# taz.de -- Kinky Friedmans neues Album: Das Arschloch aus El Paso | |
> Aus seinen jüdischen Wurzeln hat der texanische Sänger nie einen Hehl | |
> gemacht: Mit Witz überführt Kinky Friedman diese ins Country-Genre. | |
Bild: Zigarrenfreund Kinky Friedman (l.) und sein Country-Kumpel Willie Nelson. | |
„On singing texas jews/We reserve the right to refuse service to you“, | |
beschrieb der singende texanische Jude Kinky Friedman bereits im Auftakt | |
seines Debütalbums „Sold American“ (1973) die Erfahrung der eigenen | |
Nichtzugehörigkeit. Verweigert wird ihm die Bedienung im Restaurant, da | |
Friedman dem Besitzer zu jüdisch und zu kommunistisch erscheint. | |
Gleichzeitig fehlt dem Sänger aber auch der Zugang zum religiösen Judentum, | |
zu weit entfernt ist seine Lebensrealität von den Traditionen, wie er in | |
der zweiten Strophe ausführt. | |
Für die einen zu jüdisch, für die anderen zu wenig religiös, hat es sich | |
Kinky Friedman seit nunmehr 45 Jahren in einer Nische eingerichtet und | |
provoziert von dort aus mit abgründigen und sarkastischen Texten immer | |
wieder Country Establishment und traditionsbewusstes Judentum. | |
Selbst die politische Klasse ist nicht sicher vor ihm. Wie er mit seiner | |
Bewerbung zum Amt des texanischen Gouverneurs 2006 unter Beweis stellte. So | |
plädoyierte er in seinem Programm etwa für die Legalisierung von | |
Glücksspiel und die gleichgeschlechtliche Ehe und erhielt dafür beachtliche | |
13 Prozent der Stimmen der Bevölkerung des als konservativ geltenden | |
Bundesstaats. | |
Während Zeitgenossen Friedmans, von Bob Dylan bis Richard Hell, ihre | |
jüdische Identität hinter Pseudonyme verborgen haben, ist der Kinkster – | |
wie ihn seine Fans liebevoll nennen – mit seinem jüdischen Background von | |
Beginn an in die Offensive gegangen. Bereits seine frühen Alben sind | |
geprägt vom Stolz auf die Herkunft und der Strategie, über Songs wie „Ride | |
em Jewboy“ jüdischen Humor in den Country zu überführen. | |
Mit seiner Backingband The Texas Jewboys hat sich Friedman auf diese Weise | |
eine Sonderstellung erspielt, von der er bis heute zehrt. Neues gab es von | |
ihm zuletzt hauptsächlich auf einem anderen kulturellen Feld: der | |
Literatur. | |
## Kinky und die Katze | |
Seine Krimis um den texanischen Privatdetektiv Kinky Friedman, der mit | |
einer Katze im New Yorker Exil lebt, sich in langen Monologen über Country, | |
den Nahostkonflikt, Katzen und Whisky auslässt und nebenbei Fälle löst, | |
funktionieren wie seine Musik: Sie bieten in klassischer | |
Hard-Boiled-Machart die Lösung eines Falls und parodieren zugleich das | |
Krimigenre. Mit dieser Mischung hat Friedman prominente Fans von Bill | |
Clinton bis zu Bush jr. gewonnen und die Pause seit dem letzten Studioalbum | |
überbrückt. | |
Mit „The Loneliest Man I Ever Met“ hat sich der Kinkster nun neu erfunden | |
und ist in eine fruchtbare Schaffensphase eingetreten: sein Alterswerk. Der | |
nunmehr 70-jährige Musiker hat Sarkasmus und Ironie scheinbar abgeschworen | |
und stellt auf dem sparsam instrumentierten Album seine Stimme in den | |
Vordergrund. Damit besingt er die Einsamkeit eines in die Jahre gekommenen | |
Country-Helden und seiner Gitarre. | |
Das erinnert an den späten Johnny Cash und dessen mit Rick Rubin | |
produzierten „American Recordings“. Friedman zollt Cash folgerichtig mit | |
der Coverversion „Pickin’ Time“ Tribut. Mehrheitlich sind auf „The | |
Loneliest Man I Ever Met“ Coverversionen zu hören. Auch zwei der drei | |
Eigenkompositionen sind Neueinspielungen alter Lieder. | |
## Außenseiter, Altern, Alleinsein | |
Die Interpretation der Songs von Künstlern wie Bob Dylan, Tom Waits, Merle | |
Haggard oder Willie Nelson, der sein „Bloody Mary Morning“ mit Friedman | |
gemeinsam eingesungen hat, lässt jedoch kein klassisches Cover-Konzept | |
erkennen. Friedman gelingt damit das Kunststück, ein Album aus Eigen- und | |
Fremdmaterial zu arrangieren, das thematisch und musikalisch konsistent | |
bleibt und die Unterscheidung zwischen Eigenkompositionen und Aneignungen | |
anderer Künstler überflüssig macht. | |
Es geht um Außenseiter und ein Leben am Rande der Gesellschaft, um das | |
Altern und das Alleinsein. „A Christmas Card From A Hooker in Minneapolis“, | |
Tom Waits‘Song aus der Perspektive einer einsamen Prostituierten, wird in | |
Friedmans Version zu seiner persönlichen Annäherung an dieses Leben | |
außerhalb bürgerlicher Vorstellungen von Moral, auf der Suche nach dem | |
kleinen Glück. „Hey Kinky,I‘m pregnant/ Living on 9th Street/ Right above a | |
dirty bookstore.“ | |
Auch Dylans berühmtes „Girl From The North Country“ verwandelt sich in | |
Kinkys Aneignung in die flüchtige Erinnerung an die eigene Vergangenheit, | |
in die Rekapitulation des eigenen Lebens und den Versuch zu bewahren, was | |
sich zu entziehen beginnt. Besonders interessant ist die Hommage an Merle | |
Haggard, dessen „Mama’s Hungry Eyes“ Friedman neu interpretiert. Haggard, | |
der von Richard Nixon verehrte konservative Country-Star, hatte Ende der | |
Sechziger mit dem Song „Okie from Muskogee“ einen Hit, in dem er gegen | |
Hippies wettert und die Werte des fundamentalistischen Südstaatlers | |
hochhält. | |
## Wilder im Wanderzirkus | |
Friedman hatte Haggard Mitte der Siebziger mit dem Song „An Asshole From El | |
Paso“ parodiert und sang zur Melodie von „Okie“: „I’m proud to be an | |
asshole from El Paso/A place where sweet young virgins are deflowered“. | |
Betreibt Friedman nun eine dem Alter geschuldete Versöhnung mit den einst | |
so verhassten bürgerlichen Werten, mit Traditionen und alten Feinden? | |
Keineswegs, „The Loneliest Man I Ever Met“ bietet genug Abgründe, Humor und | |
Sarkasmus blitzen öfters auf. | |
In der Eigenkomposition „Wild Man From Borneo“ etwa, die oberflächlich von | |
der Gier der Menschen nach Exotischem erzählt, vom „wilden Mann aus | |
Borneo“, der als Teil eines Wanderzirkus durch die USA zieht. Gleichzeitig | |
beschreibt Friedman, seine Herkunft im Blick, die eigene Außenseiterrolle | |
innerhalb der Country-Szene wie auch der jüdischen Community. | |
Damit einhergehend auch die Erwartungen und Projektionen, denen er | |
ausgesetzt ist, die seine Person überschatten: „I’m the wild man from | |
Borneo, the wild man/ You come to see what you wanna see/ Ah, you come to | |
see but you never come to know.“ Diese Erwartungen zu unterlaufen ist das | |
künstlerische Konzept Kinky Friedmans, und mit „The Loneliest Man I Ever | |
Met“ hat er diesem Projekt einen wichtigen Baustein hinzugefügt. | |
18 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Jonas Engelmann | |
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