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# taz.de -- Heidi Specker in der Berlinischen Galerie: Intelligenz und Intuition
> Mit „In Front Of“ setzt sich Heidi Specker erstmals mit dem Menschen und
> seinem Bild auseinander. Ihre 70-teilige Porträtarbeit überzeugt.
Bild: Ausschnitt aus Heidi Specker, In Front Of, Katze, 2016
Die Welt wird von Bildern beherrscht. Die Macht der Bilder ist ungebrochen,
ihre Vielzahl an Erscheinungsformen ist Stoff für unzählige Abhandlungen
zur Mediengeschichte. Trotz aller Aufklärung haben Bilder immer noch eine
ungemein emotionale Macht und sind zentraler Bestandteil unserer
Selbstwahrnehmung. Visuelle Attraktionen, Täuschungen und Verführungen
finden sich überall.
Gerade die technischen Bilder, allen voran die Fotografie, bestimmen als
Reportage und Nachrichtenbild, alltägliches Selfie oder Werbe- und Filmbild
unsere Weltsicht. Perfektion und Intensität sind dabei die stärksten Waffen
im Kampf um die Kolonisation des Bewusstseins.
Umso größer ist der Schock, wenn fotografische Porträts als unvorteilhaft
und verzerrend empfunden werden. Die entglittenen Züge, die Falten und
Wölbungen des alternden Körpers oder der dümmliche Blick: all das scheint
unser Selbstbild zu konterkarieren und den Wahrheitsanspruch der Fotografie
infrage zu stellen. Nach mehr als 160 Jahren Fotografiegeschichte müssten
wir es besser wissen: Die Fotografie ist kein Medium, das auch nur
ansatzweise den Anspruch auf Authentizität erheben kann.
Jedes Bild ist eine Stilisierung der Wirklichkeit, ein forciertes Abbild,
still gestellt und fokussiert. Das gilt für jede Fotografie und betrifft
uns beim Porträt unmittelbar. Die Geschichte der Porträtfotografie ist
vielgestaltig, voll formaler Wendungen und in ganz unterschiedlichen
Kontexten zu finden: als Mittel der Repräsentation, als privates Andenken
oder als erkennungsdienstliches Dokument.
Und dann gibt es die Fotografie im Kontext der bildenden Kunst, die
gleichermaßen Ästhetik und Psychologie, gesellschaftliche Bedeutung und
historische Einbettung des Porträts reflektiert. Die 1962 in Damme geborene
Fotografin Heidi Specker legt nun aktuell in der Berlinischen Galerie unter
dem Titel „In Front Of“ (2015) eine 70-teilige Porträtarbeit vor.
## Mischung aus Intelligenz und Intuition
Dabei zeigt sich schnell, dass es der Künstlerin um eine intensive
Durchdringung des Phänomens und eine Infragestellung der Möglichkeit,
Person und Persönlichkeit abzubilden, geht. Specker nimmt sich in der
aktuellen Ausstellung zum ersten Mal des Porträts an.
Und sie tut dies mit der gleichen Mischung aus Intelligenz und Intuition,
die auch ihre früheren Arbeiten prägte. Darin hatte sie meist urbane Räume
und Architekturen visuell durchkreuzt und immer wieder die große Lücke
zwischen Ding und Bild betont oder der den Widerspruch zwischen Natur und
Kultur thematisiert.
Speckers Œuvre zeigt deutlich, dass es die Fotografie als universelles
Medium nicht gibt. Die Fotografie ist keine Sprache, die überall gleich
verstanden wird. Wie jede Sprache hat sie eine bestimmte Grammatik und
Zeichenhaftigkeit. Sowenig das Wort das Ding, das es beschreiben soll,
wirklich trifft, so sehr verfehlt auch die Fotografie ihren eigentlichen
Gegenstand und schafft ein Bild, das der Wirklichkeit mal mehr, mal weniger
nah ist.
Im Porträt zeigt sich dieser Umstand am deutlichsten, betrifft es uns doch
unmittelbar als Menschen. Schauen wir in das Antlitz eines anderen, schauen
wir auch in unser eigenes Gesicht. Oder eben nicht. Denn Bilder sind stets
geprägt von Manipulationen, Abhängigkeiten und Projektionen. Und genau an
dieser Stelle hakt Heidi Specker ein. Sie zeigt uns Porträts in der
Halbtotalen, im Anschnitt, im Profil oder im Detail.
Sie kombiniert diese mit Raumansichten und merkwürdigen Stillleben von
Accessoires. Sie zeigt Gesichter, die frontal in die Kamera schauen oder
sich wegdrehen, Personen, die scheinbar umkreist werden oder deren Gesicht
zur Kamera gedreht wird. Auf einigen Bildern ist das Antlitz gänzlich
verdeckt. Specker geht in der visuellen Verwirrung und Verweigerung aber
noch weiter und zeigt uns etwa die (künstliche) Grafik eines Katzenkopfes
als Aufdruck auf einem Sweatshirt.
Gleichzeitig werden im Anschnitt die giftgrün gefärbten Haare einer Person
oder Perücke sichtbar. Wir sehen alles, aber kein Gesicht. Und was wir
sehen, ist Teil einer visuellen Kultur der Verfremdung, der Überzeichnung,
der Unterstellung oder einer absonderlichen Infantilität. Specker stemmt
sich mit den Mitteln der Fotografie gegen deren Wirkungsmacht und seziert
das Medium, ohne dabei akademisch zu sein.
## Bildgeschichte des Porträts
Soziologisch betrachtet, ist der Porträtdiskurs reich an medialen,
ästhetischen, psychologischen und historischen Verweisen. Die
Bildgeschichte reicht von den ersten verkrampften und still gestellten
Porträtsitzungen im 19. Jahrhundert über situative Fotografie auf der
Straße bis hin zu konzeptuellen Ansätzen. Ein Großprojekt der
Porträtfotografie war das Mappenwerk „Antlitz der Zeit” (1929) von August
Sander.
Systematisch und mit großer Präzision fotografierte Sander Typen
unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten. Es ist offensichtlich, dass
Specker dieser historischen Systematik nicht folgt, denn die Menschen des
21. Jahrhunderts sind weitaus schwieriger zu kategorisieren und sind auch
Opfer ihrer eigenen medialen Darstellung geworden.
Dass es so etwas wie das gültige Bild einer Person nicht gibt, zeigte schon
Thomas Ruff Mitte der achtziger Jahre mit seinen „Porträts“. Die zum Teil
riesengroßen Bilder führten die Betrachterinnen in eine Bildwelt der Kälte
und Undurchdringlichkeit. Speckers Vorgehen ist gänzlich anders,
strukturalistischer, dezentraler und widersprüchlicher. Die Fotografie
erscheint in ihrer Arbeit wie ein semantisches Kauderwelsch, das je nach
Wissensstand und Interesse gelesen werden kann.
Die unmögliche Möglichkeit des Porträts haben seit den späten Sechzigern
Künstler wie Lee Friedlander oder Victor Burgin durch Bildstörungen,
Sequenzen und theoretische Kommentare vorgeführt. Gleichzeitig gibt es
immer auch die Schönheit und visuelle Verführung, wie sie etwa Rineke
Dijkstra in ihren frühen Arbeiten zeigte. Heidi Specker fügt der Diskussion
einen wichtigen neuen Aspekt hinzu.
Sie deckt die Verfehlungen der Fotografie auf, bleibt aber den Bildern treu
und ist eine Komplizin der Porträtierten, gerade weil sie sie benutzt, ohne
sie dabei zu kompromittieren. Die Bilder machen Lust auf immer mehr Bilder,
auch wenn wir wissen, dass wir letztlich nichts über die Personen erfahren
werden.
27 Mar 2016
## AUTOREN
Maik Schlüter
## TAGS
Berlinische Galerie
Fotografie
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