# taz.de -- Sohn sucht Vater: Im Strom der Erinnerungen | |
> Für seinen Film „Aus dem Abseits“ hat sich Simon Brückner in Hannover a… | |
> Spurensuche nach seinem Vater, dem Sozialpsychologen Peter Brückner, | |
> begeben. | |
Bild: „Aus dem Abseits“: auf Vatersuche. | |
Er selbst kann sich kaum an seinen Vater erinnern. Simon Brückner war 1982 | |
vier Jahre alt, als sein Vater Peter Brückner mit 59 Jahren an einem | |
Herzleiden starb. Nun hat er sich auf die Suche nach den Spuren seines | |
Vaters gemacht: Im Laufe seiner Recherchen über sein Leben erfährt er, dass | |
er einst „auf den Armen von Rudi Dutschke“ geschaukelt wurde, bei erhitzten | |
Diskussionen mit Klaus Wagenbach „unter der großen Tafel einschlief“ oder | |
als Einziger den kratzbürstigen Hauskater Mescalero streicheln durfte. | |
Es muss merkwürdig für ihn gewesen sein, zu hören, dass der eigene Vater | |
als eine Art „Vaterfigur für die Apo“ galt. Am Schluss des Film wird Simon | |
Brückner sagen, dass seine wenigen Eindrücke vom Vater nun verschwunden | |
sind: überschrieben von all den Erinnerungen anderer, die er gesammelt hat. | |
Ein ehemaliger Nachbar Peter Brückners, der immer noch das gleiche | |
unansehnliche Hochhaus bewohnt, erinnert sich, einmal „Ulrike Meinhof im | |
Fahrstuhl“ getroffen zu haben. Ein anderer Zeitzeuge widerspricht, weil | |
dies zeitlich unmöglich gewesen wäre. Davon, dass es sich bei Erinnerungen | |
zum großen Teil auch Verklärungen und Fantasien handelt, auch davon erzählt | |
Brückner in dieser filmischen Suche nach seiner verlorenen Zeit. | |
Der Bezug auf Marcel Proust wird nie ausgesprochen. Aber so wie der | |
Schriftsteller seine Recherche mit einem Stück Teegebäck beginnt und der | |
Geschmack der Madeleine ihn in einen Strom von Erinnerungen reißt, so | |
beginnt Simon Brückner seinen Film damit, dass seine Mutter die alte Pfeife | |
seines Vaters aus einer Schublade holt und er an ihr riecht, um noch etwas | |
vom Aroma seines Vaters in die Nase zu bekommen. | |
Diese Art des biografischen Dokumentarfilms, bei der der Filmemacher eine | |
persönliche Beziehung zu seinem Thema hat, aus einer erkennbar subjektiven | |
Perspektive erzählt und selber vor die Kamera tritt, bietet sich hier | |
sicher an. In den letzten Jahren hat David Sieveking mit seinen Filmen | |
„David wants to fly“ über seine extreme Begeisterung für David Lynch und | |
„Vergiss mein nicht“ über die zunehmende Demenz seiner Mutter diese Form | |
erfolgreich und sehr verspielt genutzt. Brückner inszeniert sich selber | |
viel dezenter und ist insgesamt kaum eine Minute des knapp zwei Stunden | |
langen Films zu sehen. Er hat aber eine sympathische Eigenart, die dem | |
genauen Zuschauer nicht verborgen bleibt: Wenn einer seiner | |
Gesprächspartner gerührt ist, sieht man die Hand des Regisseurs mit einer | |
tröstenden Geste in den Film hineinragen. | |
Peter Brückner war in den 70er-Jahren eine Ikone der Protestbewegung. Als | |
solche macht er als politische Figur und Projektionsfläche den Film so | |
interessant. Sein Sohn Simon wird seiner Rolle wiederum auch formal | |
gerecht, indem er seinen Film als eine große Parallelmontage konstruiert: | |
Auf der einen Ebene zeigt er seine persönliche Suche nach Menschen, die | |
seinen Vater kannten und ihm von diesem erzählen können. | |
Doch dann wechselt er immer wieder in ein konventionell erzähltes Porträt, | |
in dem der Lebensweg und die politische Karriere des alten Brückners mit | |
Originalaufnahmen seiner Stimme, Auszügen aus seinen Büchern, privaten | |
Fotos und Archivaufnahmen aufgearbeitet wird. Dabei wird viel aus Brückners | |
Buch „Das Abseits als sicherer Ort“ über seine Kindheit und Jugend zitiert. | |
1922 als Sohn einer jüdischen Konzertsängerin geboren, lebte er von Anfang | |
an in einer prekären Außenseiterrolle, die ihn schon früh zu einem | |
unabhängigen Denker und Rebellen werden ließ. In den 40er-Jahren gehörte er | |
zu einer Gruppe von Hitler-Gegnern und unterstützte als Soldat Kommunisten, | |
Deserteure und Kriegsgefangene. | |
Nach dem Krieg studierte er Psychologie und arbeitete in der | |
Marktforschung. 1967 wurde er an die Universität Hannover berufen, wo er | |
Psychologie lehrte und sich bald zu einem der Köpfe der | |
außerparlamentarischen Opposition entwickelte. Er wurde 1972 wegen | |
angeblicher Unterstützung der RAF suspendiert – und 1977 ein zweites Mal, | |
wegen der Veröffentlichung des Buback-Nachrufs, in dem ein Göttinger | |
Student unter dem Pseudonym „Mescalero“ von seiner „klammheimlichen Freud… | |
angesichts des Attentats schrieb. | |
Klaus Wagenbach erzählt, Brückner hätte ihn an ein „einsam wanderndes | |
Nashorn“ erinnert, und solche Umschreibungen, Deutungen und Details geben | |
einen plastischen Eindruck davon, wie Brückner auf seine Mitmenschen | |
gewirkt haben muss. So sind die „subjektiven“ Teile des Films interessanter | |
als die Kapitel des politischen Lebenswegs, die wie ein Pflichtprogramm in | |
kurzen Kapiteln abhandelt werden. | |
Dabei sind das Politische und das Private gerade bei Brückner kaum zu | |
trennen. Und dies, obwohl der linksintellektuelle Sozialwissenschaftlter | |
Manfred Lauermann, der damals ein Protegé von Brückner war, berichtet, die | |
beiden hätten damals nie über Privates gesprochen, und er hätte sich gar | |
nicht vorstellen können, dass Brückner „so etwas Schreckliches wie eine | |
Familie“ haben könnte. | |
Es sind die Widersprüche und Brüche in der Biografie seines Vaters, die den | |
Regisseur am meisten interessieren. So arbeitete Peter Brückner, nachdem er | |
seine Professur erhielt, nebenbei noch weiter für den Klassenfeind in der | |
Marktforschung und finanzierte dadurch eine Wohnung in Berlin, in der er in | |
einer Kommune wohnte, die er nicht ohne Witz „ZentrAPO“ nannte. | |
In seinem einstigen Studenten Theo Becker hat Brückner einen treuen | |
Gralshüter, der das „Brückner-Archiv“ an der Universität in Hannover | |
verwaltet und sich darüber beklagt, dass dessen Antrittsvorlesung „Der | |
Rhesusaffe als Interpret seines Zoologen“ fehlt. Diese Sequenz ist auch | |
deshalb zugleich traurig und komisch, weil Brückner im ganzen Film nirgends | |
so abwesend ist wie in dem ihm persönlich gewidmeten Archiv. | |
27 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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