# taz.de -- Kieler Ministerium: Nur auf die Medien geschielt: „Tradition des … | |
> Die Spitze des Kieler Sozialministeriums sollte von Problemen in | |
> Kinderheimen nur erfahren, sofern sie „öffentlichkeitsrelevant“ sind. | |
Bild: Weggeschaut: Die schleswig-holsteinische Sozialministerin Kristin Alheit … | |
Kiel taz |Die Landesregierung in Schleswig-Holstein interessiert sich nur | |
dann für die Vorkommnisse in Kinderheimen, wenn sie | |
„öffentlichkeitswirksame Relevanz“ haben. So weist es ein Vermerk an, den | |
der Abgeordnete Wolfgang Dudda von der Piratenpartei am Montag im | |
Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Skandal-Heim Friesenhof | |
vorlas. Da das Dokument schon aus dem Jahr 2006 stammt, stellt sich nun die | |
Frage, wie der frühere Sozialminister Heiner Garg (FDP) und seine | |
Vorgängerin Gitta Trauernicht (SPD) ihrer Verantwortung für den Schutz von | |
Kindern und Jugendlichen in Heimen gerecht wurden. | |
Die 9. Sitzung des im Herbst eingesetzten Untersuchungsausschusses zog sich | |
an diesem Montag bis in den Abend hin. Zunächst hatte ein früherer | |
pädagogischer Leiter ausgesagt und unter anderem eingeräumt, dass der mit | |
den Behörden vereinbarte Fachkräfte-Schlüssel so gut wie nie eingehalten | |
wurde. Ein weiterer Mitarbeiter berichtete von bis zu siebeneinhalb Stunden | |
langen Gruppensitzungen bei Fehlverhalten. Zudem mussten die Mädchen | |
„Einheitsklamotten wie in einer Strafkolonie“ tragen und durften sich nicht | |
schminken. Ein pädagogischer Sinn sei ihm, dem gelernten Personenschützer, | |
nicht erklärt worden. | |
Ähnlich kritisch hatte sich in der Sitzung am 8. Februar ein in dem Heim | |
beschäftigtes Ehepaar geäußert. Die Kinder hätten beispielsweise tagsüber | |
nie in ihre Zimmer gedurft. Diese seien abgeschlossen gewesen. Das umzäunte | |
Gelände hätten die Mädchen nicht allein verlassen dürfen. Ausflüge mit den | |
Kindern seien aus Kostengründen untersagt gewesen. Spielzeug und Bücher | |
habe es nicht gegeben. | |
Alle drei Zeugen bemängelten, dass es keine Therapieangebote für die Kinder | |
gab. „Wir haben natürlich darüber nachgedacht, dass das Missstände sind, | |
die an die Öffentlichkeit müssen“, sagte die ehemalige Hausleiterin. Ihr | |
Mann hatte sich nach eigenen Angaben ab Oktober 2013 mit Beschwerden an das | |
Landesjugendamt gewandt. Zwölf Mal habe er die Heimaufsicht kontaktiert. | |
Doch diese Vorgänge wurden schlampig dokumentiert. Der Piraten-Abgeordnete | |
Wolfgang Dudda fragte die als Zeugin geladene Staatssekretärin Anette | |
Langner, ob auch die früheren Sozialminister Garg und Trauernicht dafür | |
Verantwortung trügen und zitierte den brisanten Vermerk über die Aufgaben | |
des Ministeriums „zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen“ | |
aus dem Jahr 2006. | |
Dieser regelt die „Unterrichtung der Leitung des Ministeriums“ bei | |
„besonderen Vorkommnissen“, zu denen auch Beschwerden von Mitarbeitern über | |
kindeswohlgefährdende Zustände gehören. „Dringende Meldungen über besonde… | |
Vorkommnisse in Einrichtungen“ gingen bei der Heimaufsicht ein. Und weiter: | |
„Ergibt der Sachverhalt eine öffentlichkeitswirksame Relevanz, die | |
Interesse der Presse erwarten lässt, unterrichtet der Referatsleiter oder | |
seine Vertretung über die Abteilungsleitung oder direkt vorab telefonisch | |
VIII St, VIII M und/oder VIII LSB bzw. PS.“ | |
Die letzten beiden Kürzel stehen laut Organigramm für „Stabsbereich“ und | |
„Pressestelle“, „St“ und „M“ für Staatssekretär und Minister. Die | |
derzeitige Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) hatte stets behauptet, sie | |
habe erst im Mai 2015 von den Vorwürfen gegen den Friesenhof erfahren. Nun | |
wird klar, warum: Damals hatte die Hamburger Linke eine schriftliche | |
Anfrage zur den Vorwürfen gestellt, spätestens da wurde der Vorgang wohl | |
„öffentlichkeitsrelevant“. | |
Duddas im Ausschuss nicht zugelassene Forderung: Jetzt sollte auch die | |
Rolle von Garg und Trauernicht untersucht werden. Sein Fazit: „Wenn in | |
Heimen schlechte Pädagogik passiert und Mädchen sieben Stunden lang | |
aussitzen müssen, scheint das die Politik nicht zu interessieren. Erst, | |
wenn die Presse danach fragt.“ Es habe sich aufgrund von Personalmangel | |
eine „Tradition des Wegschauens“ entwickelt. | |
„So eine Anweisung wirkt, als ob es nicht um das Wohl der Kinder und | |
Jugendlichen geht, sondern um das Ansehen der Behörden“, sagt die Hamburger | |
Linken-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus, die das Thema publik gemacht hatte. | |
Auch in Hamburg, das über 90 Mädchen im Friesenhof unterbrachte, habe der | |
Senat, „abgewehrt, statt aufzuklären“. | |
1 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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