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# taz.de -- Prozess gegen 19-Jährige wegen Mordes: Von allen im Stich gelassen
> Einen Vater hatte sie nie, die Mutter zog über sie her: Im Familiendrama
> um eine tote Großtante soll am Freitag das Urteil verkündet werden.
Bild: Geht es um Mord, Totschlag, oder etwas ganz anderes?
Eine tote Großtante mit einem zerschlagenen Schädel, eine verstörte, gerade
erst volljährig gewordene Täterin, eine emotionslos reagierende Mutter.
Welches Familiendrama kulminierte an diesem 26. Juli 2015 in der Ellwanger
Straße in Steglitz?
Am morgigen zehnten Verhandlungstag wird eine Jugendkammer des Berliner
Landgerichts ihr Urteil über die knapp 19-jährige Sabrina S. verkünden. Die
Vorsitzende Richterin Iris Berger wird begründen, ob sie die Tötung der
79-jährigen Lieselotte F. durch ihre Großnichte für einen heimtückischen
Mord oder für einen Totschlag im minderschweren Fall hält. Im letzteren,
nach der Beweisaufnahme wahrscheinlicheren Fall, könnte die seit neun
Monaten in Untersuchungshaft sitzende Angeklagte sogar mit einer
Bewährungsstrafe rechnen.
Anfang März hatten die Richter erstmals die persönliche Bekanntschaft mit
der großen, sportlichen Frau mit den traurigen Augen gemacht. Sie staunten,
wie offen sie mit Sabrina reden konnten. Stundenlang erzählte sie von ihrer
Mutter Christine S., einer früh berenteten Bibliothekarin, zu der sie immer
ein gutes Verhältnis gehabt hatte – bis die Pubertierende eigene
Vorstellungen von ihrem Leben zu entwickeln begann. Sabrina hatte von ihrem
acht Jahre älteren Bruder berichtet, der wegen Erziehungsschwierigkeiten im
Heim aufgewachsen war. Er war der Einzige, der verstand, was los war in der
Familie S., in der es nie einen Vater gegeben hatte, stattdessen eine
liebe, zunehmend unter Demenz leidende Großmutter und deren Schwester
Lieselotte – Sabrinas Großtante, die Vertraute ihrer Mutter.
Jeden Morgen telefonierten die beiden. Christine S. habe dabei den
Lautsprecher des Telefons angestellt, Sabrina bekam mit, dass die beiden
wieder über sie herzogen. Von einem „Grundrauschen schwarzer Pädagogik“
spricht der psychiatrische Gutachter Alexander Böhle. „Nicht die einzelnen
Ereignisse sind problematisch, erst die Gesamtheit.“ Am gravierendsten sei
die „Double Bind“-Beziehungsstruktur, in der das Mädchen aufgewachsen sei.
Der Psychiater illustriert das am Beispiel einer Mutter, die ihrem Sohn
einen roten und einen grünen Schlips schenkt. Als er den grünen trägt,
wirft sie ihm vor, dass er den roten wohl nicht mag. Auch Sabrina habe
ihrer Mutter nichts recht machen können, sie entwickelte Schuldgefühle,
stumpfte ab.
In dieser Situation strebte die Abiturientin nach Freiräumen. Sie jobbte,
um von dem Geld Führerschein und ein Auto, in dem sie auch mal
übernachtete, bezahlen zu können. Kurz nach ihrem 18. Geburtstag im Mai
forderte Christine S. die Elftklässlerin auf, sich zum 1. August eine
eigene Wohnung zu suchen. Grundsätzlich war Sabrina damit einverstanden,
allerdings erst nach dem Abitur im Sommer 2016. Ihre Mutter blieb
unnachgiebig, verschloss innerhalb der Wohnung die Türen, sodass Sabrina
nur noch ihr Zimmer, die Küche und das Bad betreten konnte. Auf Anraten
ihres Bruders wandte sich Sabrina an das Jugendamt. Vom Projekt
„Sozialräumliche Leistungen“ kam eine Sozialpädagogin, die das Mädchen m…
einem Dreiviertelstundengespräch und Adressen von Wohnungsbaugesellschaften
unterstützte.
Hätte man nicht stärker eingreifen müssen, fragt die Vorsitzende Richterin.
„Sabrina hat auf mich den Eindruck gemacht, als ob sie das hinbekommt.“ Ob
sie den Begriff „Pseudoautonomie“ kenne, will der Psychiater wissen. Die
Sozialpädagogin weiß nicht, dass er den Umstand meint, dass insbesondere
emotional vernachlässigte Kinder viel fitter wirken, als sie tatsächlich
sind. „Ich finde das skandalös“, sagt die Richterin. „Hilfe zur Selbsthi…
kann gut sein, aber nicht, wenn jemand von allen Seiten im Stich gelassen
wird!“
In der Tat traute sich Sabrina nicht, Hartz IV zu beantragen, hatte ihre
Mutter doch riesige Scham davor. Sabrina setzt nun auf das Gespräch mit der
Großtante, die Einzige in ihren Augen, die ihre Mutter noch umstimmen
konnte. Als Lieselotte F. die Hand ihrer Großnichte ergriff, um das
„undankbare Scheißgör“ aus ihrer Wohnung zu geleiten, als Sabrina in dies…
Moment hinter sich einen Hammer ertastete, da muss bei ihr ein Affekt
ausgebrochen sein. Mit mindestens 13 Hammerschlägen tötete Sabrina S. ihre
Großtante. Die Frage ist nun, wie viel Schuld sie daran trägt.
22 Apr 2016
## AUTOREN
Uta Eisenhardt
## TAGS
Familie
Mord
Justiz
Justiz
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