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# taz.de -- Werkschau von Popgenie Todd Rundgren: Unser Held am Mischpult
> Hierzulande ist er noch zu entdecken. Nun ist eine Werkschau mit
> wichtigen Alben des US-Popkünstlers Todd Rundgren erschienen.
Bild: Hebt gerne ab: Todd Rundgren
Zu den vielen grundlegenden Veränderungen in der Welt der Musik, die die
Beatles auslösten, gehört auch das Ende der Arbeitsteilung. Bis dahin hatte
es eine saubere Trennung zwischen den Gewerken des Singens,
Instrumentspielens, Komponierens, Textdichtens und Produzierens gegeben.
Die neue Ordnung setzte nun fest, dass der Performer auch der Songschreiber
ist, dass er nicht nur singt, sondern auch noch vorzeigbar Gitarre spielt.
Und die Generation, die da kam, lieferte.
Auf einmal konnte jeder Musiker komponieren, war jeder Instrumentalist auch
noch Komponist, Dichter und hinreißender Sänger. Und da die Aufnahmetechnik
rasant voranschritt, traten kurze Zeit später ganz konsequent Künstler auf
den Plan, die sich selbst genug waren und alle kreativen Jobs selbst
erledigten. Todd Rundgren war einer der Ersten von ihnen, eine Art
Blaupause. „The Complete Bearsville Album Collection“, eine Box mit seinen
ersten 11 Alben unter eigenem Namen, bietet jetzt Gelegenheit, noch mal
genau zu ergründen, was er in seiner Blütezeit alles konnte und ob es
irgendwas gab, was er nicht konnte.
Rundgren, geboren 1948 in einem Vorort von Philadelphia, erscheint auf der
Szene 1968 als Sänger, Gitarrist und Songlieferant des Quartetts Nazz, das,
ganz dem Geist der Zeit gehorchend, einerseits der Songwriting-Magie der
Beatles hinterherspürt, andererseits eine gewisse Brachialität und
Heavyness versucht.
Etwas später wurde diese Mischung „Psychedelic Punk“ gelabelt und liefert
das Narrativ für ein Genre, das der Journalist, Autor und spätere
Patti-Smith-Gitarrist Lenny Kaye zuerst 1972 mit der von ihm
zusammengestellten Compilation „Nuggets – Original Artyfacts From the First
Psychedelic Era 1965 - 1968“ definiert, die auch den Eröffnungssong des
ersten Nazz-Albums, die Rundgren-Komposition „Open My Eyes“, enthält.
Sieben Jahre später produziert Rundgren das Album „Wave“ der Patti Smith
Group, aber das ist eine andere Geschichte.
## Unsterblich verliebt
Die entscheidende Frauengeschichte der frühen Rundgren-Jahre ereignet sich
ebenfalls 1968. Aufgrund ihrer Musik verliebt sich unser Held unsterblich
in die Singer-Songwriterin Laura Nyro, und nur der frisch unterzeichnete
Plattenvertrag mit Nazz hindert ihn daran, das Angebot anzunehmen, Leader
ihrer Liveband zu werden. Stattdessen schreibt er über sie (“Baby Let’s
Swing“ auf „Runt“), vor allem aber wie sie: Fast alle Songs etwa des
herzzerreißend liebeskranken Albums „The Ballad Of Todd Rundgren“ (1971)
klingen wie Abwandlungen des Songwritings der frühen Laura Nyro.
Wobei er ihre Akkordfolgen übernimmt, ohne ihre Wurzeln im Gospel und dem
New Yorker Girl-Group-Pop der frühen Sechziger zu teilen. Im Ergebnis mögen
die Ingredienzien dieselben sein, das Ergebnis ist ein ganz anderes. Im
Fach der Laura-Nyro-Ballade sollte er allerdings in den Folgejahren noch zu
großer Form auflaufen.
Nach zwei Nazz-Alben verlässt er die Band und auch die Bandidee: Mit dem
Namen Runt gründet er zwar noch mal eine Gruppe, aber sie ist nur noch pro
forma eine solche: Rundgren braucht noch ein paar Mitmusiker, da die
Mehrspurtechnik noch nicht ganz so weit ist. Er dominiert die Band
allerdings komplett. Und da er die klangliche Umsetzung seiner Musik auf
den Nazz-Alben als unbefriedigend empfand, wühlt er sich noch in das Gewerk
der Tontechnik hinein. Als ersten bedeutenden Job darf er das Album „Stage
Fright“ von The Band aufnehmen, gleich darauf folgen zwei Alben der Band
Grand Funk, die zu jener Zeit die erfolgreichste Metal-Band der USA ist,
und für die er schon nicht mehr nur Engineer, sondern auch Producer sein
darf.
## Der innere Schweinerocker
Diese Tätigkeit hält ihn nicht davon ab, in regelmäßiger Folge Soloalben zu
veröffentlichen, die nicht zuletzt den Stand seiner Sound-Forschungen
dokumentieren. 1972 kommt das Doppelalbum „Something/Anything“, auf dem er
kompositorisch weiterhin der Laura-Nyro-cum-Beatles-Formel vertraut,
allgemein aber das Tempo anzieht, hin und wieder gar den inneren
Schweinerocker freilässt und es sich nicht nehmen lässt, in einem „Intro“
typische Fehler seiner Toningenieur-Kollegen zu veralbern.
Der Hang zur Reflexion über sein Genre und eine kommentierende Metaebene
kommen zum ersten Mal auf „A Wizard, A True Star“ (1973) deutlich heraus.
Statt eines Rock- oder anderen Band-Settings setzt er zunehmend auf die
Klangwelten der frühen, analogen Synthesizer, probiert herum und hat dabei
hörbar viel Spaß. Den Hochkultur-Gestus und die anderen Fallen des vor
allem im Vereinigten Königreich zu jener Zeit erblühenden Prog-Fachs umgeht
er elegant. Stattdessen flirtet er mit Glam und Soul. So entsteht ein Werk,
das mit einer Spieldauer von gut einer Stunde die Vinylgrenzen austestet
und mit seinen vielen kurzen, oft übergangslos aneinandermontierten
Songfragmenten die Aufnahmefähigkeit des Publikums durchaus herausfordert.
Als Opus Magnum muss das 1974 folgende Doppelalbum „Todd“ genannt werden,
auf dem sein Umgang mit der Elektronik und den vielen neuen Studiogadgets
eine noch größere Souveränität zeigt und auf dem er noch mal wagemutiger
agiert. Während elektronische Musikmaschinen zu jener Zeit vor allem als
Novelty-Gag eingesetzt werden und nur in der experimentierenden Avantgarde
und ganz zaghaft bei deutschen Formationen wie Kraftwerk, Cluster und Neu!
versucht wird, neue Musiklogiken auf Basis des neuen Instrumentariums zu
finden, geht es Rundgren darum, die Elektronik an sein Pop-Universum
anzuschließen.
## Bitte keine Wichte!
Man könnte Aufnahmen wie „A Dream Goes On Forever“ oder „Izzat Love?“ …
Beginn des Synthiepops lesen, wäre es nicht eine Beleidigung der
Rundgren’schen Kompositionskunst, ihn mit Wichten wie Depeche Mode, Yazoo
oder Blancmange in Verbindung zu bringen. Dass aber auch Rundgren mitunter
den Faden verliert, zeigt sich auf Folgealben wie der
Prog-Kitsch-Extravaganza „Inititiation“ (1975) oder dem Live-Doppel-Album
„Back To The Bars“ (1978), auf dem er sich bei meist eher verunglückten und
verkokst wirkenden Versuchen, seine Studioerrungenschaften ins
Stadionrock-Format zu übersetzen, von Helden der Zeit wie Dary Hall & John
Oates, Stevie Nicks und Rick Derringer unterstützen lässt.
Da einem besessenen Workaholic wie ihm aber der Output von einem Album pro
Jahr nicht reicht, gründet er schon 1973 die Band Utopia, mit der er
ebenfalls ein Album pro Jahr (ebenfalls zunächst bei Bearsville)
veröffentlicht. Darüber hinaus erhält er mehr und mehr Produktionsjobs, vom
Singer-Songwriter Jesse Winchester bis zu den Proto-Punks New York Dolls.
Um das ganze Bild zu erhalten, hätte die Rundgren-Solo-Box also von zwei
weiteren Boxen flankiert werden müssen.
Utopia helfen ihm auch bei „Faithful“ (1976), bei dem er sich auf der
ersten Seite mal wieder als Meta-Musiker zeigt und sechs ikonische
Sixties-Pop-Produktionen (etwa von Beatles, Beach Boys, Dylan, Hendrix)
nachbaut. Dies sind nicht etwa Coverversionen im klassischen Sinn, also
keine Interpretationen, sondern liebevoll und detailversessen
rekonstruierte Kopien. Damit liefert Rundgren einen wichtigen
künstlerischen Beitrag zum gerade aufkommenden Diskurs zu den Sixties als
abgeschlossener klassischer Pop-Periode und zur ebenfalls noch frischen
Einordnung der Produktion als signifikantem künstlerischem Statement. Die
zweite Seite enthält mit „Love Of The Common Man“ und „When I Pray“
immerhin noch zwei seiner schönsten eigenen Arbeiten.
## In Sachen Beatles-Forschung
Während seine Soloalben in den folgenden Jahren etwas unkonzentrierter
werden und trotz teilweise schöner Titel (“The Ever Popular Tortured Artist
Effect“, 1982) eher konzeptionell schlichte herkömmliche Songsammlungen
sind, greift er mit Utopia noch mal nach den Sternen. Die Idee der ersten
Seite von „Faithful“ weiterdenkend, schafft er mit „Deface The Music“ 1…
ein Album, das nicht weniger als die Essenz der Beatles darstellt. 13
Songs, für die in etwa chronologisch von den wilden Merseybeat-Anfängen
über die McCartney-Balladen und die Ringo-Späßeken bis hin zu den
Hippie-Spinnereien die entscheidenden Songwriting-, Arrangement- und
Produktions-Ingredienzien der Beatles isoliert und in komprimierter Form
neu zusammengefügt werden.
Keine einzige Coverversion, aber jeder Ton 100 Prozent Beatles – ein so
atemberaubendes wie gelungenes kühnes Artistic-Research-Projekt in Sachen
Kreativitätsforschung, das bislang leider ohne Nachahmer blieb und in der
schlichten Popwelt auch kaum Beachtung fand.
„Deface The Music“ ist nicht Bestandteil der Box, da Utopia. Zu Beginn der
Achtziger, als dieses Album entsteht und die Box endet, verlagert sich
Rundgrens Fokus mehr in Richtung Produktion. Nach dem Erfolg mit Meat Loafs
„Bat Out Of Hell“ (mittlerweile sind immerhin rund 43 Millionen Einheiten
verkauft!), kann er sich die Kundschaft aussuchen und legt mit XTCs
„Skylarking“ (1986) auch in diesem Bereich so etwas wie ein
Produzenten-Opus-Magnum vor. Andere Kunden sind The Psychedelic Furs, Bad
Religion, Cheap Trick und The Tubes, aber auch immer wieder Jim Steinman
(Meat Loaf) und 2009 für ein Comeback-Album noch mal die New York Dolls.
## Für Heimwerker
In seiner Solokarriere ist er sich einerseits nicht zu schade,
Best-of-Tourneen zu machen, andererseits präsentiert er weiterhin
regelmäßig irre Spinner-Projekte wie etwa 1993, als er sich plötzlich von
einer neuen interaktiven CD-Technologie von Philips begeistern ließ, sich
in TR-I umbenannte und mit „No World Order“ ein Album anbot, das nur aus
Spuren und Fragmenten bestand, die der Hörer nach Gusto (und nur mit Hilfe
neuer Philips-Technologie) selbst zusammenbauen konnte. 2015 nahm er mit
den skandinavischen Musikern und Fans Emil Nikolaisen und Hans-Peter
Lindstrøm das Ambient-Prog-Album „Runddans“ auf.
Eins muss man noch los werden: „The Complete Bearsville Albums Collection“
wird im einschlägigen Einzelhandel zu Preisen ab 45 Euro angeboten. Das
ergibt gut 4 Euro pro Album und mag daher fair erscheinen. In der „Original
Album Series“ erhält man allerdings fünf der hier enthaltenen Alben für
rund 13 Euro, was noch günstiger ist. In ihren Sonntagsreden schwadroniert
die Tonträgerwirtschaft ja gerne vom „Wert der Musik“, den es hochzuhalten
gelte. Tatsächlich muss man solche Produkte wohl unter Panikverkäufe
einsortieren.
Die Lieblosigkeit der Aufmachung spricht über ihre Verkäufer Bände: Außer
einer auf CD-Format herunterkopierten Originalhülle erhält der Fan nichts,
keine Informationen, keine der Original-Innenhüllen oder anderen Beigaben,
keine Klappcover, einführenden Texte, oft noch nicht mal ein Tracklisting –
von Bonustracks ganz zu schweigen. Wer, bitte, soll das kaufen? Hier werden
physische Produkte geschaffen, die kaum noch einen Mehrwert gegenüber dem
Download bieten. Ist das der Weg aus der Krise?
6 Apr 2016
## AUTOREN
Detlef Diederichsen
## TAGS
Werkschau
Bob Dylan
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