschwinglich: Ein herkömmliches „Standard“ kostet umgerechnet knapp 200 | |
Euro. | |
## Jeden Tag Training | |
Zu viel Geld auch für Nuwan und Tiruppur, die sich ihre Trainingsräder | |
daher aus alten Teilen des Armeebestandes selbst zusammengebastelt haben. | |
Ihr morgendliches Training lassen sie niemals ausfallen, auch weil sie gut | |
vorbereitet sein wollen auf ihren sportlichen Höhepunkt des Jahres: Das | |
Eintagesrennen über gut 100 Kilometer zwischen der Hauptstadt Colombo an | |
der Westküste und Kandy im Zentrum der Insel, das zum srilankischen Neujahr | |
Mitte April stattfindet. | |
Ein Rennen auf weitgehend flachem Kurs – anders hätten „Standard“-Fahrer | |
auch keinerlei Chance gegen Konkurrenten, die auf einem Rad mit Schaltung | |
unterwegs sind. Für Nuwan und Tiruppur, die einst als Leistungsträger ihrer | |
Armee-Mannschaften am Start waren, geht es mittlerweile in einer eigenen | |
Versehrten-Wertung um den Sieg – ihr Ehrgeiz hat unter den Unfällen nicht | |
gelitten. | |
Das Eintagesrennen an Neujahr ist übrig geblieben von einer Reihe von | |
Radrennen, die es früher auf Sri Lanka gab. In den 1980er und 1990er Jahren | |
fand mit der „Sri Lanka Tour“ sogar ein international beachtetes | |
Mehretappenrennen statt. Doch mit dem zunehmenden Autoverkehr auf der | |
Insel, die in etwa so groß wie Bayern ist, aber mehr als doppelt so viele | |
Einwohner hat, wurde der Radsport zurückgedrängt. | |
## 200.000 Soldaten | |
Gab es früher durchaus auch einige private Radsportvereine auf der | |
subtropischen Insel, wird heute fast ausschließlich in den Trikots der | |
Luftwaffe, der Marine und der Infanterie gefahren. Die Armee ist mit über | |
200.000 Soldaten der mit Abstand größte Arbeitgeber des Landes, und der | |
radsportliche Konkurrenzkampf unter den rund zwei Dutzend Regimentern der | |
Armee ist riesig. | |
Nuwan und Tiruppur haben ihre Pause am Straßenrand mittlerweile beendet. Es | |
herrschen nun – wie eigentlich jeden Tag auf der kleinen südostasiatischen | |
Insel – fast 30 Grad Lufttemperatur. Die beiden Radsportfreunde haben | |
bereits rund 60 Kilometer absolviert und wollen noch zwei Stunden | |
dranhängen – wie jeden Morgen. | |
Gegen zehn Uhr werden sie wieder im Camp ihres Arbeitgebers, der Sri Lanka | |
Army, eintreffen. Viel zu tun haben sie dann nicht mehr, sie werden noch | |
ein wenig Schreibarbeiten im Armee-Büro erledigen. Und sich auf das | |
Radtraining am nächsten Morgen freuen. | |
5 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Olaf Jansen | |
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