# taz.de -- Alltagsphänomen Gähnen: Geschlechtsspezifische Unterschiede | |
> Wir gähnen im Durchschnitt zehnmal am Tag. Doch warum wir das tun, ist | |
> noch immer ungeklärt. Und: Gähnen ist ansteckend. | |
Bild: Gähnen: Selbst Löwen machen es. | |
Im Schnitt zehnmal am Tag gähnt der Mensch. Ein echtes Alltagsphänomen | |
also, doch über seine Ursachen ist immer noch wenig bekannt. Hippokrates | |
vermutete, dass es unsere Luftzufuhr verbessert, doch das gilt mittlerweile | |
als widerlegt. Als einzige sichere Erkenntnis hat die Chasmologie – die | |
Forschung vom Gähnen – herausgefunden, dass wir es öfter tun, wenn andere | |
es uns vormachen. Aber da gibt es wohl, wie jetzt ein Forscherteam der | |
Università di Pisa herausgefunden hat, große Unterschiede zwischen den | |
Geschlechtern. | |
Die italienischen Forscher legten sich fünf Jahre lang auf die Lauer, um in | |
Restaurants, Büros, öffentlichen Verkehrsmitteln oder an anderen | |
alltäglichen Orten insgesamt 1.400 Gähnsituationen zu erfassen. Bei deren | |
späterer Analyse legte man einen Schwerpunkt auf das Geschlecht der | |
beobachteten Personen – und darauf, ob sie spontan gähnten oder es als | |
Antwort darauf taten, dass jemand in ihrer Umgebung gegähnt hatte. | |
„Ein Antwortgähnen lag für uns dann vor, wenn es innerhalb von drei Minuten | |
geschah, nachdem jemand anders gegähnt hatte“, erklärt Studienleiter Ivan | |
Norscia. Meist dauere es sogar weniger als eine Minute, bis das Gähnen | |
seine infektiöse Kraft entfaltet hat. | |
Es zeigte sich, dass vor allem dann gegähnt wurde, wenn die Personen sich | |
gut kannten. Was einerseits darin begründet ist, dass man sich auf sozial | |
eher unbekanntem Terrain weniger gehen lässt und seine Befindlichkeiten | |
eher für sich behält. Andererseits aber auch darin, dass man einen fremden | |
oder nur locker bekannten Menschen weniger leicht nachahmt als einen, den | |
man gut kennt. | |
Schon frühere Studien haben zeigen können, dass man unter Ehepartnern und | |
guten Freunden öfter gähnt als unter Fremden und lockeren Bekannten. Was | |
aber nicht ausschließt, dass man sich von artfremden Lebewesen inspirieren | |
lässt. „Auch Hunde und Menschen können sich gegenseitig mit ihrem Gähnen | |
infizieren“, betont Norscia. Die Vierbeiner könnten sogar erkennen, ob wir | |
wirklich gähnen oder nur so tun. | |
## Vorgähner und Nachgähner | |
Als weiteres Ergebnis der Studie zeigte sich, dass Frauen in 55 Prozent | |
aller Fälle gähnten, wenn es gerade jemand anders getan hatte. Bei Männern | |
hingegen lag diese Quote bei nur rund 40 Prozent. Sie fungieren also eher | |
als impulsive Vorgähner, während Frauen öfter den reagierenden Nachgähnern | |
zuzurechnen sind. | |
Ursache dieses Unterschieds könnte laut Norscia die „stärkere Empathie der | |
Frauen“ sein. Sie versuchen mehr, sich auf ihre Mitmenschen einzustellen | |
und sich in deren Stimmungslage hineinzuversetzen – und dies auch zu | |
zeigen. | |
Dazu gehört, dass sie Äußerungen zur Befindlichkeit übernehmen, wie etwa | |
Stirnrunzeln, Lächeln – und eben auch das Gähnen, das in der Regel als | |
Zeichen von Müdigkeit interpretiert wird. Die Frau sieht, dass jemand | |
gähnt, und übernimmt dann dieses Verhalten, um ihm zu zeigen, dass sie ihn | |
verstanden hat und sich ähnlich müde fühlt wie er. | |
Doch das weibliche Empathiegähnen ist keineswegs nur eine Reaktion auf das | |
männliche Geschlecht: Frauen gähnen auch, wenn eine andere Frau damit | |
angefangen ist. Das Antwortgähnen hat keinen sexuellen Hintergrund, was | |
aber nicht unbedingt für sein impulsives Pendant gilt. So führen | |
Antidepressiva nicht selten gleichzeitig zu einem starken Gähnreiz und | |
einer starken sexuellen Erregung. Denn die pharmazeutischen | |
Stimmungsaufheller erhöhen den Pegel des Hirnbotenstoffs Dopamin – und der | |
spielt beim Gähnen und der sexuellen Erregung gleichermaßen eine zentrale | |
Rolle. | |
1 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Jörg Zittlau | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
die wahrheit: Dauergähnen: Befallen von der Frühfrühjahrsmüdigkeit | |
O nein, o Schreck, o gähn! Schlagartig wurde uns gestern klar, warum wir | |
seit Tagen wie auf Butter durch die Gegend laufen und - wohlerzogen, wie | |
wir sind - ständig die Hand vor den Mund halten... |